BGH zum Abgasbetrug: Betroffene können noch klagen

Wer im Abgasbetrug von Volkswagen zu spät oder bislang noch gar nicht vor Gericht gezogen ist, bekommt dazu nun erneut die Gelegenheit.

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VW Golf 6

Besitzer eines VW Golf 6 TDI könnten mit dem BGH-Urteil Volkswagen verklagen, sofern sie ihr Auto nach Februar 2012 als Neuwagen erworben haben. Rechnen dürfte sich das nur für die Wenigsten.

(Bild: VW)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • dpa
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Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat eine wichtige Entscheidung im Prozess rund um den Abgasbetrug von Volkswagen getroffen. Besitzer von Fahrzeugen mit Dieselmotor, deren Abgasnachbehandlung manipuliert wurde, können auch dann Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung haben, wenn sie zu spät oder gar nicht vor Gericht gezogen sind. Ein Restschadenersatz kann allerdings nur geltend gemacht werden, wenn das Auto einst als Neuwagen vom Kläger erworben wurde. Gebrauchtwagenkäufer gehen leer aus. (Aktenzeichen VIa ZR 8/21 u.a.)

Dass Volkswagen wegen der illegalen Abgasnachbehandlung des Dieselmotors EA189 grundsätzlich Schadenersatz zahlen muss, hat der BGH längst entschieden. Aber die Ansprüche müssen binnen drei Jahren geltend gemacht werden, sonst verfallen sie. Tausende sind zu spät vor Gericht gezogen. Viele andere haben gar nichts unternommen und sind deshalb leer ausgegangen. Im Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzungen steht deshalb seit geraumer Zeit eine Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch, Paragraf 852. Danach kann es auch nach Eintritt der Verjährung noch Ansprüche geben, wenn "der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt" hat. Denn niemand soll daraus Profit schlagen, dass er einem anderen Schaden zugefügt hat, nur weil der nicht rechtzeitig klagt.

Der BGH entschied jetzt zum ersten Mal, dass sich Neuwagenkäufer im Abgasbetrug auf diesen Paragrafen berufen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr Auto direkt bei Volkswagen oder über einen Händler erworben haben. Gleichzeitig bekräftigten die obersten Zivilrichter die Urteile eines anderen Senats vom 10. Februar 2022, wonach Gebrauchtwagenkäufer generell leer ausgehen.

Unklar war auch, was "etwas erlangt" eigentlich bedeutet, also wie viel Volkswagen betroffenen Klägern zahlen muss. Der Konzern vertritt die Auffassung, dass damit nur der reine Gewinn gemeint sein kann, die Herstellungskosten für das Auto also berücksichtigt werden müssten. Das sieht der BGH allerdings anders. Die Richter lassen keine Abzüge zu, denn Volkswagen habe sich "böswillig bereichert". Damit läuft die Berechnung wie beim eigentlichen Schadenersatz: Volkswagen muss den Kaufpreis größtenteils zurückerstatten; beim Kauf über einen Händler wird nur dessen Gewinnmarge abgezogen. Dafür muss der Kunde sein Auto hergeben und sich die damit zurückgelegten Kilometer anrechnen lassen.

Wie viel Geld jeweils übrig bleibt, haben die Gerichte im Einzelfall zu bestimmen. In den beiden Musterfällen, die sich der BGH ausgesucht hatte, müssen das nun die Oberlandesgerichte in Koblenz und Oldenburg nachholen. Die Richter dort waren der Ansicht gewesen, dass dem Kläger generell kein Restschadenersatz zusteht, und hatten sich mit den Einzelheiten deshalb nicht näher befasst.

Laut Volkswagen laufen zum Restschadenersatz bei Neuwagen derzeit rund 3000 Gerichtsverfahren. Darunter sind nach Angaben einer Sprecherin aber auch Konstellationen, auf die sich die beiden BGH-Urteile nicht ohne Weiteres übertragen lassen. Dort geht es um Kunden, die ihr Auto als Reimport, Vorführwagen oder mit Tageszulassung erworben haben. Andere Fälle betreffen Dieselautos der Konzernmarken Skoda und Audi, für die Volkswagen ausschließlich den Motor hergestellt hat.

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Betroffene können aber auch jetzt noch auf Restschadenersatz klagen. Die Frist dafür beträgt zehn Jahre ab Kauf. Damit kommt eine Klage noch für Besitzer infrage, die ihr Auto zwischen Februar 2012 und September 2015 erworben haben. Die vom Abgasbetrug betroffenen Fahrzeuge sind inzwischen mindestens sechseinhalb Jahre alt und dürften in vielen Fällen reichlich Kilometer auf dem Tacho haben. Hier kann es passieren, dass der sogenannte Nutzungsersatz, den Kläger an Volkswagen zahlen müssen, den ursprünglichen Kaufpreis nahezu auffrisst. Dazu kommt die Frage, ob man sich wirklich von seinem Auto trennen möchte. Volkswagen erklärte: "Es kommt auf den Einzelfall an, ob die Geltendmachung eines solchen Anspruchs für Kunden wirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist." Die Anspruchshöhe sei "für die in der Regel älteren und intensiv genutzten Fahrzeuge stark beschränkt".

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
)

(mfz)