Missing Link: Covid-19-Impfstoffpatente retten die Welt – oder auch nicht

Seite 4: Abhilfe

Inhaltsverzeichnis

Das Verhalten und die Strategien mancher Patentinhaber haben das Patentsystem in Verruf gebracht, erklärt Frank Tietze, Dozent für Technology und Innovationsmanagement an der Cambridge Universität. Tietze gehört zu einer Gruppe von Wissenschaftlern, die besondere Regeln für die Nutzung von Patenten unter Pandemiebedingungen plädieren.

Für die Zeit der Pandemie sollten, so der Vorschlag der Wissenschaftler, die Rechteinhaber die Nutzung ihres Know-hows erlauben. Die "Open Covid Pledge" war unter anderem vom gemeinnützigen Wellcome Trust angestoßen worden, um den Zugriff auf Pandemie-bezogene Publikationen zu erlauben.

Gegenüber Zwangslizenzen hätte ein solches "Versprechen" den Vorteil, dass der Wissenstransfer von den Rechteinhabern unterstützt werde. Dem Patent-Pooling von Patenten sei er vorzuziehen, weil keine aufwendigen, bilateralen Abkommen notwendig seien und stattdessen zeitlich begrenzt das Know-how genutzt werden könne.

Die finanziellen Interessen blieben zwar nicht vollkommen unberührt, schreiben die Befürworter des Open Covid Pledge, aber nach der Pandemie erhielten die Rechteinhaber ihre Exklusivitätsansprüche zurück. Bislang haben die Unternehmen solche Vorstellungen zurückgewiesen, als Unsinn bezeichnete der Moderna-Chef Stéphane Bancel etwa den Covid-19 Technology Access Pool der WTO. Er ist bislang leer.

Einen radikaleren Weg zur Bewältigung des Impfstoffzugangsproblems schlägt James Love, Gründer der Patent-kritischen Organisation Knowledge Ecology International vor. Love empfiehlt, dass die Staaten selbst zu Playern werden, Patentrechte halten und damit die Produktion über möglichst viele Lizenznehmer organisieren. Der US-Amerikaner bedauert, dass die Regierungen sich solche Ansprüche nicht schon bei der Vergabe von Geldern gesichert haben. Jetzt werde es eben noch mal teurer.

Aber: die Konkurrenz von öffentlicher Seite hätte auch ihr Gutes: Etwaige Preissteigerungen, die nach dem offiziellen "Ende" der Pandemie von den privaten Rechteinhabern bereits in Aussicht gestellt wurden, seien durch den staatlichen Zugriff abgefedert. Angesichts des voraussichtlich noch über Jahre bestehenden Impfbedarfs ist das aus Sicht der öffentlichen Kassen möglicherweise kein schlechter Deal.

Auch in Deutschland ist das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen, schreibt Achim Kessler, der für Die Linke im Bundestag auf die Anhörung zum Thema Patentfreigaben gedrängt hatte. "Unser Antrag zur Lizenzfreigabe ist noch nicht vom Tisch, wir haben die Beschlussfassung beantragt", teilt er auf Anfrage mit. Die nächste formale Sitzung des TRIPS-Rats, der über das internationale Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) wacht, bei der WTO im Juni tage. Eine informelle Sitzung sei für Anfang April angesetzt.

Man dürfe nicht vergessen, dass geistige Eigentumsrechte wie Patente und exklusive Nutzungslizenzen auf pharmazeutische Produkte erst seit wenigen Jahrzehnten weltweit juristischer Standard seien, mahnt Kessler. Sie seien seitdem hart umkämpft. "Vor TRIPS gab es viele Länder, in denen pharmazeutische Produkte explizit von einem kommerziellen Exklusivanspruch ausgenommen waren", erinnert er und beklagt, "die von der Pharmaoligarchie durchgesetzten hohen Preise führten schon vor der Pandemie dazu, dass Millionen Menschen weltweit keinen Zugang zu dringend benötigten Arzneimitteln hatten". Die Belastung der Gesundheitssysteme durch neuartige, hochpreisige Arzneimittel sieht er ebenfalls als Problem und verweist auf "alternative und praktikable Modelle wie Equitable Licensing".

Grundsatzänderungen, wie sie den Linken vorschweben, dürften es weiterhin schwer haben. Aber mit jeder Verzögerung der Impfkampagnen gerade auch in den reichen Ländern wächst der Druck, doch einen Schritt weiterzugehen als nur Exportstopps zu verfügen. Mittlerweile hat überdies zusätzlich eine Reihe von Regierungen, darunter die von Australien, Norwegen und Kanada, ebenfalls eine Initiative gestartet, bei der die WTO bilaterale Lizenzvereinbarungen stiften soll. Einen ähnlichen Vorstoß hat auch Frankreichs WTO-Vertreter angekündigt.

(olb)