Desinformation: Nutzer sollen Algorithmen von Facebook & Co. anpassen können

Soziale Netzwerke müssen ihre Empfehlungssysteme künftig offenlegen und die virale Verbreitung von Desinformation einschränken, fordert die EU-Kommission.

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(Bild: Dilok Klaisataporn/Shutterstock.com)

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Im Kampf gegen Falschnachrichten will die EU-Kommission einen Gang höher schalten. Sie hat dazu am Mittwoch Leitlinien veröffentlicht, mit denen der 2018 vorgelegte europäische Verhaltenskodex gegen Desinformation gestärkt und zu einem wirksameren Instrument ausgebaut werden soll. Die Unterzeichner werden damit angehalten, die finanziellen Anreize für "Fake News" zu verringern und die Nutzer stärker zu befähigen, aktiv am Kampf gegen Desinformation vorzugehen.

"Empfehlungssysteme haben einen erheblichen Einfluss darauf, welche Informationen von den Nutzern tatsächlich aufgerufen werden", schreibt die Kommission in ihrer Mitteilung. Sie legten die Reihenfolge fest, in der Informationen präsentiert würden. Es sei daher von größter Bedeutung, dass die Unterzeichner des gestärkten Kodex sich verpflichten, die Priorisierungskriterien ihrer Empfehlungssysteme transparent zu machen. Dazu kommen solle die Option für die Nutzer, "die Bewertungsalgorithmen anzupassen". User könnten dann besser selbst entscheiden, welche Inhalte sie sehen wollen.

"All dies sollte unter gebührender Berücksichtigung des Grundsatzes der Medienfreiheit" erfolgen, erläutert die Brüsseler Regierungsinstitution. Zudem müssten die Anforderungen des geplanten Digital Services Act (DSA) beachtet werden. Betreiber sollen laut dem Entwurf für das Plattformgesetz mindestens einmal jährlich klare, leicht verständliche und ausführliche Berichte über die von ihnen in dem betreffenden Zeitraum durchgeführte Inhaltsmoderation veröffentlichen. Darin wären dann algorithmische Entscheidungen und ihre menschliche Kontrolle anzuführen.

Die neuen Pflichten aus dem Kodex sollen auch konkrete Maßnahmen umfassen, um das Risiko zu mindern, dass Empfehlungssysteme die virale Verbreitung von Desinformationen anheizen. Falsche beziehungsweise irreführende Informationen, die von unabhängigen Faktenprüfern als solche entlarvt worden seien, müssten von empfohlenen Inhalten ausgeschlossen werden. Wer damit interagiert, soll gewarnt werden. Webseiten und Akteuren, "die beharrlich Desinformationen verbreiten", dürfe keine Plattform geboten werden.

Bislang haben neben Vertretern der Werbe- und Kommunikationsbranche Betreiber sozialer Netzwerke und von Suchmaschinen wie Facebook, Google, Microsoft, TikTok und Twitter den Kodex unterschrieben. Vor einem Jahr gab die Kommission die Parole aus, dass in diesem Rahmen auch die parallel zur Covid-19-Pandemie grassierende Infodemie angegangen werden müsse: Verlässliche Quellen auch im Gesundheitsbereich seien zu fördern, falschen oder irreführenden Inhalten sollte kein Forum geboten, illegale Nachrichten müssten entfernt werden.

Die Brüsseler Exekutivinstanz legte im Dezember zudem einen Aktionsplan für Demokratie auf, um den Kampf gegen Desinformation zu verschärfen, freie und faire Wahlen zu fördern sowie die Medienfreiheit zu stärken. Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová plädierte damit etwa für eine "Langzeitbeobachtung von Akteuren", um Verbreiter systematischer Desinformation ausfindig zu machen. Nötig seien Instrumente, "die es ermöglichen, den Tätern Kosten aufzuerlegen", etwa durch einen Verzicht auf das Schalten von Werbung auf fragwürdigen Plattformen.

Diesen Ansatz zum Entzug von Einnahmen verdeutlicht die Kommission mit ihren Leitlinien. Plattformen und Akteure im Online-Werbeökosystem sollen demnach mehr Verantwortung übernehmen und besser zusammenarbeiten, um die Finanzierung von Desinformation zu unterbinden. Die Beteiligten werden der Mitteilung zufolge etwa verpflichtet, Hinweise auf einschlägige, von ihnen abgelehnte Kampagnen stärker auszutauschen.

Der gestärkte Kodex soll auch "alle bestehenden oder sich abzeichnenden Formen von manipulativem Verhalten" beim Verbreiten von Desinformation wie Bots, Scheinkonten, organisierte Kampagnen oder Kapern von Social-Media Profilen umfassend abdecken. Meldeoptionen für Nutzer will die Kommission vereinfacht wissen, aber auch die Beschwerde- und Klagemöglichkeiten für Betroffene verbessern. Die Kooperation mit Faktenprüfern wird dem Plan nach ausgebaut und auf alle EU-Länder sowie -Sprachen ausgedehnt.

Für den Zugang zu Daten der Plattformen für Forscher, Organisationen der Zivilgesellschaft und investigative Journalisten sieht der Entwurf eine soliden Rechtsrahmen vor. Die Einhaltung der überarbeiteten Maßgaben soll schärfer auf Basis "klarer zentraler Leistungsindikatoren" überwacht werden. Die Betreiber müssten Informationen und Daten mit den erweiterten Berichtspflichten in standardisierten Formaten aufschlüsseln und nach Mitgliedstaaten bereitstellen.

Nicht nur Fake News übers Impfen hätten gezeigt, wie gefährlich Desinformation sei, begründete Jourová den Schritt. Das Phänomen könnte gefährliche Auswirkungen auf das gesamte demokratische System haben. Microtargeting und das Verbreiten von Lügen etwa seien imstande, Wahlen stark zu beeinflussen. Um die Meinungsfreiheit zu wahren und keine Zensur auszuüben, müssten schädliche – also nicht illegale – Inhalte aber nicht gelöscht werden. Es gehe darum, ihre Sichtbarkeit zu verringern: "Niemand sollte die Erlaubnis haben, Schiedsrichter über die Wahrheit zu sein."

Der ergänzte Kodex dürfte im Herbst stehen, kündigte die für Werte und Transparenz zuständige Kommissarin an. Er könnte dann Anfang 2022 in Kraft treten. Ihr gehe es darum, deutlich mehr Akteure etwa aus der Werbeindustrie und von Online-Kanälen mit einzubeziehen. Für kleinere Firmen gälten dabei weniger strenge Auflagen. Spätestens mit dem DSA werde es ein klares Sanktionssystem geben. Wer Risiken rund um Desinformation bis dahin nicht minimiere, müsse mit hohen Strafen rechnen.

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Letztlich habe sich bislang keiner der großen Plattformbetreiber an den Kodex gehalten, schimpfte Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Dieser müsse daher mit Pflichten unterlegt werden. Künftig "können wir uns angucken, was in den Algorithmen passiert", wieso schädliche Inhalte weiter verbreitet würden. Meinungsfreiheit sei "vielleicht auch eine Schwäche der Demokratie", meinte der Franzose. Aber sie "ist uns sehr wichtig". Ferner gelte es, die Medienkompetenz von Kindern zu stärken. Sie müssten lernen, "sich im Informationsdschungel zurechtzufinden, ohne Fake News zu glauben".

(bme)