OLG Schleswig-Holstein: Keine Social-Media-Sperre ohne vorherige Nutzeranhörung
User haben laut einem Urteil Anspruch auf Unterlassung einer Kontoblockade bei sozialen Netzwerken, wenn sie vorher keine Gelegenheit hatten, sich zu äußern.
Die Rechtsprechung geht zunehmend davon aus, dass die Sperre eines Nutzerkontos in sozialen Netzwerken ohne Anhörung des Betroffenen allenfalls in Ausnahmefällen zulässig ist. Ein entsprechendes Urteil hat jetzt auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) gefällt (Az.: 1 U 70/22). Der 1. Zivilsenat der Berufungsinstanz in Schleswig hebt in der nun veröffentlichten Entscheidung vom 8. November hervor, Facebook habe kein Recht gehabt, einen umstrittenen Beitrag des Klägers zu löschen und eine Sperre zu verhängen. Der Blockierte hatte das Ergebnis einer Kreistagswahl 2021 so kommentiert: "Die Deutschen sind sowas von krank. Deutschland hat fertig."
Facebook löschte den Beitrag unter Verweis auf Hassrede zunächst und sperrte den Kläger unvermittelt im September 2021 für 30 Tage. Der Plattformbetreiber hatte dessen Konto im selben Jahr bereits mehrfach unter Verweis auf Verstöße gegen seine Gemeinschaftsstandards gesperrt. Darin heißt es: "Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen – und nicht auf Konzepte oder Institutionen – aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, Behinderung, religiöse Zugehörigkeit, Kaste, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität und ernsthafte Erkrankung." Die Beklagte brachte vor, ein Verstoß gegen dieses Verbot habe "zunächst nahegelegen".
Zur vorübergehenden Deaktivierung von Beiträgen sah sich Facebook anfangs bereits dann berechtigt, wenn ein Verstoß gegen Nutzungsbedingungen auch nur "ernsthaft in Betracht" käme. In diesem Fall sei das Einschreiten nicht pflichtwidrig, denn man müsse aufgrund der vielfältig zu berücksichtigenden Interessen schnell reagieren können und benötige ein gewisses Ermessen bei der Beurteilung. Der Diensteanbieter hielt trotz des Widerspruchs des Klägers zunächst an dieser Einschätzung fest. Erst nach einer weiteren Überprüfung wertete er das Posting nicht mehr als Verstoß. Das OLG spricht von einer "scharf formulierten politischen Kritik", wobei die Krank-Bezeichnung weder wörtlich noch als personale Herabwürdigung aller Deutschen verstanden werden müsse.
Kein Anspruch auf Schadenersatz
Der Zivilsenat unterstreicht im Leitsatz des Urteils: "Dem Anbieter eines sozialen Netzwerks steht ein Recht zur Entfernung des Beitrags eines Nutzers nicht bereits dann zu, wenn er irrtümlich annimmt, der Beitrag verstoße gegen in den Nutzungsbedingungen geregelte Kommunikationsstandards." Habe er einen von ihm vertragswidrig entfernten Beitrag wieder freigeschaltet, bestehe keine tatsächliche Vermutung für dessen erneute Sanktionierung. Der Nutzer habe aber einen Anspruch auf Unterlassung erneuter Sperren ohne vorherige Information und Möglichkeit einer Gegenäußerung. Ausnahmen von dieser Regel müsse der Betreiber in seinen Geschäftsbedingungen festlegen. Solange er dies nicht tue, gelte in jedem Fall das Gebot einer vorherigen Anhörung. Eine Blockade stelle einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Meinungsfreiheit dar.
Der Kläger behauptete auch, es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Sperren auf Weisungen der Bundesregierung verhänge. Er machte zudem immateriellen und materiellen Schadenersatzanspruch in Höhe von 50 Euro pro Tag geltend. Das wies das OLG zurück. Der dafür nötige schwerwiegende Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, dessen Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann, liege nicht vor. Dies gelte auch für die Schadensersatzforderung nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Andererseits setzte Facebook durch, den Sperrvermerk nicht löschen und den einschlägigen Zähler nicht zurücksetzen zu müssen. Die Revision hat das OLG zugelassen, sodass sich voraussichtlich der Bundesgerichtshof erneut mit Beitrag- und Accountsperren beschäftigen muss.
(akn)