Informationskrieg: EU-Parlament fordert Sanktionen gegen Russland und China
Russische und chinesische Kampagnen wollen die Demokratie untergraben und die EU spalten, monieren die Abgeordneten. RT & Co. seien keine "echten Medien".
Das EU-Parlament drängt auf ein strikteres Vorgehen gegen Desinformationskampagnen. Die Abgeordneten haben dazu am Mittwoch mit 552 zu 81 Stimmen bei 60 Enthaltungen den Abschlussbericht des Sonderausschusses zu Einflussnahme aus dem Ausland (INGE) angenommen. Die europäische Öffentlichkeit und Regierungsvertreter sind sich demzufolge des Ausmaßes der Bedrohung durch ausländische autokratische Regime – insbesondere Russland und China – lange Zeit vorwiegend nicht bewusst gewesen.
Unzureichende Abwehrmaßnahmen erleichterten es böswilligen Akteuren, kritische Infrastrukturen zu übernehmen, Cyberangriffe durchzuführen, ehemalige hochrangige Politiker zu rekrutieren und die öffentliche Debatte zu polarisieren, heißt es in den Schlussfolgerungen. Die Volksvertreter nennen konkrete Beispiele für die Vereinnahmung von Eliten und verweisen dabei etwa auf Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und die frühere österreichische Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ), auf deren Hochzeit der russische Präsident Wladimir Putin 2018 tanzte.
Um solchen Gefahren zu begegnen, fordert das Parlament auf Empfehlung des INGE-Ausschusses die EU auf, die Öffentlichkeit durch Schulungen für Personen in sensiblen Funktionen und allgemeine Informationskampagnen zu sensibilisieren. Darüber hinaus soll die Gemeinschaft ein Sanktionssystem gegen Desinformation aufbauen. Die Regeln für soziale Netzwerke, die als massives Vehikel für ausländische Einmischung dienen, müssten verschärft werden.
Sorge um Verbreitung von Staatspropaganda
Die Abgeordneten zeigen sich "zutiefst besorgt über die Verbreitung ausländischer Staatspropaganda, die hauptsächlich aus Moskau und Peking sowie Ankara stammt und in lokale Sprachen übersetzt wird". Sie verweisen dabei auf Sender, Agenturen und Zeitungen wie RT, Sputnik, Anadolu, CCTV, Global Times, Xinhua und TRT World. Oft würden Inhalte dort "als Journalismus getarnt". Solche Kanäle dürften nicht länger als "echte", geschützte Medien gelten.
Polarisierende Kampagnen aus Russland und China stellen den Volksvertretern zufolge "die Hauptquelle für Desinformation in Europa dar". An die EU-Kommission geht daher der Appell, "eine Studie über Mindeststandards für Medien als Grundlage für einen möglichen Lizenzentzug bei Verstößen zu initiieren". Ausländische "Störer", die sich fälschlicherweise als Journalisten ausgeben, sollen benannt, angeprangert und von Presseveranstaltungen ausgeschlossen werden. Die Brüsseler Regierungsinstitution hat bereits ein Verbot russischer Staatsmedien verhängt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell will bald einen Instrumentenkoffer für weitere Sanktionen vorlegen.
Pflichten fĂĽr Online-Plattformen gefordert
Online-Plattformen wollen die Parlamentarier verpflichtet sehen, "ihren Teil zur Verringerung von Informationsmanipulation und Einmischung beizutragen". Die Betreiber sollen Labels verwenden, die auf "die wahren Autoren" von Beiträgen sowie auf Deep Fakes hinweisen, und die Reichweite von Konten begrenzen, "die regelmäßig zur Verbreitung von Desinformationen genutzt werden oder die regelmäßig gegen die Geschäftsbedingungen der Plattform verstoßen". Einschlägige nicht-authentische Accounts müssten auf Basis "klarer Rechtsvorschriften" gelöscht werden.
