Was war. Was wird. Von Ferien und ganz besonderen Sommerlöchern.
Im Sommerloch sind viele Arbeitskräfte verschwunden, nun fehlen sie allerorten. Und im Kampf gegen Corona wird ein Digital-Miraculix gesucht, lernt Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Es ist Sommer, die Ferien haben in vielen Bundesländern begonnen. Doch von keine Spur von Sammy, dem Kaiman im Baggersee. Stattdessen sorgen Flughäfen für Schlagzeilen, weil sich statt des üblichen Sommerloches ein schwarzes Loch aufgetan hat, in dem die Arbeitskräfte verschwunden sind. Eine Krisen-Pressekonferenz zum "Problem an den Flughäfen" wird gleich von zwei Ministern und einer Ministerin abgehalten, von Volker Wissing, Hubertus Heil und Nancy Faeser beschäftigen sich mit Koffern und Sicherheitsdiensten und nicht mit den Aerosolen, die im Gedränge vor den Fliegern gerade irgendwie Sommerferien machen. Ein kluger Kommentator spricht hinter einer Paywall vom Götzendienst Urlaub und redet Tacheles zu dem Sachverständigenbericht, in dem nicht nur Daten fehlen, wie in der letzten Wochenschau bekrittelt: "Bei oberflächlicher Lektüre erhalten fast alle Einschränkungen ein schlechtes Zeugnis. Ein Lockdown bringt höchstens anfangs etwas, Schulschließungen sind allenfalls biologisch-theoretisch sinnvoll, aber wiegen die Versäumnisse durch Bildungsrückstand und soziale Deprivation nicht auf, und so weiter... Leider war der Bericht methodisch so mies, dass er das Papier nicht wert ist, auf dem er gedruckt wurde."
*** Hinter einer anderen Paywall hat sich einer der Sachverständigen dieser Tage zu Worte gemeldet und von einem "naiven Wunsch der Politik" geredet. Im Klartest: der Auftrag des Sachverständigenrates, eine Langstreckenstrategie im Kampf gegen Corona zu entwickeln, sei unerfüllbar gewesen. Was tun, fragte nicht nur Lenin, sondern auch Lauterbach. Die Antwort lautet: Ein Chief Data Scientist muss her, um aus dem digitalen Gesundheitschaos einen geordneten Forschungsdatenraum zu machen. Neu ist das Ganze nicht. Schon vor einem Jahr hatte man in der Digitalstrategie der alten Regierung beschlossen, dass jedes Ministerium einen Chief Data Officer bekommen soll. Neu ist allenfalls, dass der Chief Data Scientist vom Bundeskanzleramt gestellt und bezahlt wird, aber im Bundesgesundheitsministerium sitzen soll und neben der Zuführung der medizinischen Daten für die Forschung auch noch für "eine bessere Behandlung, bessere Therapie, bessere Vorsorge für Patientinnen und Patienten" sorgen soll. Liest man diese Ansprüche mit Blick auf den aktuellen Zustand des deutschen Gesundheitswesens, wird ein Digital-Miraculix gesucht, der Zaubereicheln verteilt. Auf den Arbeitsvertrag dieses Zauberers darf man gespannt sein. Wobei – ein Hurra auf diese Digitalisierung – dieser handschriftlich unterzeichnet werden muss.
*** Eigentlich sollte diese kleine Wochenschau vom Rande der norddeutschen Tiefebene von einer Heiratsexpertin aus der Sparte der "unterhaltenden Frauenzeitschriften" geschrieben werden, doch der Heise-Verlag hat keine Zeitschrift dieser Art in seinem vielfältigen Programm. So muss ich bedauerlicherweise die Berichterstattung über die Hochzeit des Jahres den kundigen Kollegen von Übermedien überlassen, die souverän alle Formate beherrschen. Auch die Frage, wie steuerlich günstig eine Hochzeit ohne Kirchensteuer für "liberale Freigeister" ist, kann ich nicht beantworten. Andere interessierte Leser verweise ich auf das journalistisch ach so spannende Format Was bekannt ist und was nicht und natürlich auf Twitter, nunmehr muskfrei. Wobei übrigens die Twittrik an einem Kleinflugzeug, das 13 Liter auf 100 Kilometern verbraucht, reichlich kleinkariert ist.
