Ausgebremste Automatik

Für schätzungsweise 1,4 Millionen in- und ausländische Lkw ab zwölf Tonnen Gesamtgewicht sollen die deutschen Autobahnen im kommenden Jahr zum teuren Pflaster werden.

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Von
  • Dr. Egbert Meyer
  • Joachim Budeck
Inhaltsverzeichnis

Für schätzungsweise 1,4 Millionen in- und ausländische Lkw ab zwölf Tonnen Gesamtgewicht sollen die deutschen Autobahnen im kommenden Jahr zum teuren Pflaster werden. Mit einer auf den Kilometer genau berechneten Maut, die die bisher erhobenen Pauschalgebühren ablöst, will das Bundesverkehrsministerium Mehreinnahmen von jährlich 2,6 Milliarden Euro erzielen. Das Toll Collect genannte Verfahren stützt sich auf eine Kombination aus Satellitenortung (GPS) und GSM-Funk und wird vom Konsortium ETC entwickelt, in dem sich die Firmen DaimlerChrysler Services, Deutsche Telekom und der französische Autobahnbetreiber Cofiroute zusammengeschlossen haben.

Die mautpflichtige Strecke, die ein Fahrzeug auf der Autobahn zurücklegt, wird in Europa auf unterschiedliche Weise ermittelt. In Frankreich, Spanien, Irland und einer Reihe weiterer Länder sind dafür Mautstationen zuständig, die am Anfang und Ende kostenpflichtiger und ausgemessener Autobahnabschnitte stehen: eine Art Kassenhaussystem, an dem europaweit mehrere hunderttausend Arbeitsplätze hängen: Teures Personal, das in Deutschland durch den Einsatz aufwendiger Technik gar nicht erst benötigt wird, glaubt Kurt Bodewig.

Der Verkehrsminister rechnet deshalb auch nur mit bescheidenen 830 zusätzlichen Jobs, die durch die Einführung der Kilometermaut beim Bund entstehen. Allerdings wollen die Betreiberfirmen weitere 600 Arbeitsplätze in Bonn, Berlin und Potsdam schaffen.

Die im Vergleich zum Kassenhausmodell ungewöhnlich dünne Personaldecke hat allerdings ihren Preis. Denn der technische Aufwand, mit dem in Deutschland die Maut erhoben werden soll, ist immens. Die Bundesregierung geht von einem Auftragsvolumen von 7,73 Milliarden Euro aus, verteilt auf die Vertragslaufzeit von 12 Jahren. Laut übereinstimmenden Agenturberichten erwarten die im deutsch-französischen Konsortium zusammengeschlossenen Firmen und künftigen Betreiber des Systems Anfangskosten im hohen dreistelligen Millionenbereich, die von einem Bankenkonsortium unter Führung der HypoVereinsbank vorfinanziert werden sollen. Rechnen soll sich der Kraftakt allemal, denn an die Betreiber sollen jährlich rund 600 Millionen Euro aus Bodewigs Kassen zurückfließen.

Einwänden gegen die hohen Kosten begegnet das Verkehrsministerium mit Hinweisen auf die Vorzüge des Systems. So werde etwa der fließende Verkehr durch kein Kassenhäuschen behindert. Vor allem aber sei das Konzept gerechter als die derzeitige Lkw-Vignette, durch die Vielfahrer begünstigt würden.

Ob die teure Technik für mehr Gerechtigkeit sorgt, muss sich erst noch erweisen. Denn im Gegensatz zur konventionellen Mautstation öffnet Toll Collect "Schwarzfahrern" eine Reihe von Schlupflöchern. "Wir rechnen mit Mautprellern", sagt auch Stefan Jansen, Referent des Bundesamts für Güterverkehr (BAG). Damit ihre Zahl nicht zu groß wird, fließt ein Teil der für Toll Collect veranschlagten Kosten in 300 Kontrollstationen, die vorwiegend an Autobahnbrücken fest installiert werden sollen. Brummi-Fahrer passieren also auf dem 11 785 Kilometer umfassenden Streckennetz durchschnittlich im Abstand von 40 Kilometern eine Kontrollstelle. Die jeweiligen Standorte dürften sich schnell herumsprechen.

Aufgrund der Verkehrsdichte sind stichprobenartige Kontrollen vorgesehen. Dabei werden die Fahrzeuge im Vorüberfahren von einem Annäherungsdetektor erfasst, von einem beweglichen Laser in Achsenhöhe vermessen und mit einer digitalen Infrarotkamera fotografiert. In einer Broschüre des Bundesverkehrsministeriums ist sogar von einer möglichen "Videoerfassung" die Rede.

