Edit Policy: Mit dem Bildungstarif in die digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft

Seite 2: Drohender Verstoß gegen Netzneutralität

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Grundsätzlich gibt es zwei technische Herangehensweisen, um den Bildungstarif auf bestimmte Inhalte zu beschränken. Entweder findet die Sperrung der Inhalte netzwerkseitig bei der Telekom statt, oder sie geschieht lokal auf dem durch den DigitalPakt öffentlich finanzierten Endgerät. Beide Optionen haben ihre Tücken.

Eine Sperrung aller Nicht-Bildungsinhalte durch die Telekom wäre ein Verstoß gegen die Netzneutralität, wonach Anbieter von Internetzugangsdiensten alle Online-Inhalte grundsätzlich gleich zu behandeln haben. Die Netzneutralität ist ein elementares Grundprinzip des Internets und schützt nicht nur unsere Informationsfreiheit, sondern beugt auch einer Monopolbildung im Netz vor, indem unfaire Vorteile bestimmter Unternehmen beim Erreichen ihrer Kund*innen unterbunden werden.

An dem Verbot ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bildungsinhalte nicht durch die Telekom selbst, sondern durch den Schulträger ausgewählt würden. Die EU-Netzneutralitätsverordnung verbietet der Telekom nämlich, zum Zwecke des Trafficmanagement konkrete Inhalte zu überwachen. Allein anhand der IP-Adressen wird eine Filterung der Datenströme aber nicht funktionieren, da nicht alle Bildungsinhalte über statische IP-Adressen verfügen. Bereits bei den Domain-Namen handelt es sich laut EU-Telekommunikationsregulierer BEREC um konkrete Inhalte, das hat dieser erst jüngst in seinen Leitlinien zur Netzneutralität bestätigt.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist der Datenschutz besonders wichtig, es ist also unvorstellbar, dass die Telekom mittels Deep Packet Inspection deren Surfverhalten überwachen können soll, nur um sicherzustellen, dass sie ausschließlich Bildungsangebote aufsuchen. Auch wenn ein Schulträger die Telekom anweist, welche Inhalte gesperrt und welche durchgeleitet werden sollen, wäre eine solche Überwachung des Datenverkehrs durch die Telekom ohne explizite Gesetzesgrundlage europarechtswidrig.

Eine andere Möglichkeit ist, dass die Sperrung der Inhalte nicht netzwerkseitig durch die Telekom selbst, sondern mittels eines Inhaltefilters lokal auf den Endgeräten der Schüler*innen vorgenommen wird. Um sicherzustellen, dass nur die vom Schulträger freigegebenen Bildungsangebote erreichbar sind, müsste eine Allowlist zum Einsatz kommen. Anstatt nur bestimmte als jugendgefährdend eingestufte Inhalte zu blocken, wäre damit die ganz überwiegende Zahl der Onlineangebote nicht erreichbar, inklusive aller neuen Angebote, die beim Schulträger womöglich noch nicht bekannt sind. Der Einsatz von Allowlists ist an Schulen nicht gänzlich ungewöhnlich, auch wenn er gerade für höhere Jahrgangsstufen das Erlernen von Medienkompetenz massiv behindert.

Brisant wird der Einsatz von Allowlists aber spätestens dann, wenn solche Filter auf dem einzigen Endgerät installiert werden sollen, das Schüler*innen während der Pandemie den Internetzugang von zuhause ermöglichen soll. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es ja nicht nur, allen Schüler*innen die Teilnahme am digitalen Unterricht zu erlauben, sondern ihnen Zugang zum Internet zu ermöglichen. Auf dieses Ziel haben sich Kanzlerin Merkel, Bundesbildungsministerin Karliczek und SPD-Vorsitzende Esken mit den Kultusminister*innen der Länder verständigt. Mit 500 Millionen Euro allein für Endgeräte und noch einmal soviel für eine digitale Bildungsoffensive nimmt die Bundesregierung viel Geld in die Hand, um dieses Ziel zu erreichen. Der verpflichtende Einsatz von Allowlists würde dieses Ziel konterkarieren, weil damit Schüler*innen aus sozial schwächeren Haushalten eben keinen Zugang zum Internet von zuhause bekommen würden.

Rein rechtlich betrachtet wäre eine Filterung per Allowlist auf den öffentlich finanzierten DigitalPakt-Endgeräten vielleicht weniger angreifbar als eine netzwerkseitige Filterung. Es besteht aber die Gefahr, dass dieser Filter dann nicht nur bei Nutzung des Telekom-Tarifs mitlaufen würde, sondern auch, wenn Schüler*innen die Endgeräte etwa über ein WLAN nutzen. Die 500 Millionen Euro aus dem DigitalPakt würden also in geradezu defekte Endgeräte investiert, die das Ziel des Internetzugangs für alle nicht erreichen können. Dadurch würde nicht nur die soziale Teilhabe in Corona-Zeiten geschwächt, auch die Investitionen des Bundes würden unnötig entwertet.

Die Telekom will nicht sagen, ob die Filterung der Inhalte netzwerkseitig oder per Allowlist auf dem Endgerät geschehen soll. Es spricht aber viel dafür, dass die Telekom sich vertraglich vorbehalten will, auf irgendeine Weise zu überprüfen, dass der Datentarif tatsächlich nur für Bildungsangebote genutzt wird, die vom Schulträger ausgewählt wurden. Denn grundsätzlich ist es Endnutzer*innen laut EU-Netzneutralitätsverordnung gestattet, selbst zu entscheiden, in welchem Endgerät sie eine SIM-Karte verwenden. Die Telekom dürfte sie also nicht daran hindern, die SIM-Karte aus dem DigitalPakt-Endgerät in ein anderes Gerät einzusetzen, auf dem kein Inhaltefilter installiert ist. Auf diesem Wege könnten Schüler*innen das Datenvolumen doch wieder für beliebige Inhalte nutzen – vorausgesetzt, dass sie sich ein solches Endgerät leisten können. Ganz ohne Überwachung des Nutzungsverhaltens der Schüler*innen wird die Telekom ihren geplanten Tarif also kaum umsetzen wollen. Massive Datenschutzprobleme sind vorprogrammiert.