Medizin-Nobelpreis für Erforschung der RNA-Interferenz

Den Medizin-Nobelpreis 2006 teilen sich die Amerikaner Andrew Z. Fire und Craig C. Mello. Sie erforschten die grundlegenden Mechanismen, die Gene verstummen lassen.

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Andrew Z. Fire und Craig C. Mello dürfen ihre ohnehin vollen Terminkalender um einen weiteren wichtigen Termin ergänzen: Am 10. Dezember haben sie sich in Stockholm einzufinden. Dort wird ihnen feierlich der Medizin-Nobelpreis überreicht werden.

Die beiden US-Amerikaner dürfen sich 10 Millionen Schwedische Kronen (1,08 Millionen Euro) Preisgeld teilen. Sie erhalten die Auszeichnung, weil sie einen grundlegenden Mechanismus erkundeten, der dafür verantwortlich ist, dass sich Gene in Tier und Mensch selbst abschalten können. Mit dieser so genannten RNA-Interferenz (RNAi) blockiert das Genom gezielt die Bildung überflüssiger oder schädlicher Eiweiße wie etwa die von Viren. Viel interessanter noch ist die Tatsache, dass man diesen Prozess auch gezielt herbeiführen kann. Das eröffnet ganz neue viel versprechende Behandlungsansätze vor allem gegen Viruserkrankungen.

Das menschliche Erbgut besteht aus nahezu 30.000 Genen. Doch nur ein kleiner Teil von dieser ungeheuren Menge wird in den einzelnen Zellen aufgerufen. Welche Gene die Zelle benötigt, kontrolliert ein so simples wie komplex reguliertes System. Die grundlegenden Prinzipien klärten die französischen Nobelpreisträger Francois Jacob und Jacques Monod bereits vor 40 Jahren auf: Das Erbgut beauftragt Boten, die so genannten messenger RNA, ihre Information zu übermitteln und das gewünschte Protein zu bilden. Die unterschiedlichsten Faktoren beeinflussen Gene wie auch die Übermittlung. Trotzdem traten immer wieder Erscheinungen auf, die sich Molekularbiologen nicht erklären konnten, zum Beispiel dass die Bildung von Eiweißen einfach eingestellt wurde.

Fire und Mello untersuchten diese seltsamen Effekte an Würmern, den gerade mal einen Millimeter lange Caenorhabditis elegans., die es wegen ihrer Durchsichtigkeit und der vorgegebenen Zellentwicklung zu einem Modellorganismus für Molekularbiologen gebracht haben. An ihnen prüften die beiden frisch gekürten Nobelpreisträger, wie Gene an- und wieder abgeschaltet werden. Sie spritzten sie den Würmern die Boten-RNA für ein bestimmtes Muskelprotein – einmal als einzelnen Strang und so wie er im Körper vorkommt, einmal genau den entgegen gesetzten Strang, der die Fähigkeit hat, sich an ersteren zu binden. In beiden Fällen passierte nichts. Als sie aber die beiden RNA-Fäden gemeinsam injizierten, begannen die Würmer unkontrolliert durch die Gegend zu springen.

Scheinbar konnte der Doppelstrang, die genetische Informationen für das Muskelprotein blockieren. Mello und Fire testeten das Prinzip mit weiteren doppelsträngigen RNA-Molekülen – und kamen immer wieder zu dem selben Ergebnis. Das Protein, dass das Gen liefern sollte, wurde nicht länger gebildet. Wie bei einer Stornierung wurde der Auftrag eingestellt. Am 19. Februar 1998 veröffentlichten die beiden ihre Entdeckung in der Zeitschrift Nature und eröffneten damit ein ganz neues Forschungsfeld.

