Wissensvermittlung in agilen Projekten

Seite 3: Beispiel

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Anhand des folgenden Szenarios sollen unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren geeignete Handlungsmuster gefunden werden: In einer kleinen Stadt existiert seit 30 Jahren eine Bibliothek. In dieser gibt es einige Bibliothekare, die ihren Bestand mit einem Zettelkatalog verwalten. Um die Attraktivität der Bibliothek, gerade für jüngere Menschen, zu steigern, hat der Stadtrat beschlossen, sie zu modernisieren. Im Zuge der Modernisierung soll ein neues EDV-System den bisherigen Zettelkatalog ablösen.

Nach einer Ausschreibung erhält Firma X den Zuschlag. Sie arbeitet mit agilen Methoden. Im ersten Planning Meeting soll der darauf folgende Sprint geplant werden. Hierfür müssen die fachlichen Inhalte, die das System umsetzen soll, vermittelt werden. Dazu gehört sowohl deklaratives Wissen, beispielsweise welche Leihmedien wie lange ausgeliehen werden dürfen, aber auch prozedurales Wissen, zum Beispiel wie eine Ausleihe durchgeführt wird.

Einflussfaktoren sind hier unter anderem die Vermittlung prozeduralen Wissens. Zusätzlich kann davon ausgegangen werden, dass nicht die Bibliothekare das EDV-System entwickeln, im Scrum-Team also kein Vorwissen vorhanden ist.

Wie muss ein Handlungsmuster für dieses Szenario nun aussehen? Für die Vermittlung des prozeduralen Wissens sind Handlungsmuster gefragt, bei denen die Aktivität des Empfängers hoch ist (Prozesse können gut durch Handeln vermittelt werden), aber gleichzeitig der Sender den Inhalt des zu vermittelnden Wissens bestimmt (der Sender kennt den Prozess und weiß daher, was dazu gehört und was nicht). Auch das fehlende Vorwissen bei den Empfängern deutet auf Handlungsmuster hin, bei denen der Empfänger den Inhalt möglichst wenig beeinflusst. Bei Betrachtung der Handlungsmuster lässt sich feststellen, dass gleich ein paar diese Vorgaben erfüllen.

Im vorliegenden Beispiel scheinen die Handlungsmuster Prototyp, Apprenticing und Contextual Inquiry am besten geeignet. Ein Prototyp erlaubt es dem Wissensempfänger, sich spielerisch mit dem zu vermittelnden Thema auseinanderzusetzen. Beim Apprenticing übernimmt der Empfänger die Rolle des Wissensträgers. Er führt, unter Anleitung, die Arbeiten des Senders durch und erlernt so das nötige Wissen. Contextual Inquiry ist eine Mischung aus dem Beobachten des Senders und einem Interview. Der Empfänger beobachtet dabei den Sender bei seiner Arbeit und lernt auf diese Weise. Um das Erlernte zu vertiefen, werden an entsprechender Stelle Interviews zum Thema geführt.

Beim selben Beispiel können, unter veränderten Rahmenbedingungen, andere Handlungsmuster besser geeignet sein. Steht bei einem späteren Planning Meeting beispielsweise das Thema Datenmodell an, geht es nicht mehr darum, Handlungsabläufe zu kennen, sondern die Daten, ihre Zusammenhänge und Eigenschaften. Der Erfolg der Wissensvermittlung ist auch hier wichtig, damit das Sprintteam kein falsches Datenmodell implementiert.

In diesem Fall ist also deklaratives Wissen zu vermitteln. Demnach ist es weniger wichtig, dass der Empfänger möglichst aktiv irgendwelche Handlungsabläufe durchlebt. Folglich wäre auch ein Vortrag seitens des Sender denkbar. Da aber festgestellt wurde, dass eine erfolgreiche Wissensvermittlung essentiell ist, ist darauf zu achten, dass das gewählte Handlungsmuster mit einem hohen Anteil an Prüfungsmaßnahmen für die erfolgreiche Wissensvermittlung ausgestattet ist. Das trifft auf einen Vortrag nicht zu. Vielmehr wird ein Handlungsmuster mit stärkeren Feedbackanteil benötigt. Nützlich wären beispielsweise Übungsfragen, der Empfänger muss also Fragen des Senders beantworten und der Sender kann dadurch jederzeit prüfen, ob das Wissen beim Empfänger vorhanden ist. Auch das Muster Interview wäre geeignet, da das Frage- und Antwortspiel hier jederzeit einen Einblick in den Wissensstand des Empfängers gibt.

Eine Analyse wie die eben gezeigte lässt sich für unterschiedliche Szenarien anfertigen, sodass unter Berücksichtigung der entsprechenden Einflussfaktoren die jeweils passenden Handlungsmuster ermittelbar sind.