Die wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen für den Direktvertrieb, Teil I

Rechtsanwalt Dr. Jan-Felix Isele über die unterschiedlichen Formen des Direktvertriebs und ihre Zulässigkeitsvoraussetzungen.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Der Direktvertrieb ist die wohl effizienteste Methode der Kundengewinnung und wird entsprechend häufig von Unternehmen eingesetzt. Hiergegen ist nichts einzuwenden. Aber nur, solange die wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden. Diese sind jedoch für den Unternehmer oft nicht leicht zu überblicken. Und zwar sowohl, was die wettbewerbsrechtlichen Anforderungen selbst anbelangt, als auch die mit einem gerichtlichen Verbot einhergehenden Konsequenzen. Rechtsanwalt Dr. Jan-Felix Isele beschäftigt sich seit mehr als 10 Jahren mit der Thematik und den dazugehörigen rechtlichen Fallstricken. In einer dreiteiligen Serie hat er für uns seine reichhaltigen Erfahrungen zusammengefasst.

Im ersten Teil erhalten Sie einen Überblick über die unterschiedlichen Formen des Direktvertriebs und die Voraussetzungen für ihre Zulässigkeit.

1. Haustürwerbung

Die direkte Ansprache des Kunden an seiner Haustür besitzt eine lange Tradition und bietet dem Kunden die Möglichkeit, die Ware bequem und sofort zu erwerben. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass sich der Verbraucher durch den unvorhergesehenen Besuch des Werbers oftmals überrumpelt fühlt. Dabei kann es vorkommen, dass sich der Kunde sogar genötigt fühlt, einen Vertrag abzuschließen, den er bei reiflicher Überlegung gar nicht gewollt hätte. Durch den unmittelbaren persönlichen Kontakt mit dem Werber ist die "Überrumpelungssituation" für den Verbraucher etwa im Vergleich zur Telefonwerbung besonders intensiv. Und doch wird die Haustürwerbung vom Gesetzgeber nach wie vor als grundsätzlich zulässig angesehen. Vertreterbesuche liegen nämlich im Rahmen einer traditionell zulässigen gewerblichen Betätigung. Davon gehen auch die Gewerbeordnung (§ 55 ff. Gewerbeordnung) und die Vorschriften über Haustürgeschäfte im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 312 Abs. 1 BGB) aus.

Dass so mancher Besuchte die Werbemethode als ausgesprochen lästig empfindet, spielt für die lauterkeitsrechtliche Bewertung jedenfalls keine Rolle. Die mit einem Besuch im Privatbereich verbundene Störung oder Belästigung reicht allein also nicht aus, um ein generelles Verbot dieses Direktvertriebs zu rechtfertigen, so auch die gängige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Vielmehr würde ein generelles Verbot einen unzulässigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) darstellen.

Dr. Jan-Felix Isele, Jahrgang 1970, ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz. Er studierte von 1990 bis 1995 Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg. Nach Referendariat und zweitem Staatsexamen im Jahre 1997 war er von 1998 bis 1999 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsches und Europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht an der Universität Heidelberg tätig, wo er im Jahre 2001 auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts und des Europarechts promovierte. Seit 1999 ist er als Rechtsanwalt in der Kanzlei Danckelmann und Kerst in Frankfurt am Main tätig, seit 2009 als Seniorpartner. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit der Prozessvertretung, aber auch der Beratung im Wettbewerbs- und Markenrecht.

