Automatisiertes Fahren: Benchmark Mensch
Wenn automatisiertes Fahren zum Regelfall werden soll, sollen die Algorithmen mindestens so unfallfrei fahren können wie menschliche Fahrer. Wie das nachgewiesen werden kann, untersucht das Verbundprojekt Pegasus.
Eine alltägliche Situation auf deutschen Autobahnen. Die linke Spur ist frei, auf der rechten fahren Lkw und Privatfahrzeuge mit geringem Abstand. Der Fahrer fährt auf der Überholspur mit 130 km/h Richtgeschwindigkeit. Plötzlich zieht ein Kleinwagen aus dem Sichtschatten eines Lkw auf die Überholspur. 1,5 Sekunden bleiben dem Fahrer, um eine Kollision zu vermeiden. Nicht genug. Die Autos prallen mit erheblicher Geschwindigkeit zusammen – und die Simulation bricht ab.
Kein Hexenwerk
Tests wie diese sind Teil des Verbundprojekts Pegasus, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. In dem Projekt arbeiten Autohersteller wie Audi, BMW, Daimler und Volkswagen mit Zulieferern, Prüfern, Wissenschaftlern und anderen Institutionen, um die nächste Stufe des automatisierten Fahrens zum Normalfall zu machen. Am Dienstag haben die Verbundpartner am Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen erste Ergebnisse präsentiert.
Verbundprojekt Pegasus fĂĽr autonomes Fahren (4 Bilder)
(Bild: heise online / Torsten Kleinz)
"Die Grundfunktion ist kein Hexenwert", erklärte Karsten Lemmer Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Aachen. So gebe es bereits viele von einzelnen Autoherstellern initiierte Demonstratoren, die das Können der jeweiligen Systeme zeigten. "Die Kernfrage ist nun: Was müssen wir tun, um die Technik in Serie auf die Straße zu bekommen?", sagte Lemmer. Statt Autos im Verkehr testen zu lassen, fördert das Bundeswirtschaftsministerium ein Verbundprojekt der deutschen Autoindustrie mit über 34 Millionen Euro. Mit den Ergebnissen des Projekts sollen nicht nur die Technik der Hersteller verbessert, sondern auch die öffentliche Akzeptanz sichergestellt werden.
MindestmaĂź Mensch
Ausgangspunkt des Projekts: Die Fahrautomaten müssen mindestens so sicher sein wie menschliche Fahrer in der Praxis. Um dieses Ziel zu erreichen sind umfangreiche Untersuchungen möglich. So wird beispielsweise in Simulatoren des DLR genau erforscht, wie leistungsfähig Menschen am Steuer tatsächlich sind.
Die Messlatte ist nicht niedrig: So sind Autofahrer in Deutschland relativ sicher am Steuer – die Anzahl der Verkehrstoten sinkt in den vergangenen Jahrzehnten fast stetig. Vorteil für den Computer: Die aktuell erfassten Unfälle resultieren meist aus menschlichen Fehlern wie Unaufmerksamkeit oder Alkoholkonsum. Nachteil für den Computer: Menschen können unter Umständen viel vorausschauender fahren und Situationen besser einschätzen, bevor es zu einer Notbremsung kommen muss.
Erst simuliert, dann getestet
Um die Stärken und Schwächen genau zu ergründen wird im Rahmen von Pegasus eine Datenbank mit Fahrszenarien gefüllt, die einen Eindruck darüber verschaffen können, welche Szenarien im Alltag wie häufig vorkommen und wie kritisch diese sind. Dazu können die Forscher auf etablierte Daten zurückgreifen, wie das Projekt GIDAS (German In-Depth Accident Study), bei dem pro Jahr 2000 Unfälle genau erfasst werden. Parallel werden über genaue Sensorerfassung von Autos im normalen Straßenverkehr weitere Praxisszenarien erfasst.
Die hochautomatisierten Fahrzeuge müssen ihr Können zuerst im Simulator demonstrieren. Um wirklich praxisrelevante Daten zu generieren, wird eine ungewohnt hohe Simulationstreue zugrunde gelegt. So werden Leitplanken nicht nur als neutrale Fahrbahnbegrenzungen betrachtet, sondern auch ihr Stör-Echo auf die Radarmessungen der Fahrzeuge berücksichtigt. Auch werden Autos nicht als Gesamtes simuliert, sondern jede einzelne Steuereinheit im Simulator virtuell nachgestellt. Wenn ein Fahrer im Simulator aufs Bremspedal tritt, soll genau das gleiche passieren wie auf offener Strecke.
Diese Simulationsergebnisse werden dann auf Teststrecken überprüft. Spezialfahrzeuge werden mit speziellen GPS-Systemen und Beschleunigungssensoren ausgestattet, so dass ihre Position auf zwei Zentimeter genau kontrolliert werden kann. Auf diese Weise lassen sich Prüfszenarien exakt für verschiedene Automodelle nachstellen. Erst nachdem diese Szenarien absolviert wurden sollen die teilautonomen Autos auf den öffentlichen Straßen getestet werden.
Grenzen des Projekts
Die Komplexität des autonomen Fahrens ist enorm – deshalb konzentriert sich das Projekt Pegasus zunächst auf eine relativ einfache Anwendung: den "Autobahn-Chauffeur". In diesem Szenario müssen die Fahrzeuge Fahrten bis zu 130 km/h absolvieren, eigenständig die Spuren wechseln und auch gegebenenfalls notbremsen können, wenn sie an einer unübersichtlichen Stelle auf ein Stauende stoßen. Auch plötzliche Spurwechsel von voranfahrenden Autos müssen die Autos sicher bewältigen können – zumindest wenn ein Zusammenstoß nach menschlichem Ermessen vermeidbar ist. Der menschliche Fahrer muss wieder übernehmen, sobald der Wagen von der Autobahn abfährt oder zum Beispiel eine Baustelle zu durchfahren ist. Noch nicht im Projektumfang von Pegasus sind extrem komplexe Szenarien wie zum Beispiel der Stadtverkehr.
Auch die Interaktion zwischen Menschen und Maschine muss auf verschiedensten Ebenen erforscht werden. So hat die Bundesanstalt für Straßenwesen ein "Wizard-Of-Oz"-Auto im Gebrauch, mit dem Probanden getestet werden, wie sie darauf reagieren, wenn sie in einer kritischen oder anders überraschenden Situation plötzlich wieder selbst das Steuer übernehmen sollen.
Der Einfluss auf den sonstigen Verkehr muss ebenfalls noch erforscht werden. So wird befürchtet, dass es menschliche Autofahrer ausnutzen werden, wenn die hochautomatisch gesteuerten Fahrzeuge besonders viel Abstand zum vorausfahrenden Verkehr lassen, damit eventuell ein menschliches Eingreifen noch möglich ist. Ob ein risikoarmes hochautomatisiertes Fahren akzeptiert wird, wenn die Insassen dadurch langsamer vorankommen, müssen dann die Praxiserfahrungen zeigen. (anw)