Verbraucherschützer machen gegen Scoring zur Bonitätsprüfung mobil

Marktforscher bezeichnen die Verfahren zur Kreditvergabe in einer Studie als willkürliche "Mechanismen zur Gewinnmaximierung", während der Bundesdatenschutzbeauftragte von einer "modernen Kopfnote" ohne Zeugnis spricht.

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Verbraucher- und Datenschützer haben bei der Vorstellung einer Studie (PDF-Datei) über "Scoring im Praxistest" am heutigen Mittwoch in Berlin eine scharfe Regulierung der Auskunfteienbranche gefordert. Als Kernpunkte nannte Gerd Billen, der neue Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) eine staatliche Zulassungspflicht für Firmen, die im vielfach kritisierten Geschäft mit der Prüfung der Kreditwürdigkeit von Konsumenten tätig sind. Zudem müsste die "Zutatenliste", mit denen entsprechende "Scores" zusammengemixt würden, offen gelegt werden. Insgesamt müssten die Auskunfteien mehr Transparenz an den Tag legen. Es gehe um die "Begrenzung der Sammelwut bei den Banken als auch bei den Versicherungen". 85 Prozent der Konsumenten wüssten zudem nicht einmal, was sich hinter dem Begriff Scoring verbirgt, und müssten zunächst grundsätzlich darüber aufgeklärt werden.

Die angeblich mit großer Wissenschaftlichkeit mit Hilfe geheimer statistischer Verfahren erstellten Scoringwerte bezeichnete Dieter Korczak, einer der Leiter der Analyse von der GP Forschungsgruppe, als "des Kaisers neue Kleider". Die Berechnung erfolge "völlig willkürlich", allenfalls kämen gängige mathematische Methoden wie die Regressionsanalyse zum Einsatz. Eine echte Prognosefähigkeit könne nicht hergestellt werden. Echte Risiken wie Arbeitslosigkeit, Scheidung, Unfall oder Krankheit könne man eh nicht vorhersagen. Insgesamt bezeichnete Korczak Scoring als "Mechanismus zur Gewinnmaximierung". Es diene den Banken dazu, Lockvogelangebote für Kredite mit 3,99 Prozent Zinsen schier beliebig zu verteuern. Angesichts des hohen Kreditaufkommens hierzulande gehe es um das Einfahren von "Milliarden mehr Umsatz".

Für die Untersuchung führten die Forscher mit 21 Kunden "Testkäufe" an verschiedenen Kreditinstituten durch. Zum Kreis der an die Front geschickten Verbraucher zählten Zahnarzthelferinnen genauso wie promovierte Beamten mit Nettoeinkommen zwischen 1000 und 4000 Euro pro Monat. Diese stellten eine so genannte Konditionenanfrage, die im Gegensatz zu einer weitergehenden Kreditanfrage eigentlich nicht ihrerseits im Scorewert verbucht werden sollte. Drei Kreditinstitute verbuchten Korczak zufolge aber trotzdem gleich eine Kreditanfrage. Die tatsächlich ermittelten Angebote lagen dann zwischen knapp 7 und 15 Prozent Zinsen, also deutlich über den Werbeversprechungen. "Die Banken geben nicht das Angebot, das sie anpreisen, sondern unter Bezug auf die Scoring-Verfahren ein teureres", monierte Korczak. Dabei sei aber nicht ersichtlich, wieso für die Berechnung zunächst "bis zu 250 Einzeldaten" über einen Verbraucher eingesammelt und ausgewertet werden müssten.

Die Testkäufe ergaben auch, dass viele Banken gegen das etwa im Bundesdatenschutzgesetz festgeschriebene Verbot verstoßen, Entscheidungen mit rechtlichen Folgen für den Kunden allein auf eine rein automatische Datenverarbeitung zu stützen. Eine Beraterin mit einem neuem EDV-System habe ihn plötzlich entgeistert angeguckt, berichtete Michael Wilken, der auch selbst an den Bankenbesuchen beteiligte zweite Studienleiter. Weniger als 11 Prozent Zinsen könne sie ihm nicht geben, habe sich die "freundliche Bankerin" ihm gegenüber enttäuscht gezeigt. Ein eigener Entscheidungsspielraum sei ihr schlicht nicht mehr eingeräumt worden. Bei einem anderen Kreditinstitut habe sich der zunächst genannte Zinssatz von 12,5 Prozent dagegen nach einer Rücksprache der Beraterin mit dem Filialleiter "ganz schnell" auf 6,9 Prozent verringert. Als einzige Erklärung für den Sturz sei von einer Aktionswoche die Rede gewesen.