Dennoch kann der Vertreterbesuch in Ausnahmefällen wettbewerbswidrig sein. Tatsächlich stellt er sogar eine unzumutbare Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 UWG dar, wenn der Werbende ein erkennbares Verbot des Wohnungsinhabers (beispielsweise in Form eines entsprechenden Türschilds) missachtet. Außerdem handelt ein Haustürwerber unlauter nach § 4 Nr. 1 UWG, wenn er durch sein Vorgehen auf die Entscheidungsfreiheit des Angesprochenen einen unangemessenen und unsachlichen Einfluss nimmt. Das kann schon durch die Vorbereitung des Hausbesuchs geschehen, wenn beispielsweise unbestellt Waren zugesendet werden und zugleich ein Hausbesuch ankündigt wird. Ebenfalls wettbewerbswidrig ist es, wenn der Hausbesuch bei angeblichen Gewinnern eines Preisausschreibens dazu dienen soll, sie in ein Verkaufsgespräch zu verwickeln oder die Umworbenen unter Ausnutzung persönlicher (nachbarschaftlicher, freundschaftlicher, beruflicher, verwandtschaftlicher, etc.) Beziehungen zu Hause aufgesucht werden, um sie für ein Produkt zu werben. Außerdem kann es unlauter nach § 4 Nr. 3 UWG sein, dem Umworbenen zunächst den wahren, kommerziellen Grund des Hausbesuches zu verschweigen, um mit ihm ins Gespräch und zu ihm in die Wohnung zu kommen. So etwa dann, wenn zunächst eine Marktuntersuchung oder Meinungsbefragung vorgetäuscht wird.

2. Werbestände

Wenn der Besuch im privaten Bereich erlaubt ist, sollte doch ein Werbestand in der Öffentlichkeit grundsätzlich auch kein Problem sein – könnte man meinen. Doch Gerichte und Gesetzgeber sehen das durchaus kritisch: Das Ansprechen von Werbeständen aus ist demnach grundsätzlich unzulässig, es sei denn, dass der Werber von vornherein – beispielsweise durch eine entsprechende Aufmachung – als solcher eindeutig zu erkennen ist. Auch hier gelten strenge Regeln: ein kleines Schildchen am Oberarm ist keine eindeutige Aufmachung, die Kleidung der Werber muss "plakativ" sein. Vereinfacht ausgedrückt, muss der Verbraucher die Chance haben, den Werber schon von weitem als solchen zu erkennen und einen großen Bogen um ihn machen zu können. Wenn sich der Werber nicht "verkleiden" will, muss er alternativ in der unmittelbaren Nähe des Werbestandes bleiben, so dass man ihn durch seinen Aufenthaltsort entsprechend zuordnen kann. Voraussetzung ist natürlich, dass der Zweck des Werbestandes deutlich erkennbar ist.

Doch die äußerliche Darstellung ist nicht das einzige, worauf ein Unternehmen achten muss, auch die Form der Ansprache unterliegt Regeln. Sind Werbestand und Werber eindeutig erkennbar und der Angesprochene abweisend, darf er nicht weiter belästigt werden. Wirkt der Werber trotz Ablehnung weiter auf den Angesprochenen ein, "bearbeitet" ihn, hindert ihn am Weitergehen oder versucht gar, ihn mit sich zu zerren, dann ist das wettbewerbswidriges Verhalten. Ebenso muss man darauf achten, wo man die Menschen anspricht: sie müssen eine Ausweichmöglichkeit haben. Ist diese nicht oder nur schwerlich gegeben, beispielsweise am Ende einer Rolltreppe oder in einer engen Straße, dann darf der Werbende sie hier nicht ansprechen. Andere Regeln gelten natürlich für Messen und Geschäftsräume: wer sich in diese Umgebung begibt, muss zwangsläufig mit Personen rechnen, die mit ihm ins Geschäft kommen wollen. Die auf Messen übliche Verteilung von Werbegeschenken ist übrigens auch in der allgemeinen Öffentlichkeit wettbewerbsrechtlich unbedenklich, da die angesprochenen Passanten ja gar keinen Vertragsschluss tätigen sollen.

3. Telefonwerbung

Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist Telefonwerbung gegenüber einem Verbraucher nur noch dann zulässig, wenn dieser zuvor "ausdrücklich eingewilligt" hat. Bei potentiellen Geschäftskunden genügt hingegen schon die "mutmaßliche Einwilligung".

