Ein Netzpolitk-Labor – Aktivisten blicken auf das Internet Governance Forum in Berlin zurück

Seite 2: Karen Melchior – Ein Platz für mehr als Reden

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Karen Melchior

(Bild: Monika Ermert / heise online)

Seit fünf Jahren schaut sich Karen Melchior auf Internetkonferenzen um. Sie war schon bei der re:publica, beim C3C, beim Personal Democracy Forum und beim Internet Freedom Festival. „Mich interessiert, wie das Internet, Digitalisierung und Virtualisierung die Gesellschaft und besonders das Verhältnis zwischen Bürger und Staat verändern“, sagt Melchior. Beim IGF ist sie zum ersten Mal und findet: „Es ist gut, mal ein etwas offiziöseres Setting zu haben, einen Versuch, die Stakeholder zusammenzubringen, anstatt nur mit Leuten über Ideen zu sprechen. Mit den richtigen Weichenstellungen könnten wir hier wirklich etwas bewirken“, sagt die Europaabgeordnete und frühere dänische Diplomatin.

Über den Parlamentariertrack ist Melchior zum IGF gestoßen und begrüßt ausdrücklich, dass das Forum ihr als relativem Neuling im parlamentarischen Geschäft auch erlaubt hat, die im Feld der Netzpolitik interessierten politischen Akteurinnen und Akteure zu treffen. Das IGF sei „etwas weniger radikal“ als manche der ihr bekannten Netzpolitikkonferenzen, „aber nicht mehr kommerziell“ – tatsächlich stoße man bei der re:publica auf mehr Sponsoren – und es sei sehr viel Zivilgesellschaft und sicher mehr internationale Organisationen am Start. Zugleich sei es ebenso „messy“ wie die anderen Konferenzen, „das ist eigentlich auch etwas Gutes.“ Nur ist Melchior nicht ganz sicher, ob hier nicht doch irgendwo in Nebenzimmern – vielleicht in dem von den deutschen Gastgebern organisierten High-Level Track – nicht doch Politik ohne die erstmals als Gruppe eingeladenen Parlamentarier gemacht wird. „Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich nicht in diesen speziellen Räumen war“, so ihr Verdacht, „ich hab es noch nicht bis dahinein geschafft.“

Melchior versteht die Intention in Berlin so: „Man will mehr Entscheidungsträger zum Forum holen, denn es sind zwar eine ganze Reihe Vertreter von Ministerien da, aber eben nicht viele Minister.“ Letztlich kann sich Melchior aber eben durch eine bessere Vorbereitung und eine stärkere Strukturierung von möglichen Diskussionen über politische Empfehlungen vorstellen, dass beim IGF auch tatsächlich Ergebnisse für eine internationalen Netzpolitik produziert werden. „Wir bräuchten mehr vorbereitende Arbeit zwischen den jährlichen Treffen, Dinge müssten vorab verhandelt werden“, rät sie. Und das Programm dürfe auch ein bisschen entschlackt werden.

Thematisch ist ihr erster Eindruck vom IGF, es nimmt sich zu viel vor, es bleibt zu wenig Zeit für einzelne Grundsatzdiskussionen. Im Workshop der Parlamentarier diskutierte Melchior mit Kollegen aus Brasilien, Dänemark und der demokratischen Republik Kongo darüber, wie frei das Internet sein sollte – und wie viel Kontrolle notwendig ist. „Unsere Ausgangspunkte waren sehr verschieden und es wäre klasse gewesen, wenn wir noch mehr Zeit gehabt hätten.“ Ihr Credo, das sie den Kolleginnen aus anderen Ländern vermitteln wollte: „Wenn wir Staaten bestimmte Eingriffsmöglichkeiten geben, dann müssen wir bedenken, dass auch der politischen Gegner sich künftig dieser Kontrollmöglichkeiten bedienen kann.“ Ein guter Workshop sei das gewesen und mehr Vorarbeit und mehr Zeit bei der Debatte hätte Melchior begrüßt.

Was sie mitnimmt aus Berlin? Die Adressen und das Versprechen, mit den Kollegen in aller Welt die Debatte weiterzuführen. „Ich hoffe, unsere Überlegungen auch in meine Arbeit im europäischen Parlament mitzunehmen und die Idee, dass wir dort globaler denken müssen, nicht nur europäisch. Denn das Internet ist global.“ One world, one net, one vision – ob man das schaffen werde, sei offen. Vor allem an einer gemeinsamen Vision müsse man auf jeden Fall sehr hart arbeiten.

