Ein Netzpolitk-Labor – Aktivisten blicken auf das Internet Governance Forum in Berlin zurück

Das Internet Governance Forum hat trotz aller Probleme eine Stärke: Es führt Netzpolitik-Aktive aus aller Welt zusammen zum Diskutieren, Entscheiden, Streiten.

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Ein Labor für offene Diskussionen – Stimmen zum Rückblick auf das IGF in Berlin

(Bild: NicoElNino/Shutterstock.com)

Lesezeit: 19 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Das Internet Governance Forum der Vereinten Nationen, das dieses Jahr erstmals von Deutschland ausgerichtet wurde, hat viele Probleme. Es hat zu wenig Geld. Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind sich nicht einig, welche Rolle ihm zukommt in der Kakophonie zu globalen Normen für das Zusammenleben im Netz.

Und doch hat das Forum eine Stärke, auf die alle Teilnehmer nicht müde werden hinzuweisen: es führt in der Netzpolitik Aktive aus aller Welt zusammen und bietet dem, der daran interessiert ist, Einblicke aus erster Hand über den Zustand der offiziellen Netzpolitik, über den Widerstand gegen viele negative Entwicklungen falsch verstandener Netz-Governance – etwa fortschreitende Überwachungs- und Zensurgesetze. Oder auch einfach nur die mangelhafte Fortentwicklung von Infrastrukturen und Know-how über die Grundbausteine für die viel beschworene Digitalisierung. Wir werfen einen kleinen Rückblick darauf, was verschiedene Stakeholder aus aller Welt sich vom IGF versprechen.

Maria Paz Canales

(Bild: Monika Ermert / heise online)

Warum Derechos Digitales beim IGF ist? Weil Lateinamerika eine Stimme haben muss beim Internet Governance Forum, sagt Maria Paz Canales, Chefin der 2005 gegründeten Organisation, die damit gerade so alt ist, wie das IGF selbst. „Tatsache ist, dass Lateinamerika am Anfang lediglich als Verbraucherregion gesehen wurde, eine Region, die vom globalen Norden geformt wird und dessen Internetangebote nutzt“, sagt Canales. „Das ist unser strategischer Grund, darum sind wir hier, um mitzureden, wenn entschieden wird, wie Entscheidungen zur Gestaltung des Netzes getroffen werden sollen und wer das regiert.“

Das IGF, das Canales zum vierten Mal in ihrem vierten Jahr als Vorsitzende von Derechos besucht, ist anders als die anderen Internetkonferenzen, die man besuche. Normalerweise seien die „Stakeholder“ separiert, die Regierungen verhandeln, die Wirtschaft trifft sich auf ihren Business-Konferenzen und die Aktivisten bleiben unter oder treffen sich auf akademischen Konferenzen. „Hier beim IGF können wir direkt mit Regierungsvertretern sprechen, wir können aber auch Netzwerke und Allianzen mit anderen Stakeholdern und Aktivisten aus anderen Ländern knüpfen, die uns dann übers Jahr erlauben, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten.“ Auch Informationen und sogar zahlende Partner für neue Projekte könne man finden und so sei das IGF ein zentrales Datum im Kalender der Nichtregierungsorganisationen aus Lateinamerika, sagt Canales.

„Es ist auch keineswegs abgehoben oder liegt der Realität der aktuellen Entwicklungen in Chile fern“, unterstreicht sie leidenschaftlich. „In Chile und anderen Ländern, gehen die Menschen auf die Straße, weil sie die Art und Weise, in der die Gesellschaft organisiert ist als inadäquat für die Bewältigung der Ungleichheit empfinden.“ Die Organisation der Gesellschaft sei heute eng verknüpft mit der Nutzung von Technologie und die unter Druck stehenden Regierungen wollen sehr wohl diese Technologie nutzen, um große Schritte bei der Entwicklung zu vollziehen und bestimmte Probleme, etwa im Gesundheits- oder Bildungssektor zu lösen. Das Problem laut Paz ist, dass Technologie zugleich die Kontrolle der Gesellschaft ermöglicht.

Biometrische Systeme, der Einsatz von High-Definition-Kameras und jetzt der von Facial Recognition, werden unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit eingeführt – „und wir haben erhebliche Probleme mit der öffentlichen Sicherheit, niemand würde das leugnen“, sagt Paz. Dennoch stehen die Kosten, bei deren Aushandlung sich westliche und chinesische Firmen überbieten, in einem unguten Verhältnis zu den Maßnahmen, die für die Behebung der eigentlichen strukturellen Probleme notwendig wären. Die Geschichte des Autoritarismus lehre etwas, warnte Canales: „Selbst wenn wir gerne glauben wollen, dass die Intention gut war und auf die Verbesserung der öffentlichen Sicherheit zielte, bleibt es eine Tatsache, dass diese Überwachungstechnologien dazu genutzt werden können, die Gesellschaft zu kontrollieren und einzuschüchtern.“ Den Einkaufstouren lateinamerikanischer Regierungen bei westlichen Überwachungsanbietern hat Derechos Digitales seinen Workshop in Berlin gewidmet.

Ist das IGF wichtig? Dazu sagt Canales, die sich selbst in die Membership Advisory Group (MAG) hat wählen lassen, uneingeschränkt ja. „Ist das Forum reformbedürftig? Ja. Wir müssen es als Werkzeug verstehen, das uns hilft, bei der Umsetzung jeder einzelnen neuen Norm nach demokratischeren Modellen Ausschau zu halten und uns an ihnen zu messen.“