Big Brother Awards Austria für TikTok-Spitzelei und europäische Chat-Überwachung

Die EU-Innenminister legalisieren nachträglich illegale Europol-Überwachung. PimEyes findet nichts dabei 10 Milliarden fremde Fotos zu rastern. Preisverdächtig!

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Logo der österreichischen Big Brother Awards, dahinter im Dunkeln roter Vorhang
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Zahllose Firmen drängen uns ihre Apps auf. Meist bringen diese Programme wenig Mehrwert – für die Nutzer. Die Firmen profitieren durchaus, nicht zuletzt durch In-App-Browser. Mit diesen kann der App-Betreiber Code einschleusen und Informationen auslesen. Dafür vergibt die Jury des österreichischen Big Brother Awards den Negativpreis 2022 in der Kategorie Kommunikation und Marketing – an TikTok, weil diese App die Nutzung des Standardbrowsers verunmöglicht.

"Die App kann JavaScript-Code in Websites von Drittanbietern injizieren, um deren Inhalt zu ändern. Dazu gehört das Hinzufügen von Tracking-Code (wie Eingaben, Textauswahl, Tabs usw.), das Einfügen externer JavaScript-Dateien, sowie das Erstellen neuer HTML-Elemente", schreibt sie, "Diese Unsitte, uns ausspionieren zu müssen, nutzen viele der In-App-Browser."

Auch bei Facebook und Instagram wird beim Öffnen einer Webseite im In-App-Browser ein JavaScript auf der jeweiligen Seite ausgeführt. So werden Tastatur- und Toucheingabe mitgelesen und protokolliert. Eine Nominierung zum Big Brother Award hätten sie alle verdient. Aber: "Bei anderen Apps kann man in der Regel über einen Menüpunkt auswählen, dass der Link in einem anderen Browser geöffnet werden soll – nur bei TikTok geht das nicht."

Manche Apps haben durchaus Mehrwert für die User. Dazu zählen Messaging-Apps, die Inhalte ordentlich verschlüsseln, nämlich Ende-zu-Ende. Das ist eine der wichtigsten Abwehrmöglichkeiten gegen Verbrecher und Überwachungskapitalisten, weshalb nicht zuletzt das BSI Ende-zu-Ende-Verschlüsselung empfiehlt. Geschützt ist unsere private Kommunikation durch Briefgeheimnis, Telekommunikationsgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention.

Doch das ficht EU-Kommissarin Ylva Johansson nicht an, eine EU-Verordnung auf den Weg zu bringen, die den Schutz der privaten Kommunikation aushebeln soll. Ganz ohne Verdacht oder gar Gerichtsbeschluss: Johansson will Onlinedienste zwingen, Inhalte nach Missbrauchsdarstellungen und Grooming zu durchforsten – selbst in verschlüsselten Chats. Der Schutz müsste also technisch geschwächt werden, was weiteren Dritten das Eindringen erleichtern würde – darunter auch Diktatoren in anderen Ländern. Jetzt darf sich Johansson über den Big Brother Award Austria 2022 für Politik "freuen".

Europol wurde dabei erwischt, umfangreich Daten über Personen zu sammeln, obwohl es keine nachgewiesene Verbindung zu kriminellen Aktivitäten gibt. Der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) erteilte Europol den Auftrag, die rechtswidrig gesammelten Daten zu löschen. Auftritt EU-Rat: Die Innenminister der EU-Staaten beschlossen eine neue EU-Verordnung, die die rechtswidrige Speicherpraxis rückwirkend legalisieren sollen.

Damit zeigen die Minister wieder einmal, wie leicht es ist, die Kriminalitätsrate zu senken: Man ändert die Rechtslage. Nun hat Europol ein Mandat zur Massenüberwachung, auch von unverdächtigen Personen. Damit hat sich der EU-Rat der Innenminister den Big Brother Award 2022 für Behörden und Verwaltung verdient, hat die österreichische Jury entschieden.

Die Preisträger wurden Dienstagabend, dem Vorabend des österreichischen Nationalfeiertags, im Rahmen einer Gala im Wiener Rabenhof Theater bekannt gegeben. Den Mut, sich seinen Preis persönlich abzuholen, hatte niemand. Das anwesende Publikum kor ebenfalls einen Preisträger: Es stimmte mit deutlichem Abstand für die EU-Innenminister und Europol.

"Ein Foto von einem Handy oder einer Sicherheitskamera genügt, schon liefert PimEyes zahlenden Kunden Links zu ähnlichen oder identischen Gesichtern im Netz", denn PimEyes sucht fremde Bilder im Netz, rechnet sie in Hashes um und speichert diese Hashes in einer Datenbank. Damit beunruhigt PimEyes sogar Polizisten, die ja auch Gesichter haben.

Big Brother Awards Austria - Gala 2022 (8 Bilder)

Laudator Fred Thurnheim

Fred Thurnheim ist Journalist und war bis 2021 Präsident des Österreichischen Journalisten Clubs (ÖJC). Gemeinsam mit Hans Preiner hat Thurnheim den Prof.-Claus-Gatterer-Preis für sozial engagierten Journalismus initiiert.
(Bild: Joanna Pianka)

Mehr als zehn Milliarden Fotos hat die Firma so verwurstet. Da es aber "keine Fotos speichert", glaubt PimEyes, keine Probleme mit den Datenschutzbehörden zu bekommen. Das angebotene Opt-Out ist lebensfremd: "Solche Angebote, die sensible Daten verarbeiten, müssen sich des Opt-In bedienen, bei der es vorab einer aktiven Zustimmung bedarf", sagt die Jury, und erteilt den Zuschlag für den Big Brother Award in der Sparte Business und Finanzen.

Unter Weltweiter Datenhunger gewinnt – wie schon 2017 – Amazon. Denn Amazon steigt mit einer Milliardenübernahme groß in Gesundheitszentren ein, indem es die US-Polikliniken-Kette One Medical kauft. Darin erkennen die Preisrichter den Versuch, die Marktmacht des Konzerns auf weitere Branchen auszudehnen. Eine Versandapotheke hat der Datenkonzern längst. Und: "Amazon sammelt an zahlreichen Stellen Informationen über die (potentiellen) Kunden seiner Angebote im Gesundheitsbereich", nicht zuletzt durch vernetzte Geräte für das Zuhause. Den konkreten Vorwurf gegen Amazon in Bezug auf One Medical hat die Jury in ihrer Begründung aber nicht herausgearbeitet.

Veranstalter der Big Brother Awards Austria ist der Verein quintessenz, der sich für Bürgerrechte im digitalen Zeitalter einsetzt. Kommendes Jahr schaffen die Big Brother Awards Austria ein rundes Jubiläum: Die 25. Auflage soll an einem neuen Veranstaltungsort und in einem neuen Format gefeiert werden.

Das ist auch notwendig. Letztes Jahr hat sich gezeigt, dass die Big Brother Awards Austria alt werden.

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(ds)