TV-Kabel vor der Verödung

Fehlende Investoren, Animositäten zwischen Netzbetreibern und Wohnungswirtschaft, das Desinteresse an neuen Diensten sowie Technologieprobleme behindern den Kabel-Boom.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 175 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Nach dem Scheitern des Verkaufs der Telekom.Kabelnetze an den US-Konzern Liberty Media und der Pleite des bayerischen Medienunternehmers Leo Kirch, der sich vor allem beim Geschäft mit dem Pay-TV verrechnet hat, ist der Traum einer durchs TV-Kabel gelieferten interaktiven breitbandigen Medienwelt am Platzen. Um die brach liegenden Infrastrukturen aufzurüsten, mangelt es trotz vereinzelter Angebote wie jüngst von der Deutschen Bank an Investoren großen Stils. Auch an Orten, wo die Kabel bereits aufgebohrt sind, verhindern Streitigkeiten zwischen den Netzbetreibern und der Wohnungswirtschaft den Aufbau der potenziell möglichen Breitband- und Multimedia-Dienste. Und selbst in Regionen, in denen die schöne neue Interaktiv-Welt bereits möglich wäre, klagen die Anbieter über die fehlende Nachfrage durch die Kunden.

Abgesehen von der Telekom und dem Bundesfinanzminister weint Liberty hierzulande in der Kabel- und TV-Branche zwar kaum jemand eine Träne nach. Die Starrköpfigkeit des Liberty-Chefs John Malone hätte nur Ärger bereitet, sagt Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin Brandenburg: "Selbst Gates hat in seinen Kartellverfahren nicht nur Maximalforderungen gestellt." Doch "das Angebot war erheblich", weiß Berlins Wirtschaftssenator Gregor Gysi, und komme so nicht wieder. Das sei ein Problem für die Hauptstadt und die anderen betroffenen Kabelregionen zwischen Alster und Isar, da die Telekom seitdem die Investitionen in ihre verbuddelten Datenadern vollständig eingestellt habe. Aber auch in Ländern wie Nordrhein-Westfalen, wo das Kabel bereits fest in die Hände ausländischer Investoren gewandert ist, sei "das Chaos drei Mal so groß wie in Berlin".

Funktioniert hätte das Liberty-Modell in Deutschland nie, ist sich Heinz-Peter Labonte sicher. Der geschäftsführende Vorstand des vom Mittelstand dominierten Fachverbands Rundfunkempfangs- und Kabelanlagen sah von Anfang an zum Scheitern verurteilt, was sich die hinter Liberty-Chef John Malone stehenden "intellektuellen Waschbrettbäuche der internationalen Finanz-Community" ausgedacht hätten. "Die können die Preise nicht einfach vorgeben", glaubt Labonte und berichtet von Bürgerinitiativen, die sich auf Grund einer Preiserhöhung beim Kabelfernsehen um zwei Mark im vergangenen Jahr bereits in Regionen wie der Niederlausitz gebildet hätten. Kabel bleibe immer ein lokales Geschäft.

Das erleichtert die Sache in Deutschland selbst für einheimische Firmen nicht. In Berlin etwa sind gut 900.000 Haushalte bereits mit rückkanalfähigen Strippen versehen -- und trotzdem lässt sich darüber weder Internet noch eine interaktive Programmvielfalt empfangen. Schuld sind mangelnde Kooperationen zwischen den Kabellegern auf der bis zur Straße reichenden Netzebene 3 und der Wohnungswirtschaft, der die Hausanschlüsse (Netzebene 4) gehören. Die beiden Parteien können sich bislang nur selten auf ein gemeinsames Wirtschaftsmodell für neue Dienste einigen, klagt Dietmar Schickel, Geschäftsführer der zur Deutschen Bank gehörenden Hannoveraner Kabelfirma TeleColumbus. Auf der Seite der Hauseigentümer und Vermieter befinden sich viele Genossenschaften, die beim Abschließen von "Gestattungsverträgen" mit den Betreibern von ihren Mitgliedern eins aufs Dach bekommen, falls die Gebühren fürs TV etwa durch die Bündelung mit einem Internet-Anschluss um ein paar Euro steigen. Schickel warnt daher vor einer "Verödung" des Netzes, falls beide Seiten nicht verstärkt von ihren Maximalforderungen abweichen.

Selbst in Gegenden, in denen TeleColumbus bereits das schnelle Internet per Kabel anbieten kann und erste Ansätze für paketbasierte Telefonie erprobt würden, "ist die Akzeptanz noch nicht da", sagt Schickel. "Zu 99 Prozent besteht das Geschäft noch aus dem Versorgen mit Fernsehprogrammen." Die Probleme mit dem Verkaufen der Multimedialität liegen laut Michael Albrecht, dem Beauftragten der ARD für Digitales Fernsehen, auch im Technologiebereich. Denn noch sei vor allem der offene Standard MHP (Multimedia Home Platform), dessen Einsatz die Inhalteanbieter als Betriebssystem für Settop-Boxen zur Sicherung von Interoperabilität fordern, nicht allgemein akzeptiert. "Hier bedarf es endlich einer verbindlichen Verabredung der Netzbetreiber, der Programmveranstalter und der Gerätehersteller." Hege sieht die Kabelmisere dagegen bereits in einer verfehlten Medienpolitik der vergangenen zwei Jahrzehnte begründet. Wären Kabel und Telefon bei der Privatisierung der Bundespost gleich getrennt worden, wäre heute vieles einfacher. (Stefan Krempl) / (jk)