Missing Link: Covid-19-Impfstoffpatente retten die Welt – oder auch nicht

Seite 2: Forschung und Finanzierung

Inhaltsverzeichnis

Ein Blick auf die Geschichte der mRNA-Impfstoffe zeigt: große Konzerne mit tiefen Taschen kamen relativ spät an den gedeckten Tisch. Pfizers Vertrag mit Biontech zur Zusammenarbeit bei der Herstellung und Distribution des Covid-19-Impfstoffs beispielsweise datiert auf den 17. März 2020. Eine erste Forschungspartnerschaft gingen Pfizer und das schnell wachsende Start-up 2018 ein. Insgesamt mehr als drei Jahrzehnte nachdem die Grundlagenforschung zu mRNA-Impfstoffen in den USA begonnen hatte.

Wichtige Grundlagen legten in den 1990er-Jahren Forscher an der University of Pennsylvania. Dort forschte die ungarische Wissenschaftlerin Katalin Karikó zunächst alleine und von ihrer Universität mindestens unbeachtet, später mit ihrem Kollegen Drew Weissman. Erst viel später meldete das Duo entsprechende Patente an. Aber wenn es irgendwann einen Nobelpreis für die neue mRNA-Plattform-Technologie geben, würde er diese beiden Wissenschaftler nennen, sagte der ehemalige Stanford-Forscher und Gründer von Moderna, Derrick Rossi, kürzlich dem Boston Globe.

Moderna startete 2010 mit der Weiterentwicklung der mRNA-Technologie. Wie das 2009 gestartete Biontech lizenzierte man die Patente von der University of Pennsylvania und Biontech holte sich 2013 Karikó einfach direkt für ihr mRNA-Geschäft ins Haus.

Bedeutend früher als die beiden heutigen mRNA-Covid-19-Impfstoff-Konkurrenten war die Tübinger Firma CureVac dran. Deren Gründer Ingmar Hoerr promovierte 1999 zum Thema "RNA-Vakkzine zur Induktion von spezifischen cytotoxischen T-Lymphozyten (CTL) und Antikörpern" und meldete, gemeinsam mit mehreren Tübinger Professoren, darunter seinem Doktorvater, 1999 auch das erste Patent beim Deutschen Patent- und Markenamt an.

Wie Biontech wandte sich Hoerr mit seinem 2000 gegründeten Start-up zwischenzeitlich stärker der Nutzung von mRNA als Bote und Zellinformant für die Immunabwehr gegen Krebs zu. Finanziert von der Gates-Stiftung begann Curevac allerdings schon vor knapp zehn Jahren mit der Entwicklung von mRNA-basierten Impfstoffen – gegen vernachlässigte Krankheiten.

Wem am Ende die im Covid-Jahr 2020 angemeldeten SARS-CoV2-mRNA-Impfstoffpatente gehören, wie trennscharf sie formuliert sind und wer auf welchem Wissen aufbaut und es weiterentwickelt, darüber dürfen Patentprüfer sich jetzt die Köpfe zerbrechen. Einen ersten Patentstreit während der Entwicklung hatte Moderna Mitte 2020 bereits auszufechten – und verlor gegen das Biotech-Unternehmen Arbutus Biopharma. In dem Patentstreit ging es um einen weiteren wichtigen Bestandteil der mRNA-Impfstoffe, die Liquid Nanopartikel (LNP), die als Träger der mRNA Erbgut-Informations-Moleküle dienen.

Umgehen Hersteller wegen der Patentdichte manchmal Lösungen, die die Konkurrenz sich hat schützen lassen, fragte Anfang des Jahres der Software Entwickler Bert Hubert, Gründer von Power DNS. Die angefragten Hersteller verneinten es dem DNS-Experten gegenüber.

Hubert ist davon nicht überzeugt. "Alles in den mRNA-Patenten ist patentiert, und zwar zwanzigmal", ist seine Beobachtung. Die meisten Universitäten wagten sich gar nicht mehr an das Thema, wegen der Patente. "Oxford hat gepokert, und das S-Protein des Virus für den Impfstoff nicht verändert, eben weil man die IP-Rechte anderer fürchtete. Das hätte ihren Impfstoffkandidaten killen können", schreibt Hubert auf Anfrage. Hätte Oxford die 2PP-Mutation genommen, wäre es wohl besser gewesen, aber genau das war von verschiedenen Seiten patentgeschützt. Zwar ist Hubert überzeugt, dass es nicht Intellectual Property Rights (IPR) sind, die aktuell für die Verzögerungen bei den Impfstoffkampagnen verantwortlich zeichnen, sondern vielmehr das "Know how" der begrenzende Faktor ist. Problematisch sei aber, dass gerade in Europa Hersteller ohne eigene "mit Patenten gefüllte Kriegskasse" den Markt eher skeptisch beäugen. "Hier könnte ein echter Verlust liegen", sagt er.

Ob Impfstoffe auch stärker nach dem in der Softwareentwicklung anerkannten Open-Source-Modell gebaut werden könnten? Ein paar der Schritte, die Hersteller auf dem Weg zu mRNA-Impfstoffen machen, sind auf jeden Fall Software-gestützt, erklärt Hubert. Andere seien es nicht und wieder andere könnten mit Software-Unterstützung weiter verbessert werden. Er glaube nicht, dass Software-Quelloffenheit die magische Ingredienz für die Impfstoffe selbst sein könnte. "Auf jeden Fall kann es das Tooling verbessern helfen, und den Prozess demokratisieren."

Hubert selbst hat übrigens etwas Bemerkenswertes getan: Per Reverse Engineering deckte er die mRNA-Sequenz des Biontech-Impfstoffes auf und verwies auf die praktisch industrielle Herstellbarkeit mit Druckern. Ein Impfstoff aus der Garage ist damit zwar nicht möglich, aber es bringt ein bisschen mehr Licht in die hochgelobte Plattform-Technologie. Eine Sache, die eigentlich das Patentsystem leisten sollte.