Facebook, Twitter, YouTube & Co. sollen ferner angehalten werden, "Beeinflussungsrisiken" ihrer Algorithmen, Werbemodelle und Empfehlungssysteme zu minimieren und den Grundsatz der Datensparsamkeit zu befolgen. Legale Inhalte dürften aber nicht willkürlich durch den Einsatz von Upload-Filtern entfernt werden. Nötig seien menschliche Prüfer und Fakten-Checker mit Kenntnissen in allen EU-Sprachen.
EU-Rechtsrahmen gegen Verbreitung von Hass
Geschäftsmodelle, mit denen Nutzer auf Plattformen gezielt festgehalten werden, gehören den Abgeordneten zufolge genauso abgeschafft wie Monopole für Online-Werbung. Algorithmen sollen Nutzern eine Vielzahl von Perspektiven bieten sowie "Fakten und wissenschaftlich fundierte Inhalte" in den Vordergrund stellen. Nötig sei ein harmonisierter EU-Rechtsrahmen, um gezielt gegen die Verbreitung von Hass zu Themen wie Gender, LGBTIQ+, Minderheiten und Flüchtlingen vorzugehen.
Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten müssen dem Bericht zufolge ihre Investitionen in Cyberfähigkeiten zum Aufdecken, Entlarven und Bekämpfen ausländischer Eingriffe etwa mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erhöhen, um die Cybersicherheit der EU zu verbessern. Gleichzeitig sollen dabei die Grundrechte geachtet werden.
Kritik an Pegasus, Russland und China
Das Parlament verurteilt "den massiven und illegalen Einsatz der Überwachungssoftware Pegasus der NSO Group durch staatliche Stellen" etwa in Ungarn und Polen gegen Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Politiker. Es fordert die Kommission auf, eine Liste illegaler Spyware zu erstellen und ständig zu aktualisieren. Die digitale Wahlinfrastruktur soll als "kritisch" behandelt und besser geschützt werden.
"Russland, China und andere autoritäre Regime haben mehr als 300 Millionen US-Dollar in 33 Länder gepumpt, um sich in demokratische Prozesse einzumischen", beklagte Berichterstatterin Sandra Kalniete von der konservativen EVP-Fraktion: "Putins Propagandamaschinerie wurde nicht erst am 24. Februar in Gang gesetzt. Sie ist bereits seit Jahrzehnten in Europa am Werk und versucht, unsere Gesellschaften zu vergiften". Online-Plattformen müssten alle Konten sperren, "die Putins Aggression, Kriegsverbrechen und Vergehen gegen die Menschlichkeit leugnen, verherrlichen und rechtfertigen".
Internet-Hate: Gefahr fĂĽr Demokratie
Das Institute for Strategic Dialogue hat parallel die Studie "Hass als Berufsrisiko: Digitale Gewalt und Sexismus im Bundestagswahlkampf" in Zusammenarbeit mit der Hilfsorganisation HateAid veröffentlicht. Den Autoren zufolge zählen Anfeindungen im Internet zu einer der größten Gefahren für den demokratischen Diskurs. Sie würden zunehmend strategisch eingesetzt, um Politiker einzuschüchtern, zu verunglimpfen oder Anhänger eigener Parteien gegen gemeinsame Feindbilder zu mobilisieren.
Sexistische und rassistische Beleidigungen waren im Wahlkampf voriges Jahr auf Twitter an der Tagesordnung, zählt zu den Kernergebnissen. Im September erhielten die 60 in der Analyse beobachteten Kandidaten wie Ricarda Lang von den Grünen 6444 Tweets mit potenziell beleidigender und verletzender Sprache. Allein am Wahltag ergingen 738 solcher Online-Kommentare über sie – das sind rund 30 potenziell hasserfüllte Tweets pro Stunde. Die manuelle Auswertung einer Stichprobe der 191 meist geteilten Tweets mit beleidigender und verletzender Sprache sowie Identitätsattacken zeigt, dass knapp 12 Prozent davon sich gegen Menschen und Gruppen richteten, die bereits im analogen Leben oft diskriminiert werden.
(fds)