Auf den ersten Blick gleichen die Anlagen jenen, die die Polizei gegen Temposünder einsetzt. Die enge Verwandtschaft führte Ende Juli bei einem Test auf der A3 bei Idstein zu vier schweren Auffahrunfällen. Einige Autofahrer hatten das System fälschlicherweise für eine Radarfalle gehalten und riskante Bremsmanöver eingeleitet.

Doch die Blitzer sind nicht am Tempo, sondern an einer mit dem Zündschloss gekoppelten, On-Board-Unit genannten Hardware (OBU) interessiert. OBU ist nicht größer als ein Autoradio und verfügt über einen GPS-Empfänger, ein Infrarot-Modul, einen Mobilfunksender und einen Speicher, in dem fahrzeugspezifische Angaben wie Kfz-Kennzeichen, Abgasschadensklasse und die Zahl der Achsen sowie die Positionsdaten der deutschen Autobahnen hinterlegt sind. In Kombination mit dem GPS-Signal errechnet die On-Board-Unit aus diesen Angaben während der Fahrt die Autobahngebühren und übermittelt sie per GSM-Funk an einen Buchungscomputer. Die Mautgebühren liegen nach Angaben des Verkehrsministeriums abhängig von der Achsenzahl und Abgasschadensklasse bei 10 bis 17 Cent pro Kilometer.

An den Kontrollstellen gibt sich die On-Board-Unit per Infrarot-Signal zu erkennen. Gleichzeitig liest eine Gegenstelle die in der OBU gespeicherten Fahrzeugdaten aus und vergleicht sie mit den Werten der Lasermessung. Stimmen die Angaben überein, werden alle abgefragten Daten sowie das Digitalbild umgehend gelöscht, ist von der Entwicklungsabteilung bei DaimlerChrysler zu erfahren. Im anderen Fall sendet die Kontrollstation das Beweisfoto und einen Prüfbericht an die Toll-Collect-Zentrale. Brummi-Fahrern, die mit falschen Angaben unterwegs sind, müssen mit einem Nachzahlungsbescheid rechnen.

Komplizierter wird es, wenn ein Brummi ohne oder mit ausgeschalteter OBU durch die Mautkontrolle rollt. Dann sucht eine Schrifterkennung das Bild nach Zahlen und Buchstaben ab. Auf diese Weise, so hoffen die Entwickler bei DaimlerChrysler, lassen sich die Nummernschilder der Lkw auslesen und mit den Buchungsdaten im Zentralrechner vergleichen. Ein dem entsprechendes Verfahren werde bereits erfolgreich bei der Erkennung von Temposündern eingesetzt, so ein Techniker. Das funktioniere auch bei exotischen ausländischen Kennzeichen, selbst wenn sie an ungewöhnlichen Stellen angebracht seien. Aber auf Nachfrage räumt ein Mitarbeiter ein, dass es ohne zusätzliche Kontrolle nicht geht. Für die manuelle Nachbearbeitung soll aber nur wenig Personal erforderlich sein, denn die Trefferquote des OCR-Systems liege bei über 90 Prozent.

Wie oft die On-Board-Unit während der Fahrt Informationen an die Toll-Collect-Zentrale sendet und auf welchem Weg die Daten von den Brückenkontrollstellen zur Zentrale gelangen, darüber ist zurzeit nur wenig oder Widersprüchliches zu erfahren. Die Verbindung zwischen Brücke und Zentrale könne über eine T-Mobile-Funkverbindung hergestellt werden; denkbar sei es aber auch, die Kontrollstellen mit einem ISDN-Festnetzanschluss auszurüsten, heißt es bei der Telekom. "Geben Sie uns noch etwas Zeit", bittet ein Konzern-Sprecher auf Nachfragen. Aber so recht will das nicht zu der Aussage des Konsortiums passen, das System sei "jederzeit und überall einsatzbereit".

In jedem Fall sollen Spediteure ohne gültigen "Fahrausweis" pauschal für eine gebührenpflichtige Strecke von 500 Kilometern zur Kasse gebeten werden - vorausgesetzt, die Namen der Fuhrunternehmer und Fahrer lassen sich ermitteln. Damit nicht allzu viele durchs Netz schlüpfen, sollen an einigen Kontrollstellen so genannte Standkontrolleure des Bundesamts für Güterverkehr aushelfen. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, Brummi-Fahrer zu stoppen, die bei einer elektronischen Kontrolle auffallen. Das müssen nicht einmal Schwarzfahrer sein. Denn der Einsatz einer Toll-Collect-Box ist den Spediteuren grundsätzlich frei gestellt - aus Gründen der Gleichbehandlung, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium. "Auch einem kleinen griechischen Spediteur, der nur ab und zu eine deutsche Autobahn benutzt, sollen keine Nachteile entstehen", sagt Bodewigs Sprecher Felix Stenschke.