Inzwischen kennen Wissenschaftler den Weg, den die RNA nimmt. Sie bindet an ein Protein, dem sie den Namen Dicer gaben, das die Stränge in kleine Schnipsel zerschneidet. Ein Strang dieser Fragmente bildet den so genannten RISC-Komplex, der an die ursprüngliche Boten-RNA bindet, sie zerstört und so die Proteinsynthese unterbindet. Die übrig gebliebenen RNA-Teilchen werden recycelt und wieder verwendet.

Die Vorstellung mit Mitteln, die das Erbgut in nicht krankmachender Art und Weise beeinträchtigen, krankmachenden Eiweißen den Garaus zu machen, hat Charme – nicht nur für die Wissenschaft, auch für die Pharmaindustrie. Vor zwei Jahren konnten zwei deutsche Wissenschaftler zeigen, dass sie mit Hilfe der von RNA-Schnipseln die Bildung des Apolipoproteins B hemmen konnten – und damit den Cholesterin-Spiegel senken.

Einer der erfolgreichsten RNAi-Forscher ist der Deutsche und ehemalige MPI-Forscher Thomas Tuschl von der Rockefeller University in New York. Er entwickelte noch in Deutschland eine praxistaugliche Methode, mit der sich die Gene abschalten lassen. Sein Verfahren hat er sich patentieren lassen und das Unternehmen Alnylam mitbegründet, das sich auf Virenerkrankungen spezialisiert hat – vor allem von Atemwegserkrankungen. Denn die Eiweiße, die die Krankheitskeime so gefährlich machen, könnten sich damit aufhalten lassen.

Bislang wurde Tuschl als Nobelpreis-Kandidat für die Entwicklung der RNA-Interferenzen gehandelt. Und unter den deutschen Experten raunt es hinter vorgehaltener Hand, dass man ihn hätte berücksichtigen müssen.

"Dieser Nobelpreis ist mehr als gerechtfertigt – das ist ganz fantastisch", sagt Wolfgang Nellen, Leiter des Institut für Genetik an der Universität Kassel. "A revolution", stimmt Tobi Hymen, Direktor am Max Planck Institut für Zellbiologie und Genetik in Dresden mit ein. Andrew Fire und Craig Mello haben 1998 ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet. "Das ist der Beweis das absolute und reine Grundlagenforschung auf einmal einen absoluten Impact bekommen kann", schwärmt der Kassele Genetiker. Schließlich haben die beiden die bisherige Annahmen der Genregulation auf den Kopf gestellt. Bislang nahm man an, dass irgendwelche Proteine an das Erbgut binden und so das eine Gen aktivieren oder ein anderes Hemmen. "Dass aber die Botschaft selbst regulierend eingreift ist etwa so, als wenn Sie das Kochrezept mit in die Suppe geben, damit sie schmackhaft wird", so Nellen. Heute sei klar, dass die kleinen RNA-Fragmente nicht nur bei dem Abschalten von Genen eine Rolle spielen – auch bei Verpackung oder Entpackung von Chromosomen mischen sie eifrig mit. Welchen Durchbruch sie erzielen sei wohl Fire und Craig vor acht Jahren nicht bewusst gewesen.

Auch Toby Hymen gönnt seinem Exkollegen Fire den Preis von Herzen. "Wir haben gemeinsam in Cambridge gearbeitet – ein wahnsinnig netter Mensch. Hat seine Arbeit, sein Interesse und seine Konzentration in Erforschung der Genregulation gesteckt. Dass Thomas Tuschl nicht berücksichtigt wurde bedauern die beiden Wissenschaftler zwar, können die Entscheidung der Jury aber nachvollziehen. "Die Entdeckung haben Fire und Craig geliefert, auch wenn die nachfolgenden Aufklärung der Mechanismen ebenfalls bahnbrechend und enorm wichtig war", meint Wolfgang Nellen. Hymen vermutet, dass man dann auch noch andere ins Boot hätte holen müssen. "Deswegen hat man sich wohl auf die beiden Entdecker konzentriert," so Hymen.

Siehe dazu in Technology Review:

(Edda Grabar) / (wst)