Wissensvermittlung in agilen Projekten

Seite 2: Vermittlungsmodell

Inhaltsverzeichnis

Watzlawicks Sender-Empfänger-Modell mit Erweiterung um die zu vermittelnde Kompetenz und die daraus resultierende Vermittlungsmethode (Abb. 2)


Ein wichtiges Modell im Kontext der Wissensvermittlung ist das Sender-Empfänger-Modell aus der Kommunikationswissenschaft von Paul Watzlawick [1]. Die Erweiterung in Abbildung 2 zeigt die Zusammenhänge zwischen den zentralen Begriffen der Wissensvermittlung und soll im Folgenden als Kommunikationsbasis dienen. Das Modell besteht aus den vier Begriffen Sender, Empfänger, Kompetenz und Vermittlungsmethode.

Kompetenz ist das, was vermittelt werden soll. Wie Abbildung 2 zu entnehmen ist, gehen mit dem Kompetenzbegriff die folgenden Attribute einher: Bereitschaft, Handlungsfähigkeit, Kontext, deklaratives und prozedurales Wissen. Während die beiden letzten vermittelbar sind, sind es die anderen Attribute nicht oder zumindest nur zum Teil. Unter Handlungsfähigkeit versteht man die Fähigkeiten, die man neben dem Wissen benötigt, um Handeln zu können. Dazu zählen auch alle essentiellen Dinge, wie Programmierkenntnisse und kommunikative Fähigkeiten, die zum zufriedenstellenden Ausführen einer Tätigkeit nötig sind. Die Bereitschaft bezeichnet den Willen, das erlangte Wissen einzusetzen, denn brachliegendes Wissen nutzt niemandem. Nicht zuletzt muss der Wissensempfänger in der Lage sein, seine erlangte Fähigkeit in den verschiedensten Kontexten einzusetzen.

Der Sender ist der Kommunikationspartner, der Kompetenz vermitteln möchte, während der Empfänger der Kommunikationspartner ist, der diese benötigt. Im vorgestellten Vermittlungsmodell wird von einem idealen Sender ausgegangen, der alle Voraussetzungen für eine ideale Wissensweitergabe mitbringt. Obwohl niemand diesem Ideal gerecht wird, zeigt die Erfahrung, dass der Erfolg der Wissensvermittlung sehr stark von einem kompetenten Sender abhängt.

Wie der Sender die Kompetenz an den Empfänger vermittelt, zum Beispiel durch einen Vortrag oder gemeinsames Arbeiten an einem Thema, beschreibt die Vermittlungsmethode. Sie wird in der Didaktik in Sozialformen und Handlungsmuster unterteilt.

Verschiedene Sozialformen (Abb.3)


Die Sozialformen beschreiben ein gewisses Setting, in dem die Wissensempfänger zusammenarbeiten. Sozialformen sind aus der Schule bereits geläufig. Typische Kandidaten sind der Frontalunterricht, bei dem ein Lehrer (Sender) einer Gruppe Schülern (Empfängern) gegenübersteht, oder die Gruppenarbeit. Im agilen Kontext gibt es zusätzliche Sozialformen, wie den On-Site Customer, bei dem ein Sender sich zu den Empfängern setzt und jederzeit zur Verfügung steht. Das hilft den Beteiligten, Anforderungen und Fragen kurzfristig zu klären. Der Sender kann außerdem durch seine Anwesenheit Arbeitsstände sofort überprüfen und potenzielle Fehler und Missverständnisse klären.

Handlungsmuster (Abb. 4) sind die elementaren Bausteine der Wissensvermittlung. Vielen begegnet man tagtäglich und kennt sie vom Namen her, denn jeder weiß, was ein Vortrag ist oder kennt Diskussionen. Ein Handlungsmuster wird auch gerade jetzt angewendet, und zwar das des Lesens.

Da an dieser Stelle eine ausführliche Erläuterung aller Handlungsmuster zu umfangreich wäre, beschränken sich die folgenden Beschreibungen auf einige Beispiele. Anforderungen erahnen funktioniert so, wie es sich durch den Namen erahnen lässt: Der Empfänger versucht zu erahnen, welche Anforderungen der Sender hat. Die Ergebnisse müssen Sender und Empfänger danach absprechen. Der Vortrag, als eine der bekanntesten Techniken, ist ein sehr senderlastiges Vorgehen, bei dem der Sender sein Wissen vorträgt und der Empfänger zuhört. Bei einem Interview hingegen wird der Empfänger die Informationen durch gezieltes Fragen vom Sender abholen. Für die gezielte Wissensvermittlung wohl weniger geeignet ist die osmotische Kommunikation. Dieses Handlungsmuster basiert darauf, dass Sender und Empfänger im selben Raum sitzen und ihrer Tätigkeit nachgehen. Durch das bloße Zusammensitzen und Mithören was andere am Telefon oder in Gesprächen mit dritten Personen von sich geben, baut sich mit der Zeit Wissen auf. Daher ist bei der osmotischen Kommunikation, dem Nebenher-Mitbekommen, keine gezielte und in kurzer Zeit durchführbare Wissensvermittlung möglich. Ein paar weitere Handlungsmuster sind weiter unten im Fallbeispiel erläutert.

Beispiele für Handlungsmuster: Rot markiert sind die Handlungsmuster, die meist in agilen Kontexten
zu finden sind [4] (Abb. 4)


In Abbildung 5 sind unter anderem die Eigenschaften eines Handlungsmusters zu sehen, zum Beispiel wer (Sender oder Empfänger) den Inhalt des zu vermittelnden Wissen wann maßgeblich beeinflusst. Also ob der Sender der alleinige Herr über den Inhalt ist – wie man es vom Vortrag kennt – oder ob der Empfänger den Inhalt mitgestalten kann.

Zusammensetzung der Vermittlungsmethoden (Abb. 5)


Bei der Frage, wann welches Handlungsmuster eingesetzt werden sollte, muss man sich überlegen, welche Faktoren Einfluss nehmen. Einer wurde in diesem Artikel bereits erwähnt, nämlich die Art des zu vermittelnden Wissens (deklarativ oder prozedural). Andere Einflussfaktoren wären beispielsweise die Anzahl der Wissensempfänger, die räumliche Verteilung der Empfänger oder die Wichtigkeit des Lernerfolges.

Man kann feststellen, dass bei bestimmten Faktoren nicht nur ein Handlungsmuster funktioniert, sondern häufig eine ganze Auswahl zur Verfügung steht. Das kommt daher, dass bei bestimmten Einflussfaktoren Handlungsmuster einer bestimmten Ausprägung benötigt werden und mehrere Muster über diese verfügen.