Eine OBU-Pflicht wird es jedenfalls nicht geben; sie würde EU-Recht widersprechen, das ausländischen Lkw-Fahrern eine "diskriminierungsfreien Zugang" zum deutschen Mautsystem sichern will. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum die beteiligten Firmen noch keine konkreten Angaben zum Preis der On-Board-Unit machen. Soviel war jedoch zu erfahren: Die OBU kann man nicht kaufen. Sie soll den Fuhrunternehmern gegen einen noch festzulegenden Betrag ausgehändigt werden, "der als Mautguthaben abgefahren werden kann".

Doch was bleibt von einem der weltweit teuersten Mautsysteme, wenn es auch ohne die viel gepriesene GPS-Komponente funktionieren muss? Kurios ist es allemal. Denn geplant ist, über T-Online im Internet, an Terminals an den Grenzen, vor Autobahnauffahrten, an Parkplätzen, Tankstellen und Raststätten, dass sich die Fahrer rund um die Uhr bei Toll Collect einbuchen können. Dabei soll ihnen eine Karte helfen, auf der bereits alle Fahrzeugdaten gespeichert sind, die zur Mauterhebung benötigt werden. Abgerechnet wird bequem per Kredit- oder Tankkarte, ist beim Terminalhersteller Höft & Wessel zu erfahren. Zudem gebe es die Möglichkeit, die Maut am Automaten bar und in mehreren europäischen Währungen zu bezahlen. Aber letztlich erinnert das dann doch an ein Kassenhaus. Unter einem satellitengestützten Gebührensystem, für das nach Angaben des Verkehrsministers "kein einziges Mauthäuschen gebaut" werden muss, hatte sich mancher Beobachter etwas anderes vorgestellt.

Zudem sind die Toll-Collect-Terminals nicht gegen falsche Angaben gewappnet. Mautsündern will das Bundesamt für Güterverkehr mit zusätzlichen Kontrollen auf die Schliche kommen. An der Jagd auf schwarze Schafe sollen sich 900 bis 1000 alt gediente und neue Mitarbeiter der Behörde beteiligen. Bei den vorgesehenen Kontrollen werden Lastwagen ohne Toll-Collect-Box wohl etwas häufiger auf die Standspur gewunken.

Möglicherweise fördert das die Neigung unentschlossener Spediteure, ihre Brummis mit einer OBU auszustatten. Um ihnen die Box schmackhaft zu machen, werben die Betreiber mit zusätzlichen Vorteilen. Toll Collect, so eine Broschüre im Internet, biete Fuhrunternehmern eine preiswerte Möglichkeit, den Weg ihrer Transporte in Echtzeit am Computer zu verfolgen. Die Deutsche Telekom wirbt bereits für entsprechende Mehrwertdienste gegen Gebühr; doch noch ist zweifelhaft, ob sich das für kleine Unternehmen rechnet. Entscheiden sie sich für die Box, tragen sie in jedem Fall die Montagekosten. Was das kostet, auch darüber ist derzeit noch nichts bekannt. Auf lange Sicht soll sich das Problem mit der Hardware von ganz alleine lösen. Verkehrsminister Bodewig rechnet damit, dass zum Start im August 2003 rund 80 Prozent der Lkw auf freiwilliger Basis eine OBU an Bord haben.

Dann sei es wohl nur noch ein kleiner Schritt bis zur Einführung der Pkw-Maut, argwöhnt bereits "Die Zeit" in einem Leitartikel. "In Deutschland müssten zu viele Fahrzeuge erfasst werden", hält Verkehrsminister Bodewig dagegen und ahnt wohl längst, dass dies mit einem vom EU-Recht ausgebremsten Satellitensystem nicht zu schaffen ist. (em)

Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig läuft die Zeit davon. Das geplante satellitengestützte Lkw-Mautsystem kommt später als erwartet. Nach Verzögerungen durch eine gerichtlich geführte Auseinandersetzung um die Auftragsvergabe soll Toll Collect nun im August 2003 in Betrieb genommen werden. Ursprünglich vorgesehen war der 1. Januar. Durch die Verspätung entgehen dem Bund monatlich 280 Millionen Euro.

Um den Auftrag für das 7,73 Milliarden Euro schwere Projekt hatten sich die Fela AG, die maßgeblich am Aufbau des Schweizer Mautsystems LSVA beteiligt war, sowie die Konsortien ETC und Ages mit fristgerechten Angeboten beworben. ETC ist ein Firmenverbund um DaimlerChrysler, die Deutsche Telekom und den französischen Autobahnbetreiber Cofiroute. Bei Ages geben der Mobilfunkanbieter Vodafone und die Mineralölkonzerne Aral und Shell den Ton an.

Ende Juni dieses Jahres erhielt ETC den vorläufigen Zuschlag für den Aufbau des Mautsystems. Zur Begründung hieß es, dass Angebot von ETC sei das günstigste gewesen. Das Konsortium Ages, das zu einem früheren Zeitpunkt wegen Formfehlern zeitweilig vom Bieterwettstreit ausgeschlossen wurde, machte jedoch Verfahrensfehler geltend und legte Beschwerde beim Bundeskartellamt ein. Die Beschwerdeführer begründeten den Schritt damit, dass die Konkurrenz die Mindestanforderung an das Gebührenerhebungs- und Kontrollsystem nicht erfülle und der Auftrag an ein Konsortium um die Deutsche Telekom gehe, an der der Staat als Großaktionär beteiligt sei.

Anfang September wies das Bundeskartellamt die Beschwerde als unbegründet zurück. Ages konnte zwar Mitte dieses Monats beim Oberlandesgericht Düsseldorf eine Aufschiebung der Auftragsvergabe erwirken, zog die entsprechende Beschwerde aber bereits nach 24 Stunden wieder zurück und machte damit den Weg für die Vertragsunterzeichnung frei. Als Gegenleistung soll das Ages-Konsortium künftig mit "bestimmten geschäftlichen Leistungen" am Aufbau des Mautsystems beteiligt werden. Im Gespräch ist, dass die Telekom 30 Prozent des Datenvolumen, das über Mobilfunknetze abgewickelt wird, an den Konkurrenten Vodafone abtritt.

Doch mit dem Ende des Bieterstreits sind längst nicht alle Ungereimtheiten bei der Auftragsvergabe ausgeräumt. Zumindest nicht für den Saarbrücker Honorar-Professor und Ingenieur Heinrich Schüssler, der als ein weiterer Bieter mit dem kostengünstigsten Angebot aufwarten konnte - dabei aber den Stichtag für die Bewerbung verpasste.

Schüssler arbeitet seit Jahren an einem System namens Traffic Sign Reminder (TSR), mit dessen Hilfe sich die Autofahrer Verkehrszeichen elektronisch auf ein Display im Auto holen können. Dazu werden lediglich GSM-Sender auf den Schildern benötigt.

Der Entwickler hält TSR, das ohne GPS auskommt, auch für geeignet, die Lkw-Maut zu erheben - für einen Bruchteil des ausgeschriebenen Auftragsvolumens. Einsparungen von rund einer halben Milliarde Euro pro Jahr wären möglich gewesen, ist Schüssler überzeugt. Im Gegensatz zu Toll Collect könnte TSR innerhalb kürzester Zeit loslegen. Sender für einen Verkehrsschild-Infodienst sind bereits im gesamten Saarland an Autobahnschildern montiert. Und eine OBU würde er den Speditionen sogar schenken.

So weit wird es nun nicht mehr kommen. Das Verkehrsministerium hat dem Saarbrücker längst signalisiert, dass das Bieterverfahren abgeschlossen ist. Um es neu aufzurollen, müssten "schwerwiegende Gründe vorliegen", teilte ihm die Behörde mit. Doch daran mangelt es nach Schüsslers Meinung nicht. Seine Rechnung ist simpel: TSR spart dem Steuerzahler 7,5 Milliarden Euro in 15 Jahren.

Gute Gründe gegen des deutsche Mautsystem nennt auch der im Bieterwettstreit unterlegene Schweizer Anbieter Fela. "Die ausgewählte Lösung setzt auf eine bis heute unerprobte und exotische Technologie", sagt Fela-Geschäftsführer Ernst Uhlmann. "Das jetzt geplante System kann und wird aus meiner Sicht nicht funktionieren". Die Freiwilligkeit beim Einsatz der On-Board-Unit provoziere manuelle Einbuchungen. "Es ist mit hoher Betrugs- und Ausfallwahrscheinlichkeit zu rechnen". Zudem verschlinge Toll Collect Betriebskosten in Höhe von rund 20 Prozent der Einnahmen; in der Schweiz seien es lediglich 6 Prozent. (em)