Boeing beendet Streik: 44 Prozent mehr Gehalt für 33.000 Mitarbeiter
Nach 53 Tagen Streik läuft bei Boeing die Arbeit wieder an. Die Streikenden stimmen für 13 Prozent mehr Gehalt sofort, 44 Prozent mehr über 4 Jahre.

Boeing-Flugzeuge vor der Auslieferung
(Bild: Daniel AJ Sokolov)
"Es gibt keine Boeing ohne IAM". Unter diesem Motto hat die Gewerkschaft IAM (International Association of Machinists and Aerospace Workers) 53 Tage lang die Boeing-Produktion bestreikt. Mit einem Erfolg, der sich sehen lassen kann. In vier Jahren, wenn die erzielte Einigung ausläuft, werden die Kollegen 43,65 Prozent mehr verdienen als bislang.
Dennoch ist die Begeisterung unter der Belegschaft bescheiden. Denn es gibt offenbar kein Versprechen Boeings, die Streichung von konzernweit 17.000 Stellen (von insgesamt rund 170.000) zurückzunehmen. Die Stellenkürzung betrifft alle Bereiche, nicht nur die bestreikte Produktion. Dennoch haben lediglich 59 Prozent der 33.000 Streikenden aus der Produktion für die neue Vereinbarung mit höheren Gehältern gestimmt. Zustande gekommen ist die Einigung nur dank Vermittlung der amtierenden US-Arbeitsministerin Julie Su.
Doch eine Mehrheit ist eine Mehrheit, sodass der Streik beendet ist. Die Gehälter steigen sofort um 13 Prozent, in den nächsten drei Jahren kommen neun, neun und sieben Prozent hinzu, in Summe 38 Prozentpunkte. Mit Aufzinsung sind das 43,65 Prozent. Außerdem gibt es eine Sofortzahlung von 12.000 US-Dollar als Wiedergutmachung für die während des Streiks vorenthaltenen Gehälter. Die unterste Gehaltsstufe wird fortan automatisch entsprechend der Lebenshaltungskosten indiziert, zudem nimmt Boeing geplante Kürzungen bei Bonusprogrammen und Pensionsvorsorgebeiträgen zurück. Verbesserungen gibt es auch bei Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit sowie Überstundenregeln.
"Existenzsichernde Bezahlung"
Die Gewerkschaft spricht von "lebensverändernden" Verbesserungen, dank derer Boeing-Arbeiter ihre Familien ernähren können. Sie hofft, dass das Beispiel branchenweit Schule macht und mehr werktätige Amerikaner davon überzeugt, einer Gewerkschaft beizutreten.
"Der Vertrag schafft auch ein neues Fundament für die Zukunft", schreibt IAM, "Wir sind bereit, Boeing bei der Kursänderung zu helfen, und zum Bau der besten und sichersten Flugzeuge der Welt zurückzukehren. Unsere Mitglieder sind unerlässlich für diese Aufgabe, und jetzt haben wir eine stärkere Stimme in den Entscheidungsprozessen um sicherzustellen, dass diese notwendigen Verbesserungen erfolgen."
Boeing hat sich verrechnet
Tatsächlich hat Boeing eine Kursänderung dringend nötig. Sicherheitsprobleme wirken sich seit dem Absturz zweier Flugzeuge der Baureihe 737 Max 8 im Oktober 2018 und März 2019 auf den Geschäftsverlauf Boeings aus; erst fünf Jahre nach den (wohl vermeidbaren) Unfällen hat sich Boeing des Verbrechens der Verschwörung zum strafrechtlichen Betrug schuldig bekannt. Dieser Schritt war nicht mehr zu vermeiden, nachdem eine praktisch neue Boeing 737 Max 9 Anfang des Jahres während des Fluges eine Türlochabdeckung verloren hatte.
Hinzu kommen erhebliche Verluste mit Raumfahrt- und Militäraufträgen. Das Unternehmen hat Fixpreisverträge geschlossen und sich dabei gewaltig verrechnet. Inzwischen wird sogar über einen Verkauf der Raumfahrtsparte an Blue Origin gemunkelt. Der Streik hat die finanzielle Situation verschlimmert und speziell die Herstellung von Militärprojekten abgeleiteter Zivilprodukte ausgebremst. US-Medien schätzen die Streikkosten auf 100 Millionen Dollar pro Tag.
Die Probleme sind nicht plötzlich aufgetreten, sondern über Jahrzehnte zusammengekommen. Besonders die vom einstigen CEO Harry Stonecipher betriebene Strategie des Outsourcings hat sich nachhaltig ausgewirkt. Ihm war wichtig, dass Boeing "wie ein Business läuft anstatt als tolle Technikfirma." Seit seinem Amtsantritt als Boeing-President 1997 hat die Firma mehr als 60 Milliarden US-Dollar für den Kauf eigener Aktien ausgegeben. Das stützt den Aktienkurs, was dem Management sicher nicht schadet; doch fehlt das Geld dann an anderer Stelle, etwa bei der Qualitätssicherung, der Entwicklung einer neuen Generation von Flugzeugen und der Entlohnung der Mitarbeiter. Seit August ist Robert "Kelly" Ortberg neuer Boeing-Chef.
(ds)