"Missing Link": Manipulation, Meinungsfreiheit und Propaganda bei Facebook & Co.

Seite 2: Aus der US-Wahl gelernt?

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Das Ausmaß der festgestellten "Informationsoperationen" im US-Wahlkampf sei gemessen an der gesamten Aktivität zu politischen Themen statistisch gesehen "sehr gering" gewesen, hieß es damals. Von weniger als "einem Zehntel eines Prozents" war die Rede. Der Betreiber versicherte trotzdem, dass er mittlerweile konsequent gegen solche unlauteren Aktivitäten vorgehe. So habe er zuletzt in Frankreich vor der dortigen Präsidentschaftswahl rund 30.000 gefälschte Profile enttarnt und dicht gemacht.

Von einer potenziellen russischen Einflussnahme war im Frühjahr den Erklärungen nichts zu vernehmen, obwohl US-Geheimdienste und das FBI zuvor bereits den russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Troll-Fabriken als hauptsächliche Übeltäter ausgemacht hatten. Anfang September ließ Facebook aber durchblicken, dass inzwischen 470 "unauthentische" Konten und Seiten entfernt worden seien, die "wahrscheinlich aus Russland betrieben wurden". Manager deuteten dabei mit dem Finger auf die berühmt-berüchtigte Firma "Internet Research Agency" alias "Bundesnachrichtenagentur" in St. Peterburg, die enge Connections zum Kreml haben soll.

Insgesamt fallen bei Facebook rund eine Millionen Konten pro Tag durch die Prüfung, ob reale Menschen mit richtigem Namen dahinterstehen. Die knapp 500 möglichen "Faker" aus Russland gehen da rein quantitativ fast etwas unter, sind aber ein großer Aufreger in den US-amerikanischen und europäischen Medien.

Ähnlich verhält es sich mit den Geldern für Werbung in sozialen Netzwerken, die Kreml-nahe Firmen ausgegeben haben sollen. Dem Vernehmen nach haben die Petersburger Spezialisten für "Internet-Forschung" während und nach dem Wahlkampf für 100.000 US-Dollar rund 3000 Anzeigen auf Facebook gekauft. Die Bundesregierung hat sich die Werbung für die Bundeswehr in Form der Videoserie "Die Rekruten" derweil rund 8 Millionen Euro kosten lassen. Die Summen, die westliche und vor allem US-amerikanische Geheimdienste in mediale Informationsoperationen gegen Russland stecken, sind unbekannt.

Andererseits gilt es bei der Einschätzung der Vorfälle zu berücksichtigen, dass Moskau wohl ein Tabu gebrochen hätte, sollte es sich über Mittelsleute in den demokratischen Urprozess einer fremden Macht eingemischt haben. Zudem sollen insgesamt gut zehn Millionen Nutzer in den USA Werbung auf Facebook gesehen haben, die mit russischen Konten in Verbindung gebracht wird.

Vor allem die New York Times bringt so immer wieder lange Geschichten, in denen sie die potenzielle russische Einflussnahme auf das demokratische Verfahren beleuchtet. Anfang September macht sie etwa gemeinsam mit der kalifornischen IT-Sicherheitsfirma FireEye die Facebook-Profile von "Malevon Redick", "Katherine Fulton" und "Alice Donovan" als virtuelle Heimstätte von mehr oder weniger frei erfundenen Charakteren aus. Diese und eine handvoll ähnlich gestrickte Konteninhaber hätten mit als erste auf die Seite "DCLeaks" verwiesen, auf der als erstes umfangreiches Material aus Hacks des Lagers der Demokraten aufgetaucht war. Alle verdächtigen Profile, die laut FireEye letztlich mit den schon mythischen, in Geheimdienstnähe gerückten "russischen Hackergruppen" APT28 alias Fancy Bear kooperierten, hätten später den Echtheitstest der Plattform nicht überstanden und seien gelöscht worden.

Auf DCLeaks seien der Blogger Guccifer 2.0 und schließlich Wikileaks mit zunehmend spektakulärem Material gefolgt, schreibt die Times. Jeden dieser Schritte hätten nicht nur legitime, sondern auch zweifelhafte Facebook- und Twitter-Nutzer stürmisch begrüßt. Neben Bots seien darunter auch die entdeckten gefälschten Profile gewesen, die sich teils einfach über Seiten wie das russische Angebot buyaccs.com ("Buy Bulk Accounts at Best Prices") für wenig Geld klicken ließen. Der ein oder andere dabei lancierte Hashtag wie #HillaryDown habe es auf Twitter auf die Liste der Trend-Themen geschafft. Am Wahltag selbst habe eine Gruppe von Bots das Stichwort #WarAgainstDemocrats über 1700 mal abgefeuert.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Russland mit seinen "Experimenten" auf Facebook und Twitter just die US-Firmen, die im Grundsatz die wichtigsten Instrumente für soziale Medien erfunden hätten, in "Täuschungs- und Propagandamaschinen" verwandelt habe. Ein früherer FBI-Mann, Clinton Watts, stellte zusätzlich die These auf, dass Facebook und vor allem Twitter an einem "Bot-Krebs" litten, der ihre Glaubwürdigkeit unterwandere.

Die New York Times räumt aber auch ein, dass die Wirkung der ausgemachten Kampagnen kaum nachvollziehbar sei. Die Fälschungen dürften nur unwesentlich "zu dem Mordsspektakel echter amerikanischer Stimmen im Tumult vor den Wahlen" beigetragen haben, ist dem Beitrag zu entnehmen. Sie hätten aber dabei geholfen, "ein Feuer aus Ärger und Verdacht in einem polarisierten Land anzufachen". Ein ähnliches Resümee zieht in dem Artikel der Internetforscher Andrew Weisburd: Die Russen waren seiner Ansicht nach zwar involviert, genauso habe es aber viel "organische Unterstützung für Trump" gegeben. Beides auseinanderzuhalten sei überaus schwierig gewesen.