Kaliforniens Supreme Court: Uber-Chauffeure bleiben selbständig​

Kaliforniens Wähler haben das Geschäftsmodell von Uber, Lyft & Co gerettet. Das bestätigt nun das Höchstgericht des US-Staates – doch eine Lücke bleibt.​

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Kampagnensujet "Yes 22"

Werbesujet der siegreichen Kampagne für die Gesetzesinitiative "Proposition 22" in Kalifornien. Rund zehn Millionen Kalifornien haben im November 2020 mit Ja gestimmt, etwa sieben Millionen mit Nein.

(Bild: Yes on 22)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Uber, Lyft und Doordash dürfen aufatmen: Sie dürfen ihre kalifornischen Chauffeure weiterhin als Selbständige behandeln. Das geht aus einem einstimmigen Erkenntnis des Supreme Court Kaliforniens hervor. Er bestätigt, dass der Kern einer 2020 von Uber und Lyft gewonnenen Volksabstimmung verfassungskonform ist. Eine Gewerkschaft hat das bestritten, schlussendlich erfolglos.

Allerdings lässt das Höchstgericht einen Punkt ausdrücklich offen: Dürfte der Gesetzgeber den durch die Volksabstimmung eingeführten Gesetzestext wieder ändern, und wenn ja, in welchem Umfang?

Die als Proposition 22 bekannte Volksabstimmung rettete das Geschäftsmodell von Uber, Lyft, Doordash und anderen Essenszustellern. Ausgangspunkt war eine Entscheidung des kalifornischen Supreme Court. 2018 leitete er Kriterien für die Unterscheidung zwischen Selbständigen und Unselbständigen aus damals geltendem Recht ab. Unselbständig beschäftigt ist demnach, wer unter der Kontrolle des Arbeitgebers arbeitet und sonst kein unabhängiges Geschäft gleicher Art betreibt. Außerdem muss die erbrachte Leistung zum üblichen Betrieb des Arbeitgebers zählen. Das ging dem Gesetzgeber zu weit; 2020 trat ein Gesetz (bekannt als AB 5) in Kraft, das Ausnahmen für verschiedene Berufsgruppen vorsieht, nicht aber für Chauffeure von Fahrtenvermittlern wie Uber und Lyft. Diese Firmen verklagte der Staat auf die Gewährung von Arbeitnehmerrechten. Tatsächlich wollen vier Fünftel der Chauffeure aber nicht als Angestellte behandelt werden, sondern selbständig bleiben.

Es folgte Proposition 22, um rechtlich klarzustellen, dass die Lenker als Selbständige einzustufen sind. Die Werbekampagne für und gegen die Proposition 22 war die bis dahin teuerste Kampagne für eine Volksabstimmung in einem US-Staat – mit Abstand. Über 216 Millionen US-Dollar wurden ausgegeben, wobei die Befürworter etwa siebzehnmal so viel Geld aufgebracht haben wie die Gegner. Die wichtigsten Geldgeber waren, wenig überraschend, die Firmen Uber, Lyft, Doordash, Instacar und Postmates. Die Nein-Kampagne wurde vor allem von Gewerkschaften finanziert. Eine deutliche Mehrheit der Wähler stimmte für die Proposition 22, die damit Gesetzeskraft erlangt hat.

Eine Gewerkschaft nahm das nicht hin und klagte gegen die kalifornische Uber-Volksabstimmung mit dem Argument, sie sei verfassungswidrig, weil für Arbeitsrecht ausschließlich das Parlament zuständig sei. Außerdem seien unzulässigerweise mehrere Themen in einer Proposition vermengt worden. Tatsächlich gab die erste Instanz der Gewerkschaft Recht (Alameda County Superior Court, Az. RG21088725), so dass Uber und Lyft wenige Stunden vor der Betriebsschließung im bevölkerungsreichsten US-Staat standen. Schließlich entschied aber das Berufungsgericht mehrheitlich für den Volksentscheid und damit die Selbständigkeit der Uber-Chauffeure (First Appellate District, Division Four, Az. A163655). Lediglich zwei Nebenbestimmungen, die den Gesetzgeber weiter einschränken sollten, bestätigte das Berufungsgericht als ungültig weil verfassungswidrig, darunter eine gewerkschaftsfeindliche Bestimmung.

