YouTube: Desinformationen zu US-Wahlen werden nicht mehr vollumfänglich glöscht

Das Videoportal will "Fake News" über die US-Präsidentschaftswahl 2020 und ihre Vorgänger zugunsten der politischen Meinungsäußerung nicht länger entfernen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 118 Kommentare lesen

(Bild: Dilok Klaisataporn/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

YouTube hat einen massiven Kurswechsel im Kampf gegen Desinformation angekündigt. Die Videoplattform werde ab sofort "keine Inhalte mehr entfernen, die falsche Behauptungen über weitverbreiteten Betrug, Fehler oder Pannen im Jahr 2020 und bei anderen vorausgegangenen US-Präsidentschaftswahlen aufstellen", erklärte die Google-Tochter am Freitag in einem Blogeintrag. "Wie bei jeder Aktualisierung unserer Richtlinien haben wir diese Änderung sorgfältig abgewogen", heißt es weiter. "Dieser spezifische Aspekt unserer Politik" zu Falschinformationen rund um Wahlen stelle "nur einen Teil eines umfassenden, ganzheitlichen Ansatzes zur Unterstützung" demokratischer Prozesse auf YouTube dar.

"Wir haben erstmals im Dezember 2020 eine Bestimmung unserer Wahl-Desinformationsrichtlinie eingeführt, die sich auf die Integrität vergangener US-Präsidentschaftswahlen konzentriert", schreibt das YouTube-Team. "Zwei Jahre, zehntausende Videolöschungen und einen Wahlzyklus später erkannten wir, dass es an der Zeit ist, die Auswirkungen dieser Maßnahme in der heutigen veränderten Landschaft neu zu bewerten." Im aktuellen Umfeld vor der Präsidentschaftswahl im November 2024 dämme das Entfernen einschlägiger Inhalte "zwar einige Fehlinformationen" ein. Dies könnte aber auch den unbeabsichtigten Effekt haben, "die politische Meinungsäußerung einzuschränken, ohne das Risiko von Gewalt oder anderen Schäden in der realen Welt wesentlich zu verringern".

An der Effektivität der bisherigen Vorgabe hatte es Zweifel gegeben. Eine 2020 veröffentlichte Studie ergab, dass der Empfehlungsalgorithmus von YouTube gerade Nutzern mit einem Hang zu Verschwörungstheorien oft Videos zeigte, die Wahlergebnisse in Frage stellten. Die Plattform musste sich auch immer wieder Kritik anhören, dass sie Spots mit falschen Wahlbehauptungen online lasse. "Wir stellen sicher, dass Nutzer, die auf YouTube nach Nachrichten und Informationen zu Wahlen suchen, Inhalte aus seriösen Quellen in der Suche und in den Empfehlungen prominent sehen", hält der Portalbetreiber dagegen. "Nach der US-Wahl 2020 haben wir beispielsweise herausgefunden, dass Videos aus seriösen Quellen wie Nachrichtenagenturen die am häufigsten angesehenen und empfohlenen Wahlsendungen auf YouTube waren."

Trotz des Nachjustierens blieben prinzipiell alle Richtlinien zu Desinformation bei Wahlen in Kraft, betont das YouTube-Team. So würden etwa Inhalte weiter entfernt, die darauf abzielen, Nutzer "über Zeit, Ort, Mittel oder Wahlberechtigungsvoraussetzungen in die Irre zu führen". Untersagt seien auch nach wie vor falsche Behauptungen, die Zuschauer maßgeblich von der Stimmabgabe abhalten könnten. Diese schließe Angaben ein, die die Gültigkeit der Briefwahl bestreiten. Ebenfalls werde man weiter gegen Inhalte vorgehen, "die andere dazu ermutigen, sich in demokratische Prozesse einzumischen". Die Medienorganisation Free Press forderte YouTube indes auf, die "gefährliche Entscheidung" sofort zurückzunehmen. Hass und Falschinformationen bedrohten in einer zunehmend polarisierten politischen Landschaft die Demokratie. Aktivisten von Media Matters beklagten, der US-Konzern lasse "Leuten wie Donald Trump und seinen Erfüllungsgehilfen freie Hand".

Hierzulande setzte YouTube kurz vor der Bundestagswahl 2021 eine spezielle "Wahlintegritätsrichtlinie" für Videomacher in Kraft. Kurz zuvor hatte Google bekanntgegeben, den Zugang zu glaubwürdigen und relevanten Informationen für demokratische Abstimmungen mit einem "digitalen Werkzeugkasten" verbessern zu wollen. Im November stellten die Alphabet-Ableger mit "Prebunking" eine "mentale Rüstung" gegen Propaganda vor. Google und YouTube gehören zudem zu den Erstunterzeichnern des Verhaltenskodex gegen Desinformation, den die EU-Kommission 2018 ins Leben rief. Der Digital Services Act (DSA) wird die Plattformen noch stärker auch im Kampf gegen Falschbehauptungen in die Pflicht nehmen. Die Kommission wird prüfen müssen, ob YouTube mit der neuen Linie gegen die Vorschriften verstößt.

(bme)