Liegt eine Einwilligung erst nachträglich vor, etwa wenn der Angerufene den Anruf billigt, nachdem er zu Beginn des Gespräches über die Identität des Anrufers und den geschäftlichen Zweck des Anrufs unterrichtet worden ist, ist dies laut gängiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs irrelevant. Eine Einwilligung ist übrigens auch nicht vorhanden, wenn der Angerufene zwar seine Zustimmung gibt, der Anrufer aber während des Gespräches dann aber das Thema – also das angebotene Produkt – wechselt. Das ist von der ursprünglichen Einwilligung in der Regel nicht mehr gedeckt. Auch darf die Telefonnummer, die man im Zuge eines Gewinnspiels und zum Zwecke der Gewinnbenachrichtigung erhalten hat, nicht für Werbeanrufe genutzt werden. Genauso wenig wie die Telefonnummer, die bei einer Order nur für Rückfragen in Bezug auf das bestellte Produkt angegeben wurde.

Werden bei Gewinnspielen oder Bestellformularen solche Einwilligungen vorformuliert, sind sie nicht immer unbedenklich. Kann der Teilnehmer des Gewinnspiels nicht erkennen, von wem und zu welchem Zweck er später angerufen werden könnte (beispielsweise auch von anderen Unternehmen), ist die Klausel unzulässig. Unzulässig kann eine Einwilligungsklausel auch dann sein, wenn sie konzernweite Telefonwerbung ermöglichen soll. Weiterhin liegt eine unwirksame Einwilligung vor, wenn der Verbraucher zur Vermeidung von Telefonwerbung einen vorformulierten Passus erst aktiv streichen muss. Das liefe nämlich darauf hinaus, dass entgegen dem Gesetz das Schweigen oder die Passivität des Verbrauchers als Zustimmung gewertet würde. Wird eine Einwilligungserklärung in einer "Datenschutzklausel" versteckt, so ist sie ebenfalls unwirksam. In diesem Falle verstößt sie nämlich gegen das Transparenzgebot von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Erst recht liegt keine Einwilligung vor, wenn der Gewinnspielnehmer gar keine Möglichkeit hat, die entsprechende Passage zu streichen.

Wer sicher gehen will, muss also eine "ausdrückliche" Einwilligungserklärung einholen. Diese muss nicht schriftlich, sondern kann auch mündlich erfolgen, also durchaus auch am Telefon. Allerdings kann sich diese Einwilligung nur auf nachfolgende Telefonate beziehen, nicht aber auf den Anruf, in dem die Einwilligung erteilt wurde, selbst.

Dies alles gilt aber nur für Telefonate mit Verbrauchern. Gegenüber Geschäftskunden reicht die "mutmaßliche" Einwilligung aus. Hierfür muss der Werbende aber konkrete Umstände benennen können, auf deren Basis er von einem sachlichen Interesse des Kunden ausgegangen ist. Weist der Anruf lediglich eine "allgemeine Sachbezogenheit" auf, reicht dies für eine mutmaßliche Einwilligung nicht aus. Vielmehr ist danach zu fragen, ob ein konkreter, aus dem Interessenbereich des Anzurufenden herzuleitender Grund vorliegt, der die Annahme rechtfertigt, der Angerufene sei sowohl mit dem Inhalt der Werbung (also mit dem Produkt) als auch mit der Art der Werbung (als dem Telefonanruf) einverstanden. Mit dem Argument, "IT-Equipement braucht ja wohl jedes Unternehmen", lässt sich also ein mutmaßliches Einverständnis jedenfalls nicht begründen.

Diese strenge Rechtsprechung sollte man lieber nicht auf die leichte Schulter nehmen. Vor Gericht muss der Kläger, der dem Beklagten unlautere Telefonwerbung vorwirft, lediglich den Anruf nachweisen. Die Beweislast dafür, dass der Anruf zulässig war, kommt dem Beklagten zu. Wer keine ausreichende Einwilligungserklärung vorlegen kann, hat ein Problem.

4. Werbung per Telefax und per E-Mail

Nach § 7 Abs.2 Nr. 3 UWG ist Werbung per Telefax oder per E-Mail nur zulässig, wenn eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt. Das gilt übