Kommentar: Bis Altmaiers Wasserstoffblase platzt

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier möchte grünen Wasserstoff von anderen Ländern importieren. Das Vorhaben wirkt geradezu grotesk.

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Kommentar: Bis Altmaiers Wasserstoffblase platzt

(Bild: BPA/Steffen Kugler / Montage: TR)

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41-mal, hat "taz"-Journalist Malte Kreutzfeldt nachge­zählt, erwähne die Bundesregierung in ihrem Klimaschutzprogramm 2030 den Wasserstoff als zen­trales Element für den Klimaschutz. "0-mal wird erklärt, wo der zusätzliche Ökostrom für dessen Erzeugung herkommen soll, wenn die Ausbauziele nicht stark angehoben werden."

Jetzt hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier das ­Geheimnis gelüftet. "Deutschland wird einen Großteil des künftigen Bedarfs an CO2-freiem bzw. CO2-neutralem Wasserstoff importieren müssen", zitiert der Spiegel aus dem Entwurf einer "nationalen Wasserstoffstrategie". Dazu wolle man "Energiepartnerschaften" mit Erzeugerländern eingehen – sprich: mit Afrika oder Australien.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Bis 2030 sollen 20 Prozent des in Deutschland verbrauchten Wasserstoffs aus nachhaltigen Quellen wie Wind- und Solarkraft stammen, heißt es im Entwurf weiter. Dazu wolle die Bundesregierung Elektrolyse-Kapazitäten fördern. Geplant seien drei bis fünf Gigawatt.

TR 3/2020

Das klingt ambitioniert. Tatsächlich aber dokumentiert die Bundesregierung damit vor allem ihre Wurschtigkeit gegenüber den eigenen Klimazielen. Statt sich mit dem mühsamen Feintuning der laufenden Energiewende abzugeben, hofft sie einfach darauf, dass irgendwelche anderen Länder rechtzeitig in die Bresche springen werden.

Dabei hätte sie das Windrad keineswegs neu erfinden müssen. Alle nötigen Weichen haben die rot-grünen Bundestagsfraktionen sowie das Kabinett Schröder schon vor mehr als 20 Jahren mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gestellt, alle Kämpfe ausgefochten, alle politische Prügel kassiert. Die nachfolgenden Regierungen hatten wenig mehr zu tun, als das EEG maßvoll der aktuellen Entwicklung anzupassen.

Doch selbst damit waren die diversen Merkel-Kabinette überfordert. Erst hat die schwarz-gelbe Koalition 2012 durch starke Kürzungen der Einspeisevergütung die Photovoltaik kollabieren lassen. Anschließend hat Rot-Schwarz unter anderem durch ein Hin und Her im Ausschreibungsdesign die Onshore-Windkraft abgewürgt. Windkraft auf hoher See steht nach Ansicht von Experten ein ähnlicher Einbruch bevor.

Logisch, dass bei diesen Aussichten kaum sauberer Strom für die aufwendige Wasserstoffproduktion übrig bleibt. Doch das Vorhaben, diese Lücke durch Importgas zu schließen, ist ungleich komplexer als ein entschlossener Ausbau der Erneuerbaren hierzulande – und zwar in technischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht.

Beginnen wir mit dem Netz. Fehlende Stromleitungen sind Altmaiers Lieblingsargument, um Sonne und Wind auszubremsen. Zugegeben: Der Netzausbau ist eine komplizierte Angelegenheit. Aber Altmaier hat bisher auch wenig damit geglänzt, ihn voranzubringen. Dabei sind Stromtrassen eine bewährte und etablierte Technik – im Gegensatz zu einem europaweiten Netz aus Wasserstoffpipelines. Glaubt er ernsthaft, den Aufbau einer komplett neuen Infrastruktur besser hinzukriegen als den Ausbau einer bestehenden?

Weiter geht es mit den politischen Herausforderungen: Welchen Deal muss man mit welchen Erzeugerländern schließen, damit keine Seite übervorteilt wird und keine ­dauerhaften neuen Abhängigkeiten entstehen wie im Nahen Osten? An dieser Frage ist schon das Desertec-Projekt gescheitert. Länder wie Marokko ­wollten ihren Sonnenstrom lieber selbst nutzen, als ihn zu exportieren. (Was für das Klima, nebenbei bemerkt, keinen Unterschied macht.)

Auch technisch sind viele Fragen offen – zum Beispiel die der Effizienz. Allein die Erzeugung von Wasserstoff braucht viel Energie. Dazu kommt noch einiges für Transport, Komprimierung oder Verflüssigung. Lohnt sich die ganze Sache dann überhaupt noch, oder ließen sich die dafür verbrauchten Kilowattstunden nicht anderswo sinnvoller verwenden?

Das Gleiche gilt für die zu investierenden Milliardensummen. Zu seiner Zeit als Umweltminister hat sich Altmaier gern an den Kosten der Erneuerbaren abgearbeitet. Nun, als Wirtschaftsminister, ist ihm die Wirtschaftlichkeit offenbar nicht mehr ganz so wichtig. Das zeigt sich nicht nur an den großzügigen Entschädigungszahlen für alte Kohlekraftwerke, sondern auch an seiner Wasserstoff-Vision. Denn eines ist angesichts der vielen genannten Probleme ziemlich sicher: Billiger als heimische Wind- oder Sonnenenergie wird der importierte Wasserstoff wohl nicht – da kann die Sonne in der Wüste noch so verlässlich vom Himmel brennen. Auf der arabischen Halbinsel liefern große Photovoltaik-Parks die Kilowattstunde mitunter zwar schon für weniger als zwei US-Cent, rund zwei Drittel günstiger als deutsche Freiflächenanlagen, doch angesichts des gewaltigen Umwandlungs- und Transportaufwands dürften die reinen Stromgestehungskosten nur einen Bruchteil der Wasserstoff-Rechnung ausmachen.

Kommen wir zum zeitlichen Aspekt: Bis Wasserstoff etwas bewirkt, wenn überhaupt, werden wohl Jahrzehnte vergehen. Für den Kampf gegen den Klimawandel sind aber schnelle Erfolge entscheidend. Wenn erst die Permafrostböden auftauen und massenhaft Methan freisetzen, kommt der Wasserstoff zu spät.

Besonders grotesk wirken Altmaiers große Pläne, wenn man sich sein reales Regierungshandeln anschaut – zum ­Beispiel beim 2013 eingeführten 52-Gigawatt-Deckel für die Förderung der Photovoltaik. Diese Schwelle wird langsam erreicht, dann würde der Zubau praktisch zum Erliegen kommen. Es gibt heute weder technische noch wirtschaftliche Gründe dafür, den Deckel beizubehalten. Praktisch niemand setzt sich noch für seinen Erhalt ein. Er sollte schon mehrfach gestrichen werden. Trotzdem hat das Bundeswirtschafts­ministerium es bis heute (beziehungsweise bis Redaktionsschluss) nicht geschafft, ihn abzuschaffen. Immerhin: Ende Januar versprach Altmaier, die Aufhebung mit "besonderer Eile" voranzutreiben.

Und nun will eine Regierung, die nicht einmal trivialste Korrekturen zeitnah umsetzen kann, ein so komplexes Projekt wie eine internationale Wasserstoff-Infrastruktur angehen? Das ist so, als würde man schon beim Mau-Mau ständig die Karten durcheinanderbringen und sich trotzdem als nächster Skatweltmeister ausrufen.


Natürlich gibt es Bereiche wie Schifffahrt, Fliegerei, Schwerlastverkehr oder saisonale Energiespeicherung, in denen Wasserstoff oder synthetischer Sprit ihre Berechtigung haben. Nur müssen die erneuerbaren Energien parallel dazu massiv ausgebaut werden. Nein, Altmaiers Wasserstoffplan löst kein einziges Problem außer diesen: Den Wählern strategisches Handeln vorzugaukeln, sich mit niemandem anlegen zu müssen und die eigentliche Arbeit künftigen Generationen zu überlassen.

Dieser Kommentar stammt aus der neuen März-Ausgabe von Technology Review (jetzt im Handel).

(jle)