EU-Klimaziele verfehlt – was kostet uns das?

Reduziert Deutschland seine Emissionen nicht deutlicher als bisher, wird es Zertifikate von anderen Staaten zukaufen müssen – zu unkalkulierbaren Kosten.

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EU-Flagge

EU-Flagge

(Bild: Hersteller)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Roland Wengenmayr

Es könnte teuer werden für Deutschland, wenn es seine Treibhausgasemissionen bis 2030 so nachlässig reduziere wie bislang, berichtet das Magazin Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 12/2020 (jetzt am Kiosk oder hier zu bestellen).

Bereits 2018 nannte der Thinktank Agora Energiewende in seiner Studie „Die Kosten von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshaushalt“ eine Summe von 60 Milliarden Euro, für die Deutschland dann Emissionsrechte einkaufen müsste. Das entspricht im Bundeshaushalt 2020 ungefähr dem gesamten Verteidigungsbudget plus dem Budget des Bundesinnenministeriums.

Nun könnte der Preis für verfehlte Klimapolitik sogar noch höher ausfallen. Denn die EU-Kommission will im „Green Deal“ ihr ursprüngliches Klimaziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 2005 zu senken, sogar erhöhen: auf mindestens 55 Prozent. Kann sie dies politisch durchsetzen, so müsste sich Deutschland noch deutlich mehr anstrengen. Auch der Bundesrechnungshof warnte Ende Oktober laut „taz“ vor zusätzlichen Kosten für Emissionszertifikate in Höhe von 13,5 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt fehlten.

TR 12/2020

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 12/2020 der Technology Review. Das Heft ist ab 5.11. 2020 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Grundlage ist der völkerrechtlich bindende UN-Klimavertrag von Paris aus dem Jahr 2015. Um ihre Verpflichtungen zu erreichen, nutzt die EU vor allem zwei Instrumente: Erstens der Emissionshandel („Emissions Trading System“, ETS). Daran müssen kommerzielle Betreiber von Kraftwerken oder Industrieanlagen teilnehmen. Das ETS deckt etwa 40 Prozent der EU-Emissionen ab. Bis 2030 soll es 43 Prozent an Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 2005 einsparen.

Zweitens die EU-Klimaschutzverordnung, die den Rest der EU-Emissionen weitgehend erfasst. In ihrem Rahmen müssen sich die einzelnen EU-Staaten bindend auf Einsparziele verpflichten. Anschließend erhält jedes Land jährliche Emissionsberechtigungen außerhalb des ETS, sogenannte Annual Emission Allocations (AEA). Wer am Ende solche AEA übrig hat, kann sie an ein EU-Land verkaufen, das sein Ziel verfehlt hat – ein Emissionshandel nicht zwischen Unternehmen, sondern zwischen Staaten. „Das aber ist kein öffentlicher Markt“, sagt Jakob Graichen vom Öko Institut. Die Staaten müssten zwar öffentlich machen, wie viele solcher AEA sie bilateral handeln, nicht aber den Preis. Diese Intransparenz erschwert es, Kostenrisiken abzuschätzen.

Die erste Phase des Plans lief von 2013 bis 2020. Deutschland musste seine Emissionen in diesen sieben Jahren um 14 Prozent gegenüber 2005 senken, was aufgrund von Covid-19 gelingen könnte (Stand Oktober 2020). Offensichtlich waren die Zielvorgaben nicht sehr ambitioniert.

Die zweite Phase von 2021 bis 2030 ist schon herausfordernder. Für Deutschland steht aktuell – ohne Verschärfung durch den Green Deal – eine Minderung um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 an. Bleibt Deutschland auf seinem bisherigen Kurs, verfehlt es sein Reduktionsziel um Längen. Also muss es Zertifikate von anderen Ländern aufkaufen. Sonst kann die EU-Kommission ein Strafverletzungsverfahren einleiten und Strafzahlungen festlegen. EU-Anbieterstaaten könnten den Preis für ihre überschüssigen AEA kräftig hochdrehen – schließlich würde das zusätzliches Geld in die eigene Staatskasse spülen.

Vorausgesetzt allerdings, es gäbe überhaupt Staaten, die Zertifikate anbieten könnten. Sollte die EU als Gesamtheit nicht ihre eigenen Ziele erreichen, würde sich eine grundsätzliche Problematik des Völkerrechts zeigen. Verletzungen können – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht wirksam sanktioniert werden. (grh)