US-Wahl: Gesetz für Netzneutralität wird schwieriger

Obwohl Demokraten nun das Unterhaus dominieren, wird die Wiedereinführung der Netzneutralität schwieriger. Die NGO Public Knowledge gibt aber nicht auf.

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"Es wird eine Herausforderung, das Gesetz im nächsten Kongress zu ändern", formuliert Chris Lewis diplomatisch. Er ist Vizepräsident der Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge und spezialisiert auf Telekommunikation. Mit "das Gesetz" meint er Public Law 115-22. Damit haben die Republikaner US-Internetprovidern ein Zubrot mit Beigeschmack gesichert: US-Internetprovider dürfen die Browserhistory ihrer Kunden an Dritte verkaufen. Ebenso dürfen sie Bewegungsmuster ihrer Kunden und Listen deren installierter Apps an Dritte verkaufen. Eine Zustimmung der betroffenen Kunden ist nicht erforderlich.

Eigentlich hatte die Regulierungsbehörde FCC 2016, noch mit Demokraten-Mehrheit, genau solchen Datenschacher verboten. Doch dann gewann Trump das Weiße Haus. Im März 2017 nutzte die republikanische Mehrheit im US-Kongress den damaligen Kampf um die "Obamacare" genannte Krankenversicherungspflicht, die Datenschutzvorschrift noch vor Inkrafttreten fast unbemerkt aufzuheben: Public Law 115-22.

Trump unterzeichnete umgehend. Als die Sache ruchbar wurde, war die Aufregung bei Wählern beider Parteien groß. Geändert hat das bisher nichts. Daran wird auch die ab 2019 bestehende Demokraten-Mehrheit im Repräsentantenhaus nichts ändern. Bei der FCC und im Senat halten nämlich weiterhin die Republikaner die Mehrheit. Grundsätzlich ist Public Knowledge gar nicht gegen die Auswertung des Nutzungsverhaltens der User, "aber nur, wenn der Kunde dem zustimmt", betont Lewis.

Der Republikanische Repräsentant Mike Coffmann aus Colorado ist für die Netzneutralität. Dennoch hat er die Wahl gegen einen Demokraten verloren.

(Bild:  US House Office of Photography)

Die ebenfalls in der Obama-Ära beschlossene Netzneutralität hat die FCC inzwischen selbst aufgehoben, mit Wirkung vom vergangenen Juni. Daraufhin haben demokratische Senatoren mit Unterstützung dreier Republikaner für die Wiedereinführung der Netzneutralität gestimmt. Doch im Repräsentantenhaus hat der republikanische Vorsitzende Paul D. Ryan den Gesetzesantrag bislang nicht zur Abstimmung kommen lassen. Auch dort würden einige republikanische Abgeordnete für die Netzneutralität stimmen. Mike Coffmann aus Colorado hat den Antrag sogar mitunterzeichnet.

Nun gibt es nächstes Jahr zwar eine Demokraten-Mehrheit im Repräsentantenhaus. Das nütze aber nichts, wie Lewis im Gespräch mit heise online in Washington erläuterte: Mit Amtsantritt des neuen Repräsentantenhauses und der nun gewählten Senatoren beginne formell der 116. US-Kongress. Nicht von beiden Kammern verabschiedete Gesetzesanträge des aktuellen, 115. Kongresses sind dann hinfällig. Das neue Repräsentantenhaus kann also nicht den Beschluss des alten Senats aufgreifen, zustimmen, und zur Unterzeichnung ans Weiße Haus schicken.

Das alte Repräsentantenhaus könnte das dieses Jahr aber noch tun, da noch Sitzungen anstehen. Sie werden salopp als "lame duck sessions" bezeichnet (lahme Ente Sitzungen). "Die Forderung der Öffentlichkeit ist eindeutig", weiß Lewis, "86 Prozent der Amerikaner sind für die Netzneutralität, wie die Universität von Maryland eruiert hat: 90 Prozent der Demokraten-Wähler und 82 Prozent der Republikaner."

Unter republikanischen Abgeordneten unterstützt aber nur eine Minderheit die Netzneutralität. Ein Schelm, wer einen Zusammenhang mit Lobbying und Spenden der Netzbetreiber vermutet. Nach der soeben geschlagenen Wahl ist aber nicht ganz ausgeschlossen, dass sie doch auf ihre Wähler hören: "Es ist schwierig, vorherzusagen, wie Abgeordnete nun reagieren, die gerade verloren haben, oder gerade noch an einer Niederlage vorbeigeschrammt sind", gibt Lewis die Hoffnung nicht auf.

Vom neuen Senat erwartet er indes keinen neuerlichen Beschluss für die Netzneutralität: "Dort würde es 60 Stimmen brauchen, um einen Filibuster zu verhindern." Also müssten mehr als zehn Republikaner mit den demokratischen Senatoren stimmen, was nicht zu erwarten sei.

"Seit der Abschaffung der Netzneutralität haben die Breitband-Provider ihre früheren Bekenntnisse zur Netzneutralität abgeschwächt", sagt Lewis, "Sie diskutieren offen über bezahlten Vorrang ausgewählter Daten [auf ihren Leitungen]." Sollte es zu einem Netzneutralitäts-Gesetz kommen, erwartet Lewis nicht, dass Trump ein Veto einlegt: "Trump wäre verrückt, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, angesichts der überwältigenden Unterstützung der Netzneutralität in der Öffentlichkeit."