Für den Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar macht die Studie deutlich, "dass es gerade im Bereich des Scoring Defizite gibt". Man dürfe dabei nicht vergessen, dass die Methode "sehr viel weiter verbreitet" und nicht auf den in der Analyse allein untersuchten Bankensektor beschränkt sei. "Jeder Telefonkunde wird bei einem neuem Anschluss gescoret, das gilt auch für Internetzugänge, Mietverträge oder Versicherungen". Bei Internethandel sei es gang und gäbe, dass im Hintergrund erst eine Bonitätsprüfung erfolge. Sogar beim Zahnersatz würden Auskünfte eingeholt, um in Folge etwa Vorauskasse zu verlangen. "Das macht deutlich, dass der Scorewert etwas ist wie die moderne Kopfnote", monierte Schar. "Wir erhalten aber kein Zeugnis, sondern erfahren nur die Konsequenzen." Der eigentliche Skandal bei der ganzen Prozedur sei, "dass hinter dem Rücken der Betroffenen Daten massiv zusammengeführt und unter Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben Schlüsse gezogen werden".

Für Schaar ist damit klar, dass die Aufsichtsbehörden verstärkt Konsequenzen ziehen müssen. Er selbst habe vor kurzem erst in seinem eigenen Tätigkeitsbereich Telekommunikationsunternehmen auf die Verletzung der Datenschutzrechte ihrer Kunden bei der Vertragsanbahnung wegen Scoring hingewiesen. Darüber hinaus ist laut Schaar aber eine "grundsätzliche Änderung der Praxis" erforderlich. Das "A und O" dabei sei die Transparenz der Verfahren, schloss er sich Billen an. Zudem müssten die Auskunftsrechte gestärkt werden. Dazu seien etwa Dokumentationspflichten bei einzelnen Firmen aus der Branche einzuführen, die Scorewerte gleichsam in Echtzeit online von Dritten abfragen und selbst keine entsprechenden Datenbanken vorhalten. Auskünfte müssten wie in den USA zudem generell kostenfrei gestellt werden. Derzeit nimmt die Schufa als einer der bekanntesten Branchenvertreter laut Korczak allein rund 9 Millionen Euro pro Jahr mit so genannten Eigenauskünften von Verbrauchern ein.

Weiter setzte sich Schaar dafür ein, dass das derzeit an den Tag gelegte "systematische Stochern im Nebel" der Auskunfteien nicht mehr als wesentliches Entscheidungskriterium bei der Bonitätsprüfung dienen dürfe. Vor allem " sensible und demographisch heikle Kriterien" etwa nach Motto "Mit Schwarzen werden keine Geschäfte gemacht" dürften nicht in die Verfahren eingehen. Korczak ergänzte, dass im Prinzip nur acht Kriterien wichtig seien. Dabei handle es sich um Identität, Monatseinkommen, Mietbelastung, Familienstand, Anzahl der aufgenommenen Kredite und deren Höhen, Zahl der unterhaltspflichtigen Kinder, sonstige Zahlungsverpflichtungen sowie Lebenshaltungskosten.

Den "späten" Regulierungsansatz, den das Bundesinnenministerium im Herbst im Form eines Referentenentwurfs zur Novelle des Bundesdatenschutzgesetztes vorlegte, begrüßte Schaar im Großen und Ganzen als "Verbesserung gegenüber dem Status Quo in vielen Punkten". Er vermisse aber noch eine Bestimmung, dass Scoring nur bei zu befürchtenden Kreditausfällen oder vergleichbaren Risiken angewendet werden dürften. Die Gesetzesänderung bezeichnete der Datenschützer als wichtigstes Verfahren in der laufenden Legislaturperiode. Billen konnte sich zudem einen Seitenhieb auf die Rolle der Banken bei den gegenwärtigen Börseneinbrüchen nicht verkneifen. Bei den dabei "vernichteten" Riesensummen würden Bonitätskriterien anscheinend keine Rolle spielen. Den Gesamtmarkt für Verbraucherkredite hierzulande bezifferte er auf 230 Milliarden Euro, wobei das Ausfallrisiko 7 Milliarden betrage.

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(Stefan Krempl) / (jk)