Missing Link: Vom Tiananmen-Massaker zur Netzzensur und digitalen Massenüberwachung in China

Seite 5: Digitale Seidenstraße

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"China nähert sich seinem Ziel, bei 5G, Künstlicher Intelligenz (KI), Quantenforschung und anderen digitalen und disruptiven Technologien weltweit führend zu sein", arbeiten die Autorinnen heraus. Konzerne wie Huawei, Alibaba oder Tencent seien bereits in ganz Europa am Geschäft mit Telekommunikationsnetzen, Rechenzentren und Online-Bezahlsystemen beteiligt. Die 5G-Einführung dürfte dazu führen, dass Huaweis Geräte und Software eine noch wichtigere Rolle bei der europäischen digitalen Infrastruktur spielten.

Die "nationale Informatisierungsstrategie" fordere chinesische Internet-Unternehmen auf, "in die Welt hinauszugehen" und am Bau der "digitalen Seidenstraße" mitzuwirken, heißt es in der Analyse. Ein kaum durchschaubares Geflecht aus staatlichen Kontrollmechanismen, Einflussnahme durch die Partei und internationalen Verbindungen im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien stütze die chinesische Digitalpolitik.

Auch der Paderborner Medienwissenschaftler Jörg Müller-Lietzkow sieht China auf dem Weg zur Weltmacht vor allem im KI-Bereich. Die Technik solle Wohlstand und Reichtum mehren, zugleich aber "die Effektivität der Kontrolle der Bürger deutlich erhöhen". Alle Daten gingen an die nationalen Hersteller und stünden damit offen für den Zugriff auch durch den Staat und dessen ausgefeiltes System der gesellschaftlichen Steuerung. Vor Ort könne man Orwell so live erleben, zeichnet der Experte ein Gruselbild. Dass sich dagegen wenig Widerstand rühre, hänge auch mit der Historie einer Nation zusammen, die schon einmal eine große Mauer um sich herum errichtet habe. "Datenschutz gegen Komfort" laute oft das Motto.

Nach dem Blutbad rund um den Tiananmen-Platz habe die KP eine Art Sozialvertrag mit der Bevölkerung geschlossen, erläutert Merics-Analystin Shi-Kupfer. Diese verzichtete auf politische Teilhabe im Gegenzug für das Versprechen, am wachsenden Wohlstand des Landes beteiligt zu werden. "Die Chinesen betäuben sich durch den Kommerz, um den Schmerz zu vergessen", hat die Forscherin ausgemacht. Möglichkeiten der präventiven Unterdrückung seien dank der technologischen Sprünge so ausgefeilt, dass eine größere Gegenbewegung derzeit "nicht vorstellbar ist". Außer einer massiven Wirtschaftskrise gebe es aktuell auch kaum ein Thema, "das eine übergreifende Solidarisierung schaffen könnte". Menschenrechtler und Bürgerrechtsorganisationen mahnen daher eine kollektive Antwort demokratischer Staaten auf das Phänomen an, dass China seinen "digitalen Totalitarismus" etwa nach Afrika und Südamerika, aber auch nach Europa oder in die USA exportieren wolle. (bme)