Hinsichtlich des Kernelements, das den Chauffeuren die Selbständigkeit sichert, konnten die Arbeitnehmervertreter noch eine Überprüfung durch den Supreme Court Kaliforniens erreichen, müssen dort aber eine weitere Niederlage einstecken. Zunächst hält das Höchstgericht fest, dass Gesetzesinitiativen durch Volksabstimmung nicht etwa eine vom Gesetzgeber dem Volk zuerkannte Möglichkeit der Rechtssetzung seien, sondern ein grundsätzliches Recht, dass sich das Volk als Souverän vorbehalten habe; entsprechend seien laut ständiger Rechtsprechung Bestimmungen zu Volksabstimmungen im Streitfall zugunsten des Volkes auszulegen.

Zwar sieht der Text der Verfassung Kaliforniens vor, dass die Gesetzgebung zu bestimmten Themen (darunter Arbeitsrecht) dem Parlament obliege, und zwar "unbeschränkt durch jegliche Verfassungsbestimmungen". Doch dürfe das Wort "unbeschränkt" nicht wörtlich genommen werden, führt der Supreme Court dann aus, weil das zu absurden Ergebnissen führe; solche Gesetze stünden dann nämlich außerhalb jeden verfassungsrechtlichen Rahmens. Das hat der Supreme Court Kaliforniens bereits 1937 in einem anderen Fall entschieden (McPherson v City of Los Angeles). Damit ist die Gewerkschaft mit ihrem Argument, das Volk dürfe gar nicht über Arbeitsrecht abstimmen, gescheitert.

Was aber, wenn das Parlament nun eine Novelle beschließt, die das Ergebnis der Volksabstimmung konterkariert? Dazu sieht die Proposition 22 vor, dass das nur mit einer Mehrheit von sieben Achtel der Abgeordneten in jeder der beiden Kammern möglich ist; anschließend müsste wieder ein Referendum durchgeführt werden muss. Das ist eine übliche Klausel bei kalifornischen Volksabstimmungen. Ob sie allerdings bei arbeitsrechtlichen Volksabstimmungen greift, könne nicht abstrakt entschieden werden, sagt der Supreme Court. Dazu müsse ihm ein konkreter Gesetzesbeschluss vorgelegt werden. Zumindest bis dahin dürfen die für Firmen wie Uber, Lyft und Doordash tätigen Chauffeure in Kalifornien weiter als Selbständige fahren.

Das nach Bestätigung des Abstimmungserfolgs in Kraft bleibende Gesetz bringt den Chauffeuren neue Mindeststandards und Rechte:

  • Mindestentlohnung für Fahrtzeiten, die mindestens 20 Prozent über dem Mindestlohn liegt, der am Abfahrtsort für Beschäftigte gilt
  • Trinkgelder dürfen nicht abgezogen werden und auch nicht durch Gebühren, etwa für Kreditkarten, gekürzt werden.
  • Zusätzlich Mindestzahlung von 30 Cent je Meile, inflationsgesichert
  • Chauffeure dürfen nicht gezwungen werden, Aufträge anzunehmen, oder zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten zur Verfügung zu stehen. Sie dürfen auch für direkte Konkurrenten arbeiten oder beliebigen anderen legalen Beschäftigungen nachgehen.
  • (Potenzielle) Chauffeure werden durch ein Diskriminierungsverbot geschützt und haben das Recht auf Berufungen gegen Disziplinarmaßnahmen.
  • Betreiber der Vermittlungsapps wie Uber und Lyft müssen Haftpflicht-, Unfall- und Invaliditätsversicherung übernehmen.
  • Außerdem müssen sie ihren Chauffeuren die durchschnittlichen Krankenversicherungskosten für eine kalifornische "Bronze"-Police ersetzen, soweit der Fahrer durchschnittlich mindestens 25 Stunden die Woche eingeloggt ist (bei 15 bis 25 Stunden sind es die halben Krankenversicherungskosten).
  • Die Betreiber müssen ein Regelwerk gegen sexuelle Belästigung mit Beschwerdeverfahren für Chauffeure wie Fahrgäste haben.
  • Die Betreiber müssen alle Chauffeure auf strafrechtliche Verurteilungen überprüfen und alle Auszahlungen der Steuerbehörde melden.
  • Es gilt null Toleranz bei Drogen- und Alkohol-Verdacht.
  • Chauffeure müssen Mindestruhezeiten einhalten und Sicherheitstrainings absolvieren.

Das Verfahren vor dem Supreme Court of California hieß Hector Castelllanos et al v State of California et al (Az. S279622).

(ds)