Missing Link: Covid-19-Impfstoffpatente retten die Welt – oder auch nicht

Seite 3: Nicht dem Markt überlassen

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Das Patentsystem kann ein paar Verbesserungen vertragen, bloggte Anfang März 2021 Lisa Larrimore Ouellette, Juraprofessorin an der Stanford Law School, gemeinsam mit Kollegen und zielt dabei auf die Anforderungen an die Offenlegung patentierten Know-hows. "Wären Patente besser darin, als sie es aktuell sind, technisches Wissen öffentlich zu machen, könnten sie besser zur Verbreitung von Know-how dienen", meint Ouellette. Das würde die üblich gewordene Strategie, sich doppelt über wenig aussagekräftige Patente und parallel geschützte Geschäftsgeheimnisse abzusichern, abmildern und laut Ouellette "die kumulative Innovation verbessern".

Ouellette gehört zugleich allerdings zu den Juristen, die wie Hilty das Patentsystem gar nicht als Problem stockender Impfstoffkampagnen und massiver Ungleichheiten beim Zugriff auf Impfstoffe betrachtet. Patente, meint sie, seien in dieser Pandemie eher ein Nebendarsteller. Ihre Aufhebung würde nicht helfen, einerseits weil andere Schutzrechte wie Geschäftsgeheimnisse dem entgegenstünden. Andererseits, weil die Impfstoffe komplex und die Zulassungsvoraussetzungen für Generika-Impfstoffe fehlten. Vor allem aber, argumentiert Quellette, seien die Firmen aktuell angesichts der enormen Nachfrage daran interessiert, so schnell und so viel wie möglich zu produzieren. Die öffentliche Hand, so meint Ouellette, könne dadurch, dass sie massiv in den Aufbau von Produktionsstätten investiere, mehr tun – und letztlich sei es auch der Staat, der über Preise verhandele.

So hat die US-Regierung, anders als die europäischen Staaten, die Produktion und den Zugriff auf Impfstoffe keineswegs dem Markt oder Patentinhabern überlassen. Zwar überließ man alles geistige Eigentum an den Entwicklungen den mit milliardenschweren Konzernen. Zugleich hielt man beispielsweise Pfizer dazu an, das Wissen von Biontech in die USA zu transferieren, um vor Ort in ausreichender Menge für die USA produzieren zu können.

Dr. Moncef Slaoui, Immunologe und Kenner von US-Impfkampagnen, beschrieb gegenüber der New York Times den Fehler der Europäer so: "Sie haben geglaubt, es reiche, wenn sie einfach nur Verträge mit den Impfstoffherstellern über die Lieferungen von Impfstoff machen". Tatsächlich aber hätte man sich in die Entwicklung und den Aufbau der Produktion einmischen müssen.

Analog dazu ist die Frage, ob Impfstoffhersteller auch ohne staatliche Intervention überhaupt an einem breiten, weltweiten Produktionsausbau interessiert sind, durchaus angebracht. Mehr und mehr Firmen heben mittlerweile die Hand und sagen, ich kann die Produktion aufbauen, erhalte aber keine Lizenz.

Schlagzeilen machte vor wenigen Wochen die kanadische Firma Biolyse Pharma, die bei Johnson & Johnson um eine kostenpflichtige Lizenz nachsuchte, um im eigenen Werk in Ontario Impfstoff, wenigstens für den Export in ärmere Länder, produzieren zu können. Sollte Johnson & Johnson die Lizenz verweigern, sei man gewillt, so das Unternehmen, eine Zwangslizenz auf Basis des Canadian Access to Medicines Regime (CAMR) zu beantragen.

Noch habe das Ministerium für Innovation, Science and Economic Development in Kanada den Antrag auf Zwangslizenz nicht erhalten, schreibt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage. Voraussetzung wäre eine erfolgte Zulassung, aber auch der Nachweis des Antragstellers, dass er die gleichen hohen Sicherheits- und Qualitätsauflagen für die Produktion erfüllen könne. Dann würde die Zwangslizenz autorisiert, so die Sprecherin. Sie fügt aber hinzu, dass nicht nur die entsprechenden Anlagen aufzubauen, sondern auch die notwendigen Zusatzstoffe zu beschaffen seien. Lizenzvereinbarungen auf freiwilliger Basis zwischen den Unternehmen werden bevorzugt. Doch war die kanadische Regierung bislang nicht sehr erfolgreich mit ihren Bemühungen, solche Lizenzvereinbarungen zu stiften. Eine erste lokale Lizenzproduktion hat man nun mit Novavax vereinbart. Man sei weiterhin bemüht, mit Impfstoffherstellern und Zulieferern zu verhandeln.

Auch Unternehmen in anderen Ländern, wie etwa Dänemark, haben sich in jüngster Zeit mit Lizenzanfragen erfolglos an die Impfstoffhersteller gewandt. Das Pharmaunternehmen Incepta in Bangladesh und Getz Pharma in Pakistan berichteten der Washington Post, niemand habe auf ihre Angebote, die Produktion und Distribution von Impfstoff in ihren Ländern zu unterstützen, reagiert.