20 Jahre Wikipedia: Bollwerk gegen Fake News

Seite 2: Erster Hype und erste Probleme

Inhaltsverzeichnis

Die Folgejahre waren von rapidem Wachstum und Ansehensgewinn geprägt. Auf den Hype folgten aber auch erste peinliche Momente, die das Grundprinzip infrage stellten. Der US-Journalist John Seigenthaler war etwa per Wikipedia beschuldigt worden, in die Ermordung des US-Präsidenten John F. Kennedy verstrickt zu sein. Ein misslungener Scherz mit Folgen. Die Wikipedia musste sich damit auseinandersetzen, dass sie – auch wenn die Leser immer wieder davor gewarnt wurden – tatsächlich das Vertrauen der Leser genoss. Als Konsequenz zog Wikipedia einige neue Grenzen ein: Das Neuanlegen von Artikeln wurde einige Zeit auf angemeldete Nutzer beschränkt, später wurde ein Sichter-Status eingeführt, der verhindern sollte, dass jeder gelangweilte Teenager mit Wikipedia-Edits Schlagzeilen machen konnte. Zur Ehrenrettung trug die Arbeit der freiwilligen Autoren ein, die unbeeindruckt weiter Artikel anlegten und den Wettbewerb mit Brockhaus & Co. mittlerweile als sportliche Herausforderung empfanden.

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Das Projekt strauchelte zwar immer, konnte sich aber immer wieder aufrappeln; das lag an dem großen Bedarf für eine frei verfügbare Enzyklopädie, die sich nicht nur auf verstaubtes Buchwissen beschränkte. Die damals noch junge Suchmaschine Google konnte nicht von Hobbyblogs oder Microsofts Prestige-Enzyklopädie Encarta gefüllt werden. Projekte wie die Filmdatenbank IMDB oder die vielen Frage-Antwort-Portale waren zwar geeignet, den schnellen Wissenshunger zu stillen, scheiterten aber daran, die vielen Millionen gesammelten Fakten zu verknüpfen und ihnen einen übergreifenden Sinn zu verleihen. Den klassischen kommerziellen Enzyklopädien und dem Digital-Herausforderer Encarta stellte die Wikipedia-Community eine DVD-Ausgabe entgegen, sogar Print-Ausgaben wurden gedruckt. Solche Projekte dienten als Sammlungspunkt, um die Wikipedia auf Qualität zu trimmen: Dass eine Wikipedia-Ausgabe wegen falscher Informationen eingestampft werden müsste, wollte kein Wikipedianer riskieren. Schleichend, aber endgültig zwang die Wikipedia den Markt für klassische Groß-Enzyklopädien mit Preisen in den Tausenden von Euro in die Knie.

Es gab genug Digital-Konkurrenten, die ebenfalls den Platz der Wikipedia einnehmen wollten. Aber der Zwang zur Monetarisierung machte Wissensportale wie Google Knol oder Mahalo allenfalls zum schwachen Abklatsch. Die Entscheidung, der Werbefinanzierung dauerhaft abzusagen, erwies sich als richtig. Auch der Wechsel von der veralteten und sperrigen GFDL-Lizenz zu Creative Commons sicherte eine Weiterentwicklung der Wikipedia und der Integration in ein mittlerweile fast durchweg kommerzielles World Wide Web. Wozu Wikipedia Konkurrenz machen, wenn sich Wikipedia-Inhalte problemlos nutzen lassen? Gerade Google macht davon bis heute ausgiebig Gebrauch.

Mit seiner Prominenz als zunehmende präferierte Wissenplattform der breiten Öffentlichkeit stand Wikipedia auch immer im Kreuzfeuer juristischer Auseinandersetzungen. Den Prozess um den Realnamen des Hackers Tron gewann Wikimedia klar – verlor aber einige Sympathien. In anderen Ländern kam es erst gar nicht zum Prozess. Bereits 2005 stufte die chinesische Führung die Wikipedia als so relevant und zensurresistent ein, dass sie die Online-Enzyklopädie erstmals sperrte.

In anderen Ländern zeigte sich die politische Klasse eher interessiert, das eigene Image per Wikipedia aufzumöbeln – und Gegner abzukanzeln. Ein kleines Tool, das die IP-Bereiche von unangemeldeten Wikipedia-Autoren Institutionen und Firmen zuordnete, sorgte für einen langen Strom echter und vermeintlicher Enthüllungen. Misstrauen wuchs heran: Ist eine Änderung aus dem Bundestagsnetz normaler Alltag oder schon eine versuchte Manipulation? Wikipedia war inzwischen so prominent, dass es auch auf Konfrontationen ankommen lassen konnte: Sogar eine zeitweilige Sperre in Großbritannien im Jahr 2008 blamierte die dortige Medienaufsicht und setzte einen Präzedenzfall gegen Netzsperren; auch in einem Urheberrechtsstreit mit der National Portrait Gallery in London gingen die Wikipedianer siegreich vom Platz. Allerdings: In den Folgejahren musste Wikipedia hier auch immer wieder Niederlagen einstecken.