Amazon: Werkzeuge überwachen Angestellte und protokollieren Länge jeder Pause

Die Scanner, die Angestellte in Amazon-Lagern in den USA für ihre Arbeit brauchen, protokollieren auch jede Minute Unproduktivität. Täglich wird nachgehakt.

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(Bild: Frederic Legrand - COMEO/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Amazon überwacht die Angestellten in den US-Lagern mit den Geräten, die sie für ihre Arbeit brauchen. Die werden nicht nur für das Scannen der Pakete benötigt, sondern registrieren auch, wenn der oder die jeweilige Angestellte nicht arbeitet. Das heißt "Time off Task" ("TOT") und in mindestens einem Lager seien Führungskräfte angewiesen worden, jeden Tag die Person mit der längsten TOT zu befragen. Das berichtet Motherboard unter Berufung auf interne Dokumente, die im Rahmen eines Rechtsstreits öffentlich geworden sind. Beispielsweise solle dann ergründet werden, warum jemand so lange auf Toilette zubrachte, zitiert das US-Magazin.

Der Bericht gibt einmal mehr Einblicke in die Zustände bei Amazon, sie wurden im Rahmen eines Rechtsstreits bei der Arbeitnehmerschutzbehörde NLRB (National Labor Relations Board) eingereicht. Zusammengetragen sind unter anderem minutengenaue Auflistungen von unproduktiven Pausen der Angestellten, darunter auch Toilettengänge und Wechsel der Arbeitsplätze. Die "Top-Offender" sollen die dann vor ihren Vorgesetzten erklären, um gegebenenfalls eine Verringerung der Fehlzeiten zu erreichen. Unter Umständen soll sich dann der oder die Angestellte auf Platz 2 rechtfertigen. Werden bestimmte Grenzwerte an einem einzelnen Tag oder wiederholt mehreren Tagen überschritten, können Angestellte dafür entlassen werden.

In einem zitierten Beispiel wurden einem oder einer Angestellten Pausen erlassen, die auf den Gang zur Toilette oder ein technisches Problem zurückgingen, nicht aber 10 Minuten für eine Unterhaltung, 15 Minuten für Zeit auf der falschen Etage und 11 Minuten, für die es keine Erklärung gab. Welche drastischen Folgen das haben kann, hatte die New York Times im vergangenen Jahr ausgeführt. Eine Angestellte, die die Vorgaben und Metriken eigentlich unterstützte, hatte demnach einen besonders schlechten Tag: Nachdem ihr Bus Verspätung gehabt hatte, sei sie an einen anderen Arbeitsplatz beordert worden, der aber bereits besetzt gewesen sei. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, zu arbeiten, sei sie durch das Lager gelaufen. Angesichts der auflaufenden TOT sei sie noch am Nachmittag entlassen wurden. Amazon will solche kurzfristigen Entlassungen abgeschafft haben.

Die von Motherboard veröffentlichten Dokumente stammen aus dem Amazon-Lager mit der Bezeichnung JFK8 in Staten Island in New York. Dort hat sich Anfang April erstmals eine Mehrheit der Beschäftigten für die Gründung einer Arbeitnehmervertretung ausgesprochen, es war ein Novum für Amazon in den USA. Beschäftigte haben Motherboard dem Bericht zufolge erzählt, dass sie selbst keinen Einblick in ihre TOT haben. Aus Angst vor Disziplinarmaßnahmen oder Entlassungen würden sie Toilettenpausen auslassen und Unterbrechungen, um etwas zu trinken. Das Magazin hat demnach in den Daten 18 Angestellte gefunden, die entlassen worden seien, weil sie an einem Tag im Januar beziehungsweise Februar 2020 über zwei Stunden TOT angesammelt hätten.

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Für Amazon sind die Enthüllungen nicht die ersten zu den fragwürdigen Praktiken gegenüber der eigenen Belegschaft. Fast schon sprichwörtlich sind die Berichte über Angestellte und Lieferfahrer beziehungsweise -fahrerinnen für den Onlinehändler, die wegen der immensen Arbeitsbelastung keine Zeit finden, um auf die Toilette zu gehen. Auch bei den TOT geht es nun wieder darum. Anfang April war außerdem bekannt geworden, dass Amazon an einem internen Messenger für sein Unternehmen arbeitet, der etwa die englischen Begriffe für "Gewerkschaft", "Lohnerhöhung" oder "Toilette" blockiert. Den Umgang mit den TOT rechtfertigt Amazon laut Motherboard damit, dass die Erledigung von Aufgaben essenziell sei für "den kundenorientiertesten Konzern der Welt".

(mho)