Massenüberwachung: Wissing kündigt Veto bei der Chatkontrolle an
Deutschland werde dem EU-Vorschlag zum Kampf gegen sexuelle Missbrauchsdarstellungen ohne massive Korrekturen nicht zustimmen, betont Digitalminister Wissing.
Weiterer Rückschlag für den Plan von EU-Kommissarin Ylva Johansson, eine Verordnung zur Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch durchzudrücken: Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, hat ein Veto für die umstrittene Initiative der Schwedin in Aussicht gestellt. Der FDP-Politiker betont gegenüber heise online: "Die Bundesregierung hat auf europäischer Ebene ein klares Signal gesetzt, dass Deutschland dem Verordnungsvorschlag nicht zustimmen wird, wenn nicht grundlegende Änderungen erfolgen. Das gilt für mich im Hinblick auf das Scannen privater Kommunikation auch dann, wenn sie unverschlüsselt ist."
Wissing geht damit auf die gerade publik gewordene Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Kommissionsvorhaben ein. Die deutsche Exekutive positioniert sich damit klar gegen die Chatkontrolle mithilfe von Client-Side-Scanning (CSS), also das besonders umkämpfte Durchsuchen und Ausleiten privater Kommunikation direkt auf Endgeräten der Nutzer. Damit könnte die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Diensten wie WhatsApp und Signal unterlaufen werden. Die Zulässigkeit sowie den etwaigen Umfang serverseitiger Aufdeckungsmaßnahmen in unverschlüsselten Telekommunikations- sowie Speicherdiensten etwa in der Cloud prüft die Regierung dem Papier zufolge aber noch.
Kritiker aus der netzpolitisch engagierten Zivilgesellschaft werten diese Klausel als Bruch des Koalitionsvertrags der Ampel. Darin heißt es: "Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab". Bundesinnenministerin Nancy Faeser habe sich durchgesetzt, lauten erste Einschätzungen. Die Sozialdemokratin macht sich – wie ihre Fraktionskollegin Johansson – auch nach vernichtender Kritik bei einer Bundestagsanhörung weiter für die Überwachung privater, unverschlüsselter Kommunikation durch serverseitiges Scannen etwa von Chats stark. Die FDP-geführten Bundesministerien für Digitales und Justiz stellten dagegen schon frühzeitig rote Linien zu dem Kommissionsentwurf auf.
Wohl Einigung mit Faeser erforderlich
"Der Schutz der Privatsphäre und der privaten Kommunikation ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren unserer Demokratie, das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen", unterstreicht Wissing nun. "Deshalb darf es keine Chatkontrollen geben. Wir müssen den Kampf gegen sexuellen Missbrauch konsequent führen, aber nicht zu dem Preis, freie Kommunikation einzuschränken." Federführend bei dem Dossier ist zwar seine Kabinettskollegin Faeser. Um eine bestmögliche Vertretung deutscher Interessen auf europäischer Ebene zu erreichen, wird die Bundesregierung laut der Koalitionsvereinbarung aber "ein geschlossenes Auftreten gegenüber den europäischen Partnern und Institutionen sicherstellen".
Faeser würde Wissing auf diese Weise völlig brüskieren, wenn sie im EU-Rat für eine Position stimmen würde, die Chatkontrollen jeglicher Art nicht ausschließt. Eine Enthaltung in dem Ministergremium wiederum zählt als Gegenstimme. Eine Sperrminorität im Rat ließe sich letztlich erreichen, wenn sich mindestens vier Staaten, die zusammen mehr als 35 Prozent der Bevölkerung in der EU repräsentieren, gegen einen Beschluss stellen. Ausdrücklich gegen die Chatkontrolle ist etwa auch Österreich. Niederlande, Belgien, Griechenland und Frankreich vertraten im vorigen Jahr unklare Positionen.
Nach der zunächst fälligen Stellungnahme des Rates der Regierungsvertreter der Mitgliedsstaaten folgen Verhandlungen mit dem EU-Parlament. Auch dort gibt es viele kritische Stimmen zu den Überwachungs- und Zensurbestandteilen des Kommissionsentwurfs. Eine potenzielle Einigung muss im Plenum und vom Rat noch bestätigt werden. Wissing erreichte jüngst in der Auseinandersetzung über E-Fuels aufgrund seiner Bedenken noch Zugeständnisse in letzter Minute von der Kommission und brachte damit das Brüsseler Establishment ziemlich durcheinander. Seine Einwände gegen jede Form der Chatkontrolle dürften damit bei der Kommission nicht auf taube Ohren stoßen.
(mack)