20 Jahre Wikipedia: Bollwerk gegen Fake News

Seite 3: Talfahrt zum Jubiläum

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Im Internet gibt es kein Abonnement auf Erfolg, das musste die Wikipedia-Bewegung um den 10. Geburtstag erfahren. Die großen Pläne, Wikis auf alle möglichen Bereiche des Internets auszudehnen, verflüchtigten sich recht schnell. Jimmy Wales versuchte Google mit einer Wiki-Suchmaschine den Rang abzulaufen -- und scheiterte. Auch die ambitionierten Wachstumspläne von Sue Gardner, Chefin der nun in San Francisco angesiedelten Wikimedia Foundation, lösten sich in Luft auf: Statt zu wachsen, schrumpfte die Gemeinde der kostenlos arbeitenden Wikipedia-Autoren rapide.

Die Wikipedia erschien angesichts neuer Zeitvertreibe im Internet wie Facebook oder Twitter plötzlich als unattraktiv und die Mitarbeit als undankbare Aufgabe. Aber wieder rappelte sich Wikipedia auf – auch gegen den Widerstand der Traditionalisten in der Community. So wurde der neue Visual Editor, der die Mitarbeit an der Wikipedia wesentlich vereinfachen sollte, im Streit von oben durchgedrückt. Schuld waren auch technische Altlasten: So war die bis dahin verwendete "Wiki-Syntax" immer wieder erweitert worden, dass der neue Editor nur mit großen Mühen programmiert werden konnte.

Seither gab es reichlich Zerwürfnisse und sogar regelrechte Dramen. Eine Konfliktlinie verläuft zwischen denen, die Wikipedia aufgebaut haben und jeder grundlegenden Veränderung skeptisch gegenüberstehen und denen, die die Wikimedia-Bewegung als Mittel sozialen Wandels sehen und teils für radikale Reformen plädieren. Klar scheint zu sein: die Wikipedia braucht dringend frisches Blut, um nicht an Relevanz zu verlieren und die Arbeit der Wissenspflege auf Dauer leisten zu können.

Unter der Ägide der derzeitigen Chefin der Wikimedia Foundation Katherine Maher ist die Stiftung und die Wikipedia-Community wieder in ruhigeres Fahrwasser gelangt. Die Wikipedia wächst wieder – wenn auch nicht mehr exponenziell. Konflikte gibt es immer noch mehr als genug – aber der Kontrast zwischen der Wissensmission der Wikipedia und den Informationen, die auf Plattformen wie Facebook, YouTube oder sogar reichweitenstarken Medien gestreut werden, verstärkt das Ansehen der Wissensplattform – von außen und von innen.

Wikipedia geht gestärkt in sein drittes Jahrzehnt, leider nicht als Repräsentant, sondern als krasse und deshalb unverzichtbare Ausnahmeerscheingung im Internet. Wo die Reise hingeht, ist offen. Die Wikimedia Foundation arbeitet an einer inklusiveren Version der Wissensplattform, darf dabei aber die politischen Reibungskräfte innerhalb der eigenen Community und die eigenen Ressourcen nicht überstrapazieren. Für die derzeitige Stabilität spricht, dass die Wikimedia Foundation sogar an der Möglichkeit automatisiert geschriebener Artikeln forscht, ohne dass es zu großen Zerwürfnissen kommt. Rapider Wandel ist allerdings nicht zu erwarten. Zeit für eine Bilanz der aktuellen Bemühungen ist es wohl erst wieder zum 25. Geburtstag.

(anw)