Hintergrund: Bertelsmann auf neuen Pfaden

Mit der Übernahme der RTL-Anteilsmehrheit und dem möglichen Börsengang öffnet der Medienkonzern ein neues Kapitel seiner Firmengeschichte - Überschrift: Neue Medien.

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Von
  • Sven Hansen

"Erklärtes Ziel der RTL Group ist es, die einmalige Position als Europas führendes Broadcasting- und Produktionsunternehmen zu stärken. [...] Mit der neuen Anteilseigner-Struktur können wir unsere gemeinsamen strategischen Ziele mit noch klarerer Fokussierung und Entschlossenheit verfolgen." Mit diesen Worten kommentierte Didier Bellens, Chief Executive Officer der RTL Group, die bevorstehende Übernahme der Anteilsmehrheit an seinem Unternehmen durch den Medienriesen aus Gütersloh.

Die Bertelsmann AG hatte zuvor angekündigt, ihren Anteil an der RTL Group um 30 Prozent aufzustocken. Diese neuen Anteile sollen von der seit 1956 an der Brüsseler Börse gelisteten belgischen Finanzholding Groupe Bruxelles Lambert (GBL) kommen. Die GBL erhält im Gegenzug 25,1 Prozent der Bertelsmann-Aktien.

Den Güterslohern fallen somit nicht nur zusätzliche Informationskanäle zu, sondern vor allem das, was zum traditionellen Kerngeschäft der Bertelsmann AG zählt: Inhalte. Die RTL Group umfasst 17 Radiostationen und 23 TV-Kanäle in 11 Ländern und erreicht damit täglich ein Publikum von 120 Millionen Zuschauern. Im europäischen Raum hält das Unternehmen die Marktführerschaft im Bereich Rechteverwertung und liefert jährlich über 10.000 Stunden an eigenen Programminhalten. Für den Bereich Fernsehen besonders wichtig ist die Topstellung bei der europäischen Vermarktung von Sportereignissen. Auch der Online-Bereich wurde im vergangenen Jahr konsequent erweitert, so dass die 75 Websites des Unternehmens im November 2000 nach Firmenangaben über 240 Millionen Seitenaufrufe verzeichneten.

Damit macht Bertelsmann einen weiteren großen Schritt hin zur "Cross Promotion", der medienübergreifenden Vermarktung von Inhalten. Hiervon erhofft sich der Konzern eine Stärkung seiner Position im europäischen Markt. Ähnliche Ziele verfolgte das Unternehmen auch bei seiner strategischen Partnerschaft mit der spanischen Telefonica. Auch hier ging es nach Konzern-Chef Thomas Middelhoff darum, "den Focus auf E-Commerce zu richten und den Transport seiner vielfältigen Medieninhalte über alle Kommunikationsmittel zu sichern". In die gleiche Richtung zielt beispielsweise auch die Partnerschaft mit dem einstigen "Schmuddelkind" Napster – nach dem Abschluss der Vereinbarung soll die von der Musikindustrie heftig angegriffene Musiktauschbörse zum kostenpflichtigen Abo-Service (nicht nur) für Bertelsmann-Medien im Internet werden.

Überraschend kam bei dem RTL-Deal für viele Beobachter vor allem die Tatsache, dass der GBL seitens der Gütersloher das Recht zuerkannt wurde, in drei bis vier Jahren ihre Aktienanteile an die Börse zu bringen. Mit der Öffnung der AG entfernt sich das Traditionsunternehmen endgültig vom Ideal des "globalen Familienunternehmens". War die immer wieder unter der Hand diskutierte Fusion mit dem Online-Provider AOL noch daran gescheitert, dass Nachkriegsgründer Reinhard Mohn (79) sich strickt gegen eine Fremdbeteiligung an Bertelsmann aussprach, scheint nun der Weg zur Transformation in einen börsennotierten "Global Player" geebnet. Analysten sehen in der Bertelsmann-Aktie ein zukünftiges Börsen-Schwergewicht, dass den Vergleich mit AOL Time Warner nicht scheuen müsste. Unklar ist bislang, was der Wegfall des Aktienpakets für die Bertelsmann-Stiftung bedeutet. Im vergangenen Jahr standen ihr Mittel aus Aktiendividenden in Höhe von 100 Millionen Mark zur Verfügung. Mit dem Aktientausch sinkt der Anteil der Stiftung von 71 Prozent auf 57 Prozent. Sie büßt somit fast ein Fünftel ihres Stiftungsvermögens ein.

"Haben Sie den Mut, auch Fehler zu machen und alles komplett in Frage zu stellen", forderte Bertelsmann-Chef Middelhoff vor einiger Zeit die Musikbranche auf, ihr Verhältnis zur Musiktauschbörse Napster zu normalisieren. Middelhoff selbst will natürlich mit dem RTL-Deal keine Fehler machen; er stellt aber die bisherige Konzernpolitik für das angestrebte Ziel in Frage, Marktführer als Inhaltsanbieter in den neuen Medien zu werden.

Schon nach dem Ausstieg bei AOL Europe erklärte Middelhoff, das Betreiben eines Online-Dienstes sei kein zentraler Geschäftsbereich des Mediengiganten; es komme vielmehr darauf an, seine Inhalte über möglichst viele Kanäle verbreiten zu können. "Wir haben den Wein und müssen nicht auch noch die Schläuche besitzen", hieß es damals in Gütersloh. Mit Wein ist Bertelsmann nun jedenfalls noch besser versorgt als zuvor – und zudem mit europäischen Vertriebskanälen, nach denen sich auch ein Gigant wie AOL Time Warner die Finger lecken würde. Das Einverständis Mohns zur Abgabe von Bertelsmann-Anteilen verschafft Middelhoff zudem eine Akquisitionswährung, die er zur weiteren Ausdehnung des Geschäfts gut gebrauchen kann. Eine ausgezeichnte Position, um neben der Telefonica und anderen, die sich bereits im Bertelsmann-Boot befinden, noch weitere Netzbetreiber und Internet-Provider als Partner für die eigenen Inhalte zu gewinnen. (sha)