*** Ja, so geht das, wenn die Medien selbstgleichgeschaltet sind zur vierten Gewalt, wie zwei Talkshowdauerdampfplauderer wie Richard David Precht und Harald Welzer meinen. Wobei genau diese vierte Gewalt am Ende schreibt: "Nennen wir es Enttäuschung. Precht und Welzer teilten einen Aufruf in der 'Emma', wonach die Waffenlieferungen in die Ukraine gestoppt werden sollten, und sich einem Appell in der 'Zeit' zu sofortigen Friedensverhandlungen angeschlossen. Das hat in Öffentlichkeit und Massenmedien zu viel Kritik geführt."
*** Auch über die Suche von Premierminister Boris Johnson nach einem passenden Plätzchen in Großbritanniens Auen für ein großes Hochzeitsgelage kann ich wenig schreiben. Eigentlich könnte er, da nach wie vor Regierungschef, den Landsitz des Regierungschefs für seine große Party nehmen: Johnson hat nur den Posten des "Leader" der Tories aufgegeben, sonst nichts. Aber schicklich wäre das nicht, dieses Chequers für ein weiteres Besäufnis zu nutzen. Noch ist das "fette Schweinchen" nicht wirklich aufgespießt, noch rollt der außer Kontrolle geratene Einkaufswagen weiter. Den einen oder anderen Rempler wird es bis zur anstehenden Hochzeitsfeier sicher noch geben. Vieleicht zeigt er der so verhassten Presse mal den digitus impudicus, wie dies seine Erziehungsministerin getan hat.
*** Lieber möchte ich an eine Hochzeit erinnern, auf der es sicher sparsamer und nüchterner zuging. Im Jahre 1960 heiratete Heinz Nixdorf die Programmiererin Renate Ring. Die beiden lernten sich kennen, als Ring bei der Harpener Bergbau AG in Dortmund die Nixdorf-Bull-Anlage per Steckbrett "programmierte". In der Folgezeit arbeitete Renate Nixdorf als Expertin für die Fehlersuche in Nixdorf-Computern. Wie jetzt bekannt wurde, starb Renate Nixdorf am 2. Juli in Paderborn, wo sie als Wohltäterin wirkte. Sie wurde 86 Jahre alt. Von den 250 Millionen Euro, die die Familie Nixdorf für den Verkauf ihrer Firmenanteile an Siemens erhielt, hat Renate Nixdorf etliche Taler in Paderborn gespendet. Im Eingangsbild zu einem Blogbeitrag ist sie ganz rechts zu sehen, wie sie der Rede ihres Gatten lauscht.
Was wird.
Während der russische Außenminister Lawrow auf dem G20-Treffen vor unserer Außenministerin Baerbock ausbüxt, verkündet Wladimir Putin, dass man mit dem Krieg noch gar nicht richtig angefangen hat. Unterdessen gibt es Berichte, dass zunehmend veraltetes Material, aber mehr und mehr Kämpfende an die "Nicht-Front" des nicht angefangenen Krieges geschickt werden. Wieder gut hinter einer Paywall versteckt, fragt sich ein Journalist in aller Ohnmacht, was Putin an den Schriften von Clausewitz und Sun Tsu eigentlich nicht verstanden hat und warum er weitermacht. Insofern ist das Motto make install peace, das der FIfF für seine anstehende Fiffkon22 gefunden hat, zwar jedem Programmierer verständlich sein, dem allgemein Publikum aber eher nicht. In leicht gestelzter Sprache fordern die Informatiker den "positiven Frieden". "Bei diesem wirken gerechte Institutionen, eine faire Verteilung von Ressourcen und eine respektvolle Haltung zwischen Menschen und auch Gruppen zusammen. Er ist die Basis dauerhaft friedlicher Gesellschaften, die tatsächlich menschlichen Fortschritt mit sich bringen. Friedensarbeit ist dabei immer langfristig wirksam. Unser Ziel ist ein pluralistisches, ausdifferenziertes Zusammenleben, das auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, um ein zufriedenes, selbstbestimmtes und komfortables Leben aller zu ermöglichen." Vielen wichtigen Fragen will man sich auf der Fiffkon22 widmen: Wie kann Technologie eingesetzt werden, um Frieden zu fördern? Wie kann Technologie eingeschränkt werden, die Frieden stört? Wie sieht digitale Abrüstung aus? Gibt es eine friedensblinde Gestaltung von Informationssystemen? Große Fragen. Bleibt zu hoffen, dass die Antworten komplexer ausfallen als die unfassbar schlichten Appelle deutscher Intellektuelle, doch bitte mit Putin zu verhandeln.
(tiw)