Selbstfahrende Busse für vier Städte, aber nicht in Deutschland

Vier europäische Städte führen vollautomatische Shuttles ein. Dabei greifen sie auf Erfahrungen des EU-Projekts CityMobil2 zurück. Deutsche Kommunen sind nicht dabei. Der Projektkoordinator wirft Deutschland Verzögerungstaktik vor.

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2 Shuttles

Das Projekt CityMobil2 lief von 2011 bis 2016 und richtete sieben Pilotversuche aus.

(Bild: citymobil2.eu)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Prof. Alessandrini bei seinem Vortrag auf dem Automated Vehicles Symposium

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Das EU-Projekt CityMobil2 hat Pilotverkehre mit selbstfahrenden Shuttles in sieben europäischen Städten durchgeführt. Dazu kamen Vorführaktionen in vier weiteren Städten. Insgesamt wurden 60.000 Passagiere befördert. Nun kündigen sich die ersten Regelbetriebe an. Das hat Adriano Alessandrini, Projektkoordinator von CityMobil2, vergangene Woche auf dem Automated Vehicles Symposium 2016 in San Francisco mitgeteilt. heise online hat ihn zum Interview getroffen.

"Es wird von den Benutzern sehr gut angenommen. Es ist sehr sicher und energieeffizient", resümierte Alessandrini, Professor an der Universität Florenz, die Pilotversuche. Das System sei für den kommerziellen Einsatz bereit. CityMobil2 wurde plangemäß beendet und ist an den Regelbetrieben nicht beteiligt.

Vom vernetzten zum autonomen Auto

Im Zentrum des Regelbetriebs sollen kurze Wege auf der "letzten Meile" stehen, etwa zwischen einer U-Bahn-Station und einem großen Verkehrserzeuger, etwa einem großen Einkaufszentrum. Geschwindigkeitsrausch gab es bei den bei CityMobil2 eingesetzten Shuttlebussen keinen. Sie schlichen auf einer separaten Fahrspur mit einstelligen Stundenkilometern dahin. Trotzdem kam es zu einem kleinen Unfall: Ein Handy-fokussierter Fußgänger marschierte in die Seite eines der Fahrzeuge.

Für den Betrieb autonomer Busse müssten die Städte allerdings "politisches Kapital investieren", hielt der Professor fest. In der Regel müssten beispielsweise Parkplätze entfernt werden, um Platz für die reservierte Fahrspur zu schaffen. Und menschlichen Fahrzeuglenkern müsse beigebracht werden, anders als bisher zu fahren. Solche Maßnahmen könnten zu Widerstand der Bevölkerung führen.

Trotzdem wagen nun mindestens vier europäische Städte den Schritt: In Aalborg in Dänemark und Sitten in der Schweiz ist das Projekt bereits bestätigt. Dazu kommen laut Alessandrini jeweils eine Kommune in Belgien und Finnland. Weil dort noch wichtige Verfahren laufen, wollte er die Namen dieser Orte nicht preisgeben.

Die technischen Herausforderungen haben bei CityMobil2 eine überraschend geringe Rolle gespielt, verriet Alessandrini im Gespräch mit heise online: "Wir haben zum Beispiel gelernt, dass es wichtiger ist, auf die konventionellen Aspekte des Verkehrs zu achten, etwa, wie leicht es ist, einen Sitzplatz zu finden, [oder] wie die Fahrgäste aus dem Fenster schauen können." Gewünscht wurde auch, dass die Fahrzeuge ein deutliches "Vorne" und "Hinten" haben, so dass ihre Fahrtrichtung vorhersehbar ist.

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Fußgänger und andere Straßenbenutzer außerhalb der Busse hätten sich schnell an das neue Vehikel gewöhnt. "Sie haben sich sicher gefühlt und uns gute Anregungen gegeben. Beispielsweise sei es unbedingt notwendig, die Spur des automatischen Fahrzeugs in einer anderen Farbe zu markieren." Das mache klar, wo der Bus Vorrang genießt.

"Sonst kommen wir in Situationen, wie wir sie [im Testort Oristano auf Sardinien] erlebt haben: Kinder haben vor dem Fahrzeug Fußball gespielt. Und weil sie wissen, dass es absolut sicher ist, weil es für Fußgänger bremst, haben sie einfach weitergespielt, um zu sehen, wer ein Tor schießt, bevor sie den Weg frei gemacht haben", lachte der Italiener.

Fußgänger beklagten, dass "Vorne" und "Hinten" schwer erkennbar sei.

(Bild: Alain Herzog)

Im Testbetrieb sei das OK, im Regelbetrieb aber müsse den Leuten "auf natürliche Weise erklärt werden, wie sie den Raum des autonomen Fahrzeugs zu respektieren haben. Beispielsweise wenn ein Autofahrer illegal parkt [und im Weg steht], ist das normaler Weise kein großes Problem. Man fährt einfach darum herum. [… Aber] das autonome Fahrzeug nimmt an, dass das Auto weiterfahren wird, und wartet. Man muss also eine Kamera einbauen und dem autonomen Fahrzeug die Befugnis erteilen, jene zu strafen, die in der reservierten Fahrspur parken. Das wird den Leuten beibringen, ein bisschen mehr Respekt zu haben", meinte Alessandrini.

Bei gemischtem Verkehr mit Fußgängern rät der Projektkoordinator außerdem dazu, die Fahrspur des Busses nicht bloß zu markieren, sondern mit einer für Fußgänger unbequemen Oberfläche zu versehen. Menschen könnten die Spur queren, würden aber nicht darauf verharren.

Dass derzeit nur vier EU-Länder den Betrieb der selbstfahrenden Busse erlauben, grämt Alessandrini. Diese Länder seien Griechenland, Finnland, Schweden und, mit Ausnahmegenehmigungen für Versuchsfahrten, die Niederlande. "Italien und Deutschland hinken hinterher. Deutschland verzögert etwas. Da ist die Angst, dass automatische Fahrzeuge einen großen Teil des [herkömmlichen] Automarktes wegnehmen werden", kritisierte der Italiener. Diesen Markt schützen zu wollen sei "etwas sonderbar, weil der Automarkt nie geschützt sein wird. Er muss sich zu etwas anderem weiterentwickeln."

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"Wir brauchen jetzt den rechtlichen Rahmen, der Europa ermöglicht, die Führung zu übernehmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass CityMobil2 nicht nur das wichtigste Projekt in Europa war, sondern eine Referenz für Japan, für Taiwan, für Singapur, für die Vereinigten Staaten. Überall machen sie jetzt genau das, was wir gemacht haben. OK, es läuft [vergleichsweise] schlecht, weil wir Erfahrung haben. Aber sie werden rasch die Erfahrung sammeln", führte der Ingenieur aus.

"Wenn wir nicht weitermachen, mit einem rechtlichen Rahmen, der das erlaubt, wird Europa hier die Führung verlieren", fürchtet Alessandrini, "Wir werden immer noch autonome Fahrzeuge haben. Aber sie werden aus Kalifornien kommen."

Daher hofft Alessandrini auf ein weiteres EU-Projekt. "Wir sollten nicht bei Last-Mile-Shuttles stehenbleiben. […] Höhere Geschwindigkeiten, längere Strecken, Hochkapazitätskorridore" und Fahrzeuge, die sowohl autonom fahren als auch von Menschen gesteuert werden können: "Wir können das alles demonstrieren. Vielleicht gibt es ja ein CityMobil3." Der Ball liege nun bei der Europäischen Kommission, von der sich Alessandrini die Finanzierung entsprechender Versuchsbetriebe erhofft. (ds)