Kann China KI?
China will in Sachen KI weltweit fĂĽhrend werden, doch noch dominieren die USA das Feld. Aber das Rennen ist noch nicht gelaufen.
- Eva Wolfangel
Als Baidu Ende März 2023 endlich seinen ersehnten ChatGPT-Konkurrenten Ernie (Enhanced Representation through Knowledge Integration) der Öffentlichkeit vorstellte, machte in China sozialen Medien schnell ein Meme die Runde: Eine schwarze Limousine mit geöffneten Flügeltüren parkt in einer düsteren Gasse neben einem schmutzigen verbeulten Müllcontainer. ChatGPT steht auf der Limousine, während der Müllcontainer den chinesischen Namen für den Ernie-Bot trägt.
In der Diskussion darĂĽber, ob Chinas Vorzeige-Chatbot eventuell ein Reinfall ist, steckt aber weit mehr als die Unzufriedenheit ĂĽber ein schlechtes StĂĽck Software. Hinter dem kritischen Blick auf Ernie steckt die Frage: Kann China KI? Dieser Frage geht unsere Autorin Eva Wolfgangel in der neusten Ausgabe 1/2024 von MIT Technology Review nach.
Wie schneidet der Ernie-Bot im Vergleich ab?
Mittlerweile gibt es rund 130 große Sprachmodelle in China. Da diese aber in der Regel nur für chinesische Nutzer zugänglich sind, lassen sich die chinesischen Modelle nicht einfach mit den mittlerweile üblichen Benchmarks testen und in ein entsprechendes Leaderboard einordnen.
Berichte über die Qualität der Modelle sind daher eher anekdotisch. Experten möchten zwar nicht öffentlich mit einer Einschätzung zitiert werden. Nach einem Update im Oktober sehen viele der Interviewpartnerinnen und -partner Ernie jedoch ungefähr auf einer Stufe mit ChatGPT 3.5 – also in etwa ein knappes Jahr hinter der Entwicklung in den USA. Ein kürzlich veröffentlichter Vergleich des Online-Dienstes China Talk sieht jedoch den Chatbot Kimi des Start-ups Moonshot AI vorne – unter anderem weil das Sprachmodell bis 200.000 chinesische Schriftzeichen als Input verarbeiten kann.
Neben technischen Problemen kämpfen die chinesischen Entwickler vor allem mit regulatorischen Hindernissen. Im März dieses Jahres hatte China als weltweit erstes Land eine Regulierung generativer KI verabschiedet. Der erste Entwurf der Regulierung sei recht streng gewesen, sagt Helen Toner vom US-Thinktank Center for Security and Emerging Technology (CSET), – was dann zu einem Zielkonflikt geführt habe: "Der Staat will einerseits die Industrie stützen und führend im Bereich KI werden", sagt sie. "Andererseits will er gleichzeitig die Kontrolle behalten."
Datenbank mit 1000 sensiblen Fragen
Das Gesetz sei an vielen Stellen zu allgemein gewesen, sodass es für Unternehmen unklar war, ob sie sich richtig verhielten, sagt auch Yiqin Fu, Politikwissenschaftlerin an der Stanford University: "Sie wollten sich gesetzestreu verhalten, aber sie wussten nicht wie." Das hat sich mittlerweile geändert: Im Oktober veröffentlichte der Ausschuss für Informationssicherheitsstandards einen Entwurf für "grundlegende Anforderungen" an die Sicherheit generativer KI mit technischen Standards: Unter anderem müssen Anbieter von KI-Modellen 4000 Datenpunkte aus jedem Trainingskorpus zufällig auswählen und auf mögliche verbotene Äußerungen untersuchen. Mindestens 96 Prozent davon müssen als akzeptabel angesehen oder das Korpus muss auf eine schwarze Liste gesetzt werden. Auch akzeptierte Trainingsdaten müssen nach verbotenen Inhalten gefiltert werden. Anbieter müssen zudem eine Datenbank mit 1000 Fragen erstellen, um die Antwortverweigerung des Modells zu testen. Es muss sich weigern, mindestens 95 Prozent der Fragen zu beantworten, die es nicht beantworten sollte. Diese Fragen müssen knifflige und sensible Themen wie Politik, Religion und Ähnliches abdecken.
Die strenge Regulierung bremst den technischen Fortschritt - und steht damit dem Ziel im Weg bis 2030 die KI-Technologieführerschaft zu erringen. "China verfolgte einen Feuerwehr-Ansatz", sagt Jinghan Zeng, Professor für China und internationale Studien an der Lancaster University, – man warte erst einmal ab und reguliere dann, wenn es Vorfälle gebe. Mittlerweile sei der Partei klar geworden, dass generative KI sofort reguliert werden müsse, "damit sie weiterhin die chinesischen Werte unterstützt"
In China gibt es allerdings ein Phänomen, das die Politik dort prägt und damit auch die Bevölkerung ebenso wie die Wirtschaft: Fang-Shou, abgeleitet von den beiden Verben Fang (erholen) und Shou (anspannen). Sinngemäß also: Auf eine Phase der Anspannung oder verstärkten Kontrolle folgt immer eine Phase der Öffnung und Lockerung – und umgekehrt. Zeng glaubt daher nicht, dass die Regulierung in China die Innovation wesentlich aufhalte. "Der europäische Ansatz wird mehr ausbremsen als der chinesische", prophezeit er, "im Vergleich zum chinesischen schränkt dieser viel mehr ein." Und China habe einen eindeutigen Vorteil: den Zugang zu sehr vielen Daten. "Noch ist China weit hinter den USA, aber das wird sich ändern."
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(wst)