Softwareproblem: Tausende Alltagskriminelle sitzen länger im Knast​

Eigentlich sollten Ersatzfreiheitsstrafen ab Oktober halbiert werden. Versteckt verschiebt das Parlament den Termin, weil das Softwareupdate aus Bayern fehlt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 38 Kommentare lesen
Gefängnisgebäude durch einen Metallzaun betrachtet

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 3 Min.

"An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt Freiheitsstrafe", ist Paragraf 43 Strafgesetzbuch (StGB) zu entnehmen. Das trifft etwa Schwarzfahrer, die die Buße nicht zahlen können. Einem Tagessatz entsprach dabei bislang ein Tag Knast. Doch die Gefängnisse sind voll, zudem belastet der Aufenthalt in Haftanstalten die Betroffenen, deren Familien sowie die Staatskasse schwer. Der Bundestag halbierte daher im Juni den Umrechnungsschlüssel: ein Tagessatz entspricht künftig nur noch einem halben Tag Einsitzen. Eigentlich sollte die Novelle am 1. Oktober in Kraft treten. Doch daraus wird nichts, weil die zuständigen Länder Softwareprobleme haben.

In einem Antrag an den Rechtsausschuss des Bundesrats anlässlich des zweiten Durchgangs des einschlägigen Gesetzentwurfs zur Überarbeitung des Sanktionenrechts wies Bayern erstmals darauf hin, dass die Länder für die Umsetzung des Gesetzes mindestens sechs Monate benötigen würden. Dies ist der Begründung für den Beschluss des Bundestags von Anfang Juli zu entnehmen, womit dieser die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafen auf 1. Februar verschob. Demnach müssen die Länder im Rahmen der Strafvollstreckung "Anpassungen im Bereich der IT vornehmen". Diese beträfen insbesondere die "Strafzeitberechnung im Fachverfahren web.sta", das von einem Verbund mit Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen genutzt wird. Bayern obliegt dabei die Federführung.

Diese Ländern müssen sich "fachlich abstimmen", danach geht der externe Programmierer ans Werk, bevor das Ergebnis getestet werden kann. Auch amtliche Textbausteine müssen neu abgefasst werden. Den Aufschub gewährt der Bundestag den Ländern versteckt als Zusatz zu einer Reform des Verkehrsstatistikgesetzes. Darauf macht jetzt die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe aufmerksam.

Die seit dem Jahr 2000 entwickelte Justiz-Software web.sta soll die Arbeit in den Staatsanwaltschaften mit moderner Informationstechnik unterstützen. Sie deckt laut dem Justizministerium Sachsen-Anhalts funktional die gesamten Geschäftsabläufe im staatsanwaltschaftlichen Verfahren ab, angefangen bei der Anlage der Akten bis hin zur Schriftguterstellung. Web.sta umfasse auch spezifische Module zur Arbeitserleichterung der Strafverfolger. Das Fachverfahren ist zugleich die organisatorische und technische Grundlage für das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister.

Die Integration von Strafzeitberechnung und Mitteilung an die zentralen Register ist seit Version 3.0 als erweiterte Funktion verfügbar. Das bayerische Justizministerium bedauert, dass "vorübergehendes Ausweichen auf eine händische Korrektur" nicht möglich sei. Ersatzfreiheitsstrafen sind über die Jahre immer häufiger geworden. Wie das Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe informiert, waren 77 Prozent der Betroffenen schon vor Haftantritt arbeitslos, viele haben gesundheitliche Probleme. (ds)