Gewitterstürme: Gefährlicher als Hurrikans

Bisher galten bestimmte Wetterereignisse als unvorhersehbar. Ein satellitengestütztes Werkzeug soll die Bevölkerung immerhin bis zu sechs Stunden vorher warnen.

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Gewitterstürme: Gefährlicher als Hurrikans

(Bild: Photo by Max LaRochelle on Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Heike Hoenig

Die Verwüstungen, die Megastürme in den tropischen und außertropischen Regionen Afrikas, Australiens, Asiens und Amerikas mit sich bringen, sind verheerend. Oft wüten sie in der Regenzeit tagelang und setzen Energien frei, die Österreichs Stromverbrauch von vier Jahren entsprechen. In ihrem Zentrum türmen sich monströse Cumulonimbus-Gewitterwolken mit Hunderten von Millionen Tonnen Gewicht bis zu 18 Kilometer hoch. Sie legen Entfernungen von tausend Kilometern zurück und schütten dabei um 100 Millimeter Wasser pro Quadratmeter aus. Bislang gab es kein zuverlässiges Frühwarnsystem für diese sogenannten „mesoskaligen konvektiven Systeme“, berichtet Technology Review in seiner November-Ausgabe, die ab Donnerstag am Kiosk liegt oder online bestellt werden kann.

TR 11/2020

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 11/2020 der Technology Review. Das Heft ist ab 8.10.2020 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Nun kann die überraschende Entdeckung eines internationalen Teams diese Sturmvorhersage möglich machen. Die Teams um Cornelia Klein vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck und Christopher M. Taylor vom britischen Zentrum für Ökologie und Hydrologie in Wallingford erforschen Megastürme in der Sahelzone. In dieser südlich der Sahara gelegenen Region hat sich die Anzahl besonders intensiver Gewitterstürme in den letzten 35 Jahren verdreifacht. Bei ihren Untersuchungen machten die Wissenschaftler eine verblüffende Beobachtung: „Die Bodenfeuchte ist der zentrale Aspekt für ihre Bewegungsrichtung“, sagt Klein. Mit dieser Erkenntnis gelang ein Durchbruch. Denn sie lieferte den Forschern eine Grundlage für Vorhersagen. Sie entwickelten ein Werkzeug, das den Weg und die Stärke eines Sturms exakt prognostiziert und bereits sechs Stunden vor seinem Eintreffen warnt.

Die Bodenfeuchte lässt sich insbesondere in Gegenden mit wenig Vegetation verlässlich aus Satellitenbildern ableiten. Die Feuchtigkeit im Boden absorbiert Mikrowellenstrahlung, daher reflektiert ein trockener Boden mehr davon. Sensoren des Nasa-Satelliten „Aqua“ können dies messen und damit einen Feuchtewert bestimmen. Zusätzlich werden Plausibilitätstests gegen andere Parameter durchgeführt, beispielsweise Messungen der Temperatur an der Bodenoberfläche. In Kleins Projekt trug der Esa-Klimasatellit „Meteosat“ atmosphärische Informationen wie Wolkenbedeckung, Wasserdampfgehalt und Oberflächentemperaturen bei. Messdaten vor Ort, auch „In-situ-Daten“ genannt, werden nur zur Überprüfung der Prognose herangezogen – um also zu erfahren, ob das Modell gegebenenfalls nachgebessert werden muss. „Indem wir uns auf operationelle Satellitendaten stützen, sind wir nicht auf In-situ-Daten angewiesen“, betont die Klimaexpertin. Das sei ein großer Vorteil.

Mesoskalige Gewitterstürme entstehen durch das Zusammenwirken von zwei Komponenten: Die erste ist eine Inversionslage. In der mittleren Atmosphäre – zwischen 2000 und 7000 Metern – befinden sich sehr trockene Luftmassen, die wie ein Deckel auf der feuchten Luft am Boden aufliegen und damit den Austausch durch Konvektion verhindern. Die zweite Komponente entsteht durch Windscherung. Gegenläufige Windrichtungen in unterschiedlichen Luftschichten sorgen dafür, dass aufsteigende Luftmassen deutlich von absinkenden getrennt bleiben. Sammelt sich nun jedoch immer mehr feuchtwarme Luft am Boden, steigt gewissermaßen der Druck im Kessel: Die Konvektion und der damit verbundene Auftrieb nehmen zu. Sobald die Konvektion stark genug ist, durchbricht sie die Inversionsschicht, der Deckel hebt sich, und die Luftzirkulation der Wolke nimmt Fahrt auf. Dafür genügt ein winziger Auslöser. Trockene Böden liefern genau diese Voraussetzungen. Denn die Luft über trockenen Böden wird stärker erwärmt und steigt schneller auf, was zusätzlich feuchtere Luftmassen aus der Umgebung ansaugt. Durch diese Dynamik erhöhe sich die Intensität eines Sturms, was sich wiederum auf Niederschlag und Bewegungsrichtung auswirke.

Mesoskalige Stürme gibt es zwar auch über dem Meer. Da sich die Meeresoberfläche jedoch nicht aufheizen kann wie ein trockener Boden, fehlt es an Temperaturkontrast, um eine starke Luftzirkulation auszulösen. Die Stürme kommen nicht so weit wie an Land. An den Küsten geht die Gefahr daher vor allem von Hurrikans oder Taifunen aus – rotierenden Tiefdrucksystemen. Deren Antrieb ist Wärme und die damit verbundene hohe Verdunstung von der Meeresoberfläche. Sie sind extrem vertikal strukturiert, haben also nicht den schichtartigen Höhenaufbau wie mesoskalige Stürme.

Wie aber soll Kleins frühe Warnung die Menschen erreichen? Mesoskalige Stürme treten beispielsweise in Westafrika während der Monsunzeit auf, jedes Jahr zwischen Juni und September. Dort sind städtische Infrastrukturen unzureichend und rudimentär. Den lokalen meteorologischen Institutionen fehlen Personal, finanzielle Mittel und Telekommunikationsmöglichkeiten. Zieht ein Sturm heran, gelingt es oft nicht, die Bevölkerung zu evakuieren. Forscherin Klein setzt daher auf Smartphones. „Auch wenn die Menschen sonst nichts besitzen, alle haben eines.“ Über dieses Gerät Warnungen herauszugeben, habe einen zweiten Vorteil: „Die Betroffenen sind an ein unabhängiges Informationsnetz angebunden.“ Denn das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung sei nicht groß.

Noch befindet sich das Vorhersage-Werkzeug in der Validierungsphase. Sie läuft noch bis Ende September – bis zum Ende der diesjährigen Regenzeit. Schließlich muss die Vorhersage verlässlich funktionieren. „Bleibt eine Warnung aus oder ist falsch, nehmen die Bewohner das System nicht mehr an“, fürchtet Klein. In der Monsunperiode des kommenden Jahres soll sich dann zeigen, wie gut die Prognosen sind. In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden untersuchen, ob das System sich auch für andere Regionen eignet, in denen Megastürme auftreten und ähnliche Klimabedingungen herrschen: darunter Ostafrika und Teile Südafrikas, Argentinien, die Great Plains in den USA, der Norden Australiens und Südamerika.

(bsc)