Merkels neue Schritte im Netz
Seit 2006 widmet sich die CDU-Vorsitzende samstäglich in einem Video-Podcast staatstragend und wenig interaktiv einem Lieblingsthema. Im Wahlkampf zeigt sie sich nun mutiger - allerdings nur dort, wo es ihr passt.
Vorsichtig hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Internet genähert. Im Video-Podcast jeden Samstag widmet sich die CDU-Vorsitzende bereits seit 2006 staatstragend und wenig interaktiv einem Lieblingsthema. Im Wahlkampf zeigt sie sich nun mutiger – allerdings nur dort, wo es ihr passt.
Im Online-Netzwerk studiVZ listet Merkel ihre Lieblingsmusik auf, darunter Richard Wagner, die Beatles und Karat. Bei der Konkurrenz von Facebook verrät sie ihren Traum: "Einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok reisen." Zusammengerechnet kommt die Kanzlerin auf knapp 70.000 Anhänger in den beiden Netzwerken und lässt damit ihren SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier mit 20.000 weit hinter sich.
Demnächst will Merkel bei studiVZ, Facebook und auf der CDU-eigenen Plattform teAM Deutschland auch Fragen von Bürgern beantworten ("Frag Angie") – allerdings nur solche ihrer Sympathisanten. Die bei einer Abstimmung ausgesuchten Fragen will sie Ende August per Video beantworten. Dies sei "ein besonderes, exklusives Angebot" an ihre Unterstützer, begründet eine CDU-Sprecherin die Einschränkung. Wer sich nicht als Anhänger Merkels ausgeben möchte, solle eben ihre regulären Seiten oder das Nischenangebot direktzurkanzlerin.de ansteuern.
Einer anderen großen Plattform, die sich dem direkten Dialog zwischen Bürgern und Politikern verschrieben hat, verweigert sich Merkel seit Jahren konsequent: Auf der Politikerbefragungsplattform Abgeordnetenwatch hat sie in ihrer Funktion als Bundestagsabgeordnete bisher 369 Fragen erhalten – und keine einzige beantwortet. Andere Abgeordnete, darunter inzwischen auch Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU), schreiben fleißig zurück oder teilen wenigstens mit, warum sie nicht ausführlich antworten, erläutert Gregor Hackmack von Abgeordnetenwatch – zum Beispiel weil sie keine Zeit haben oder lieber Briefe schreiben.
Von Merkel allerdings kam bisher keine Zeile. "Vielleicht will sie sich einfach nicht festlegen – wir kennen das ja von ihr", meint Hackmack. Die CDU-Sprecherin sieht das anders: Die Plattform Abgeordnetenwatch, die unter der Schirmherrschaft der ehemaligen Verfassungsrichterin Jutta Limbach steht, sei ein "selbsternannter Vermittler" zwischen Parlamentariern und Bürgern und biete gar keinen direkten Dialog. Durchsetzen konnte sich Merkel mit dieser Einschätzung in ihrer Partei aber bisher nicht: Mehr als drei von vier Fragen an CDU-Abgeordnete werden auf der Plattform zumindest mit einer Höflichkeitsfloskel beantwortet.
"Dialog gibt es nur, wenn alles äußerst kontrolliert ist", kritisiert Markus Beckedahl, der mit www.netzpolitik.org zu den wichtigsten deutschen Bloggern zählt, die geplante Frage- und Antwortaktion der Kanzlerin. Merkels Profile in den Online-Netzwerken ähnelten bisher "eher animierten Litfaßsäulen als einem richtigen Dialog". Immerhin erhält jeder neue Fan bei studiVZ die Nachricht "Angela Merkel hat Dich gegruschelt" – das ist der Szene-Ausdruck für eine Art freundschaftliche Kontaktaufnahme. Doch solche identischen Gesten, gibt Beckedahl zu bedenken, "kann auch ein Roboter machen".
Zur Bundestagswahl im September 2009 siehe auch:
- Zwischen Design und Dialog: Politik im Internet
- Piratenpartei darf bei Bundestagswahl antreten
- Wahlzentrale bei StudiVZ: Angela Merkel punktet
- Grundsatzdebatte im Bundestag über Achtung der Grundrechte
- Tauss: Viele Abgeordnete können sich unter "Internet" weniger vorstellen als unter einer Kuh
- ZDF und YouTube starten Gemeinschaftsprojekt zur Bundestagswahl
- Mit Westerwelle gruscheln und der "Kanzlerin" zwitschern
- Die Politik entdeckt das Web 2.0
Zu den Wahlprogrammen für die Bundestagswahl 2009 siehe auch:
- Piratenpartei tritt für digitale Freiheit ein
- CDU und CSU wollen Rechtsverletzungen im Netz "effektiv unterbinden"
- Linke fordern "Fair Work"-Siegel für Medienprodukte
- SPD will Einführung einer Kultur-Flatrate prüfen
- Die Grünen wollen die Internetfreiheit bewahren
- FDP "glasklar" gegen Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen
- FDP will die "Internetrepublik Deutschland" verwirklichen
(Alexander Missal, dpa) / (anw)