Immerhin versuchen mehrere US-Staaten, eigene Vorschriften für Netzneutralität einzuführen. Kalifornien hat das bislang schärfste Gesetz verabschiedet, das im Wesentlichen die früheren FCC-Regeln abbildet. Das hat sofort zu einer Klage der FCC geführt, die meint, Kalifornien habe keine Zuständigkeit für Netzneutralität. Umgekehrt laufen Klagen gegen die Aufhebung der Netzneutralität durch die FCC; möglicherweise war das Verfahren fehlerhaft, oder der Schritt an sich unzulässig.

39 Prozent der Bewohner ländlicher Regionen in den USA haben keinen Zugang zu Breitband-Internet. Der Rest hat meist nur einen einzigen Internetprovider zur "Auswahl", was zu hohen Tarifen führt. In diesen Regionen, die von geringerer Kaufkraft geprägt sind, genießen Donald Trump und seine Republikanische Partei besonders hohen Zuspruch. Dennoch wurden einschlägige Subventionen unter republikanischer Ägide gekürzt.

Besserung ist nicht in Sicht: "Wir sehen mehr und mehr Fusionen zwischen Netzbetreibern sowie zwischen Netzbetreibern und Medienunternehmen. Das führt zu rapiden Preisanstiegen, deutlich über der Inflationsrate", so Lewis, "Die Konsolidierung führt zu noch weniger Wettbewerb."

Chris Lewis, Vizepräsident von Public Knowledge, wählte in Virginia. Er hatte in der Wahlzelle 14 Entscheidugen zu treffen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Hinzu kommt, dass die Netzbetreibern bei Netz-Aufrüstungen auch immer mehr Städte links liegen lassen. Der ISP Verizon hat sein Glasfaserprogramm deutlich zurückgefahren. Städte wie Baltimore, Cleveland oder die Innenstadt von Boston haben das Nachsehen. Auch in der unmittelbar vor den Toren der US-Hauptstadt gelegenen Stadt Alexandria, Virginia, hat Verizon seine Glasfaserpläne storniert. "Alexandria überlegt, ein stadteigenes Netz zu bauen", berichtet Lewis, der selbst dort lebt, "In vielen Bundesstaaten wäre das illegal. In Virginia haben wir ein ähnliches Gesetz verhindern können."

Diesen Herbst hat Public Knowledge gemeinsam mit anderen Organisationen eine neue Initiative namens Broadband Connects America gestartet. Gefordert werden öffentliche Mittel für den Breitbandausbau. Alle Amerikaner sollen Zugang zu netzneutralen, leistbaren Breitbandanschlüssen haben.

Das Ziel passt eigentlich genau in Trumps Wahlprogramm, hat er doch lautstark ein Infrastrukturgesetz versprochen, das die Modernisierung der US-Infrastruktur beflügeln werde. Geworden ist daraus bisher nichts. "Sie sind nie dazu gekommen", erzählt Lewis, "Es ist einfach nicht passiert. Der Kongress hat vieles nicht gemacht, weil sie sich blockieren. Das ist schräg, wenn man eine republikanische Regierung (und eine republikanische Mehrheit im Kongress) hat."

Als Folge der Wahlen vom Dienstag ist die Macht im US-Kongress geteilt: Die Demokraten haben die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen, während die Republikaner ihre Mehrheit im US-Senat ausgebaut haben dürften. Die Wahlen haben Public Knowledge durchaus einige Verbündete gekostet, darunter die republikanischen Repräsentanten Mike Coffmann, der seine Wahl verloren hat, und Darrell Issa, der nicht mehr angetreten ist.

Ob der demokratische Senator Bill Nelson in den Senat und damit in dessen einflussreichen Wirtschaftsausschuss zurückkehrt, wird wohl erst durch eine Neuauszählung der Stimmen in Florida entschieden werden. Die Republikanerin Marsha Blackburn hat den Wechsel vom Repräsentantenhaus in den Senat geschafft, womit sie an Einfluss gewinnt. Das freut Lewis nicht, ist Blackburn doch ausgewiesene Gegnerin von Netzneutralität und Datenschutzauflagen für ISP.

Lewis möchte jetzt erst einmal die neu hinzukommenden Abgeordneten "kennenlernen, herausfinden, wo sie politisch stehen, und sie unterrichten." Nur die Wenigsten haben sich bisher intensiv mit zu Telekommunikations-Themen befasst. Ob es dann zu einem Infrastruktur-Gesetz, wenigstens für Breitbandnetze, kommen kann, wird sich zeigen: "Unsere Aufgabe ist es, die (Politiker beider Parteien) daran zu erinnern, wo sie einer Meinung sind."

Dieser Artikel ist Teil einer Serie zur Lage nach den US-Wahlen. heise online trifft dazu in der US-Hauptstadt Washington DC Experten mit unterschiedlichen Einstellungen und Arbeitsgebieten. Bisher ist erschienen:

(ds)