Zum Internet Governance Forum in Berlin:


Peter Kimpian

(Bild: Monika Ermert / heise online)

Peter Kimpian hat erst drei IGF-Ausgaben besucht. Die Organisation, für die er arbeitet, der Europarat, aber ist seit dem Tag Null mit von der Partie. „Wir gehören zu den Motoren des Prozesses“, sagt Kimpian. Der 47 Mitglieder umfassende Europarat ist älter und größer als die Europäische Union und hat eine Reihe von Mitgliedern, die es mit den vom Europarat verbrieften Menschenrechten nicht eben ernst nehmen – wie etwa Russland – und die sich deshalb regelmäßig vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu verantworten haben. Übrigens ist auch für manchen deutschen Grundrechtsbruch der Menschenrechtgerichtshof in Straßburg die letzte Station, etwa für ein Verfahren des Piratenabgeordneten Patrick Breyer zur alten Vorratsdatenspeicherung.

Gerade in der Menschenrechtsarbeit, sagt Kimpian am Rande des IGF, habe der Europarat die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen lange gepflegt. Das im IGF inkarnierte Multi-Stakeholder-Prinzip sei so ein bisschen in der DNA des Europarates, wirbt er. Keine einzelne Regierung und auch nicht Regierungen allein sollten Governance-Prozesse im Netz dominieren. Diese im IGF gepflegte Idee hat einen Beschluss des Ministerrats zu Internet Governance 2011 inspiriert und den Europarat veranlasst, 2017 die Öffnung der eigenen Prozesse im Bereich Netzpolitik fortzuschreiben, indem man ein Memorandum of Understanding (MoU) mit den großen IT Unternehmen und deren Verbänden unterzeichnete. Das MoU (PDF-Datei) sieht unter anderem vor, dass die Unternehmen direkt in den Ausschüssen des Europarates mitarbeiten. Noch gestaltet sich diese direkte Zusammenarbeit in der Praxis schwierig, räumt Kimpian ein.

Echte Multi-Stakeholder-Arbeit erfordert auch klare Ansagen, wer wen vertreten und für wen sprechen kann – und die Unternehmen verfolgen in erster Linie ihr eigenes wirtschaftliches Interesse – gegen die Konkurrenz. Die praktische Arbeit im Europarat – oder auch in einem offenen Forum wie dem IGF – unterscheidet sich von klassischer Lobbyarbeit, wie sie die Unternehmen etwa beim EU Gesetzgeber in Brüssel betreiben. Für Kimpian ist das IGF mit seinen offenen Diskussionen daher ein gutes Labor. „Es ist ein guter Platz, um Informationen auszutauschen und ins Gespräch zu kommen, auch um zu erfahren, wen wir treffen sollten“, sagt Kimpian. „Man kann fantastische Leute treffen, mit denen man dann übers Jahr weiter arbeitet. Ich kriege hier jedes Mal eine Menge an guter Information und an Kontakten für meine Arbeit.“

Die Größe und Vielseitigkeit des IGF sei auf der anderen Seite allerdings auch eine Schwäche. Es fehle eben an einem Verfahren, zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen, mit denen Entscheidungen andernorts mindestens vorbereitet werden können. „Ich hatte gehofft, das IGF in Berlin werde hier einen noch stärkeren Aufschlag machen und die deutsche Bundeskanzlerin werde sagen, wir sind bereit dafür, lasst uns da anpacken.“ Wenn es nach Kimpian geht, sollten so etwa im Bereich Datenschutz endlich detailliertere Grundsätze für die internationale Gemeinschaft entwickelt werden. Der Europarat hat im Bereich des Datenschutzes im Netz eine der ersten zwischenstaatlichen Verträge verabschiedet – ebenso wie im Bereich Cybercrime – und hat auch bei vergangenen IGFs stets für diese Standards geworben, musste sich aber immer wieder sagen lassen, dass die Europarats-Konventionen eben nur regionale Konventionen seien.

Kimpian hält eine Grundsatzdebatte über Privatheit und Datenschutz im Rahmen des IGF für dringlich. „Wir können nicht länger warten. Wir müssen uns international darüber verständigen, was persönliche Daten sind, was Zweckbestimmung ist und welche Art von Datenzugriff wir als notwendig und verhältnismäßig erachten wollen.“ Einen ersten Konsens herbeizuführen, welche Daten Personen beziehbare Daten sind, das wäre eine wichtige Aufgabe für kommende IGFs, hofft er.