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Was war. Was wird. Von Imitations- und Millionenspielen.

Von seiner Fähigkeit zu denken sollte sich der Mensch nicht durch eine Sperrstunde abbringen lassen. Bei Maschinen liegt die Sache aber anders, weiß Hal Faber.

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Was war. Was wird. Von Imitations- und Millionenspielen.

(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Denken ist noch lange nicht Wissen. Sprichwort

Hütet Euch, wenn Gott einen Denker auf diesen Planeten schickt. Ralph Waldo Emerson

Der Spaß ist, wenn mit seinem eigenen Pulver der Feuerwerker auffliegt..... Shakespeare, Hamlet

*** Drei Sprichwörter, die sich auf die Fähigkeit des Menschen beziehen, denken zu können. Wenn der Mensch den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und sich davon auch nicht durch eine Sperrstunde abbringen lässt, ist Vieles möglich, bis hin zum großen Knall des Feuerwerkers, der sich mit seinem eigenen Pulver in die Luft jagt. Vor 70 Jahren erschien der Aufsatz "Computing Machinery and Intelligence" von Alan M. Turing in einer britischen Zeitschrift. Die deutsche Fassung brauchte etwas länger, ging aber gleich zur Sache: "Können Maschinen denken?" war der Titel des Aufsatzes im Kursbuch 8 vom März 1967, das von Hans Magnus Enzensberger herausgegeben wurde. Enzensberger war es, der die Sprichwörter auswählte, als er das Kursbuch über Mathematik gestaltete. Ursprünglich sollte Turings Text unter dem Titel "Das Imitationsspiel" erscheinen, doch das klang zu unmathematisch. Schließlich stand der Aufsatz in einem Band, in dem John von Neumann über die "Allgemeine und logische Theorie der Automaten" berichtete und Claude Levi Strauss über die "Mathematik vom Menschen" nachdachte. Auch Bertrand Russells Text über "Die Mathematik und die Metaphysiker" findet sich im Kursbuch, obwohl Russell selbst den Text nicht gelungen fand, denn er sei viel zu romantisch geschrieben.

Dystopie, damals: "Das Millionenspiel" im deutschen TV zeigte vor 50 Jahren, wie das Fernsehen die tödliche Hetzjagd auf einen Kandidaten ausschlachtet und befeuert – fataler Einfluss von (zukünftigen) Medien auf Nutzer, Gesellschaft, moralische Werte.

*** Sei's drum. Können Maschinen denken, das kann man kurz und bündig beantworten wie der verlinkte HNF-Blog, der eine Lösung des auf dem Turing-Text basierenden Turing-Tests für das Jahr 2050 voraussagt. Heute ist sie jedenfalls noch nicht in Sicht: "Sprechen ist nicht dasselbe wie Denken, und die Dialoge, die Alan Turing vorschwebten, sind nur ein kleiner Teil der Kommunikation. Unsere Sprache entspringt unserer Welt, ihre Worte lernen wir in dieser Welt und in menschlicher Gemeinschaft durch Sinneseindrücke und Gefühlserlebnisse. Die Sprache ist vielfältig: Wir erzählen, klagen, schimpfen, loben und tadeln, danken und fluchen, reden und dichten. Darüber hinaus unterhalten wir uns mit künstlichen Systemen wie Alexa und Siri, doch den beiden bleibt verschlossen, wovon wir – und sie selbst – eigentlich sprechen."

*** Turing selbst ging übrigens davon aus, dass die Menschen den denkenden Maschinen immer einen Schritt voraus sind, weil Menschen eine Fähigkeit haben, die den Maschinen abgeht: Sie sind telepathisch veranlagt. Für Turing gab es vier Erscheinungsformen, die Maschinen nicht abbilden können, "nämlich Telepathie, Hellsehen, Prophetie und Psychokinese. Diese aufregenden Phänomene scheinen allen unseren üblichen wissenschaftlichen Vorstellungen zu widersprechen. Wie gerne würden wir sie leugnen! Unglücklicherweise sind die statistischen Hinweise, zumindest für die Telepathie, überwältigend. Es wird gerne überlesen, dass Turing für die Beweisführung forderte, dass das "Imitation Game" in einem "telepathie-undurchlässigen Raum" gespielt werden muss. Da bis heute nicht klar ist, wie ein solcher Raum gebaut werden kann, steht der echte Turing-Test noch aus. Für den Dichter Enzensberger, der großartige Lyrik wie "Die Scheisse" produzierte, war die Sache ohnehin klar, wie er im Kursbuch schrieb: "Die Automaten lernen bekanntlich excellent, nur offenbar nicht dichten. Das braucht nicht unbedingt gegen die Theorien zu sprechen, sicher aber gegen das Sendungsbewusstsein der Praktiker und ganz gewiss gegen die Nervösität von Autoren, die mit den Apparaten wetteifern zu müssen glauben oder schon kapituliert haben."

*** Eine ganz besondere Form der Telepathie beschäftigte den US-amerikanischen Science-Fiction-Autor Robert Sheckley in seinem 1959 veröffentlichten Roman über die Unsterblichkeit, verfilmt als "Freejack" mit dem unsterblichen Mick Jagger. In ferner Zukunft kann man das gesamte Bewusstsein eines Sterbenden in einer Datenbank für eine kurze Zeit im Computer speichern und von ihm aus in einen anderen Körper transferieren. In einem Fall klappte das nicht so richtig und der Sterbende überlebte die Prozedur. Er wird vogelfrei, ein Freejack, auf den ein Kopfgeld ausgesetzt wird und der deshalb von einer Mörderbande gejagt wird. Sheckley variierte hier ein Motiv einer Kurzgeschichte "The Price of Peril" aus dem Jahr 1958. Sie ist bei uns als "Das Millionenspiel" in die Fernsehgeschichte eingegangen und wurde heute vor 50 Jahren ausgestrahlt. Untermalt von der Musik von Can, die damals noch Innerspace hieß, jagt die Köhlerbande einen Menschen, auf den ein Kopfgeld von einer Million DM ausgesetzt ist. Das in dieser Kolumne mehrfach erwähnte Millionenspiel zeigte, wie dystopische Medien grundsätzlich einen fatalen Einfluss auf ihre Nutzer, die Gesellschaft und deren moralische Werte haben. Das Drehbuch zum deutschen TV-Spektakel schrieb übrigens Wolfgang Menge, der auf den Tag genau 42 Jahre nach der Erstausstrahlung des Spektakels starb, ein weiteres unspektakuläres Mosaiksteinchen mit der rätselhaften Zahl 42.

*** In der Europäischen Union ist eine Richtlinie zum Schutz der Whistleblower entstanden. "Ab dem 17. Dezember 2021 sollen sich Whistleblower auf sichere Kanäle zur Informationsweitergabe sowohl innerhalb von Unternehmen als auch gegenüber den Behörden verlassen können. Darüber hinaus sollen sie wirksam vor Entlassung, Belästigung oder anderen Formen von Vergeltungsmaßnahmen geschützt sein." Bei der Richtlinie geht es um Informationen über Geldwäsche, Unternehmensbesteuerung, Datenschutz und Lebensmittelsicherheit. Doch was macht eine mutige Altenpflegerin wie Brigitte Heinisch, die Missstände in ihrem Pflegeheim ans Tageslicht brachte? Die Pflege ist nicht von der EU-Richtlinie gedeckt und so war es aus der Sicht deutscher Gerichte in Ordnung, als Heinisch gekündigt wurde. Erst der Europäische Gerichtshof gab ihr 2011 nach vielen Jahren recht. Insofern ist es gut und wichtig, wenn jetzt ein deutsches Heldenschutzgesetz gefordert wird, das die Courage fördert und die Couragierten begleitet. "Würde es so ein Recht schon längst geben, dann wären wohl die Abgasmanipulationen der Autokonzerne, dann wären auch die Großbetrügereien bei Wirecard viel früher aufgeflogen."

*** Igor Levit mag ein schlechter Pianist sein, der kein Legato spielen kann, ein schlechter Jude und unwürdiger Verdienstkreuzträger meinetwegen auch, sogar den Bart könnte man kritisieren, wenngleich sein "Konkurrent" Daniil Trifonov auch solch einen Mundfussel trägt. Aber was bitte ist die antisemitische "Opferanspruchsidelogie", die ihm da von einem Musikkritiker ausgerechnet in der eben zum Heldenschutzgesetz zitierten Süddeutschen Zeitung zum Vorwurf macht? Was ist bloß dieses "opfermoralisch begründbare Recht auf Hass und Verleumdung", das Juden nach Ansicht dieses Kritkers für sich in Anspruch nehmen? Ist das eklige Stück eine Gegenwartsanalyse, dessen Absurdität stark in Richtung Eigensatire tendiert, um die wohl höflichste Kritik der Kritik zu zitieren? Die vom Kritiker verächtlich gemachte Twittercommunity (was ist das?) reagierte ungleich bösartiger. Immerhin wurde Twitter selbst von der Zeitung genutzt, um sich von dem Dreck reinzuwaschen, freilich eher ungeschickt mit dem Verweis, dass die Kritik "polemische Elemente" enthalten würde. So traurig es ist, dass niemand den Mut hat, sich für das Wort "Opferanspruchsideologie" zu entschuldigen, so ist das Ganze doch ein Abbild vom Zustand der deutschen Kulturseiten und Feuilletons. Um es mit dem frisch gekürten Jugendwort des Jahres 2020 zu sagen: lost.

Bleiben wir im Englischen. Dort heißt die Parole "Freiheit statt Angst" schlicht "Freedom not Fear" und das weist auf diese Veranstaltung hin, die coronabedingt natürlich online ausgetragen wird. Das Thema der biometrischen Überwachung passt (wieder einmal) wunderbar in eine Zeit, in der Forscher eifrig dabei sind, die Gesichtserkennung trotzt Maskenpflicht zu optimieren. Gerade in diesem Punkte wäre die Frage interessant, was eigentlich der hochgelobte Erkennungs-Testbetrieb am Berliner Bahnhof Südkreuz macht. Die letzten verfügbaren Nachrichten besagten, dass nach der ersten Phase mit der Gesichtserkennung ab 2019 die automatische "Erkennung von abweichendem Verhalten" auf der Testanordnung steht. Das passt doch prima zu den Auflagen, Abstand voneinander zu halten, in die Armbeuge zu husten und was der Föderalismus sonst noch an Maßnahmen ausheckt.

Gegen Abweichungen wird bei der Bahn künftig knallhart durchgegriffen – nicht vom Fahrplan, sondern gegen abweichendes Verhalten von Bahnhofspassanten, und vorerst auch nur am Berliner Bahnhof Südkreuz. Masken auf!

(tiw)