Bundesregierung will "mutigere Datenkultur", Digitalcheck und Bürokratieabbau

Das Bundeskabinett hat eine neue Datenstrategie sowie Eckpunkte für einen Digitalcheck und zum Bürokratieabbau beschlossen. Die Verwaltung soll mehr KI nutzen.

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Papierstapel neben Laptop

(Bild: KorArkaR/Shutterstock.com)

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Zum Abschluss ihrer Klausur auf Schloss Meseberg hat die Bundesregierung am Mittwoch ein Paket mit digitalen Initiativen verabschiedet. Dazu gehört eine neue Datenstrategie, die im Dezember nicht mehr rechtzeitig zum Digitalgipfel fertig geworden war. Mit dem knapp 40-seitigen Papier mit dem Titel "Fortschritt durch Datennutzung" will das Bundeskabinett eine "mutige und verantwortungsvolle Datenkultur" begründen. Neben staatlichen Stellen sieht es dabei "zivilgesellschaftliche Gruppen, Wirtschaftsunternehmen und Forschungsinstitutionen" in einer wichtigen Rolle, "die Bereitschaft zum freiwilligen Datenteilen" zu unterstützen.

Auch Individuen sollen befähigt werden, ihre Daten selbstbestimmt im öffentlichen Interesse gleichsam zu spenden, heißt es in dem Dokument: "Wir unterstützen es, wenn Einzelpersonen oder Institutionen einen aktiven Beitrag zur Datenverfügbarkeit leisten (Datenaltruismus)." Gleichzeitig sollen Nutzer aber lernen, mit ihren persönlichen Informationen "verantwortungsvoller und achtsamer in Bezug auf alltägliche Transaktionen" etwa in Apps umzugehen.

Die Ambivalenz zwischen einer verstärkten Datennutzung und dem Schutz der Privatsphäre und andere damit verknüpfte Dokumente zieht sich durch die Strategie. Mit der neuen Datenstrategie wird die Regierung die Rahmenbedingungen etwa für "Investitionen in die Datenwirtschaft" verbessern – "auch gegenüber dem Datenschutz", war einem im Rahmen der Tagung verbreiteten 10-Punkte-Plan zu entnehmen. Im finalen Papier ist dazu vorsichtiger zu lesen: Nötig sei eine beständige und sorgfältige Balance vor allem entlang der Frage: "Wie erreichen wir die notwendige Ausweitung von Datenzugang und -nutzung bei Einhaltung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung?"

"Die Nutzung von Daten trägt zu einer besseren Gesundheitsversorgung bei, eröffnet der Wissenschaft neue Erkenntnisse und der Bildung neue Möglichkeiten, verbessert Produktionsabläufe, fördert innovatives staatliches Handeln", hebt die Regierung hervor. Sie helfe, "Ressourcen zu schonen, und erleichtert vielfach den Alltag". Gerade durch die hochdynamische Entwicklung von digitalen Technologien und Anwendungen wie der Künstlichen Intelligenz (KI) würden die Erweiterung des Zugangs zu insbesondere qualitativ hochwertigen Daten sowie deren verantwortungsvollen Nutzung immer wichtiger. Man wolle daher mit gutem Beispiel vorangehen und deutlich mehr und hochwertigere Informationen der öffentlichen Hand zugänglich machen.

KI-Potenziale will die Regierung auch für den Staat erschließen. Dabei liebäugelt sie etwa mit der Entwicklung eigener großer Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs), die künftig als Grundlage für Chatbots in Rathäusern und andere Behörden dienen könnten: "Wir prüfen, ob und inwieweit LLMs in der öffentlichen Hand sinnvoll und unter Wahrung des Datenschutzes zum Einsatz kommen sollten." Mehrere Kontroll- und Bewertungsstellen wie die Bundesdatenschutzbehörde sollen dabei zusammen mit den Datenlaboren der Ministerien auf die Einhaltung der Regeln achten und sich an den Leitlinien der digitalen Souveränität orientieren.

Die Vorhaben sollen bis Ende 2024 umgesetzt werden. Bei Vorhaben wie dem Forschungsdatengesetz, einem Rechtsanspruch auf Open Data und dem vielfach geforderten Bundestransparenzgesetz zur Weiterentwicklung der Informationsfreiheit will sich die Regierung bis Ende kommenden Jahres Zeit lassen. Die grünen Innen- und Digitalpolitiker Konstantin von Notz und Misbah Khan mahnen aber, das zentrales Anliegen, staatliches Handeln transparenter, offener und nachvollziehbarer zu machen, nicht auf die lange Bank zu schieben.

Um die Einheitlichkeit Datenschutzaufsicht noch weiter zu verbessern, will das Kabinett für länderübergreifende, gemeinsam verantwortete Projekte die Option einer allein zuständigen Kontrollbehörde prüfen. Privacy-Enhancing Technologies (PETs) sowie Privacy und Security by design sind weitere Stichworte. Ein "ermöglichender Datenschutz" soll im Rahmen des EU-rechtlich Zulässigen "durch gesetzliche Erlaubnistatbestände, Regelbeispiele und Klarstellungen sowie 'Opt-out'-Ansätze oder im Bereich der wissenschaftlichen Forschung durch Broad Consent vorangebracht werden".

"Die Datenstrategie muss den dringend notwendigen Paradigmenwechsel beim Umgang mit Daten einleiten", forderte der IT-Verband Bitkom. Die Koalition habe in Meseberg aber nur ein aktualisiertes Pflichtenheft vorgelegt – fast alle enthaltenen Einzelmaßnahmen seien bereits an anderen Stellen aufgeführt. Es gelte nun, die Agenda mit anderen Digitalprogrammen zu verzahnen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber vermisste bereits bei der schwarz-roten Vorgängerstrategie von 2021 einen Bezug zum Gutachten der Datenethik-Kommission. Entscheidend sei es, in deren Sinne einen "Straftatbestand des Versuchs der Deanonymisierung von Daten" zu schaffen, forderte der Kontrolleur und unterhielt für seinen Appell Unterstützung von Forschern. Nun verspricht die Koalition zumindest eine "konsequente Umsetzung von technischer und organisatorischer Datensicherheit". Mittel dafür könnten "die Anonymisierung oder Pseudonymisierung von Daten" sowie der Einsatz von Datenräumen und Treuhändern sein.

Die Bundesregierung hat ferner Eckpunkte für einen Digitalcheck beschlossen, mit dem Gesetzes- und Verordnungsentwürfe künftig standardmäßig auf ihre Digitaltauglichkeit überprüft werden sollen. Ebenfalls in Arbeit ist ein nationales Bürokratieentlastungsgesetz.

Politische Vorhaben wie die Energiekostenpauschale, die Wohngeldreform und künftig die Kindergrundsicherung seien in der Umsetzung oft digitale Vorhaben, erklärt das Bundesinnenministerium. Viele Gesetze enthielten aber noch Regelungen, die eine digitale Herangehensweise erschwerten. Dies zeige sich aber oft erst, "wenn das Gesetz längst beschlossen ist". Alle geplanten neuen Regelungen des Bundes sollten daher von Anfang an die Anforderungen und Möglichkeiten der späteren digitalen Umsetzung mitdenken und die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, damit Bürger, Verwaltung und Unternehmen "Leistungen möglichst einfach und problemlos online nutzen können". Technologieoffenheit, Wiederverwendung von Daten und Standards sowie Automatisierung sollen dabei helfen.

Der Nationale Normenkontrollrat, der die Einhaltung der Vorschriften überprüfen soll, begrüßte die Eckpunkte. Gleichzeitig empfahl er, Gesetze und ihre Umsetzung stärker zu visualisieren. Die Ministerien sollten die Prozessschritte geplanter Regelungen in einem Flussdiagramm konkret aufschlüsseln. So werde beispielsweise deutlich, "welche Daten eine Behörde für welchen Vollzugsschritt benötigt und wo ein Gesetz in der Praxis auf analoge Grenzen stößt". Dass der Digitalcheck derzeit nur ein PDF-Dokument sei, das von den Ressorts ausgefüllt werde, müsse sich dringend ändern.

Vom skizzierten Bürokratieabbau sollen etwa Fluggäste und die Tourismusbranche profitieren. Die Regierung will dazu das Passgesetz erweitern. Stimmt der oder die Reisende zu, sollen die im Chip von Reisepässen hinterlegten Daten an Luftfahrtunternehmen übermittelt werden. So könnten Kontrollprozesse digital und kontaktlos abgewickelt werden, also etwa der Check-in, die Gepäckaufgabe und die Zugangskontrolle zum Sicherheitsbereich und vor dem Boarding. Für Hotels soll die Vorgabe entfallen, für jeden deutschen Gast einen Meldeschein auszufüllen.

Der Gesetzgeber will im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die elektronische Form zur Regel machen. Deshalb sollen zahlreiche Schriftformerfordernisse so weit wie möglich abgeschafft werden. Wo dies nicht möglich ist, sollen digitale Verfahren als Brückentechnologie eingesetzt werden. So soll es künftig möglich sein, eine schriftliche Kündigung eines Mietvertrages mit dem Smartphone abzufotografieren und dem Vermieter als elektronische Kopie zu übermitteln. Auch generell soll der Rechtsverkehr für Wirtschaft und Bürger vereinfacht und so weit wie möglich digitalisiert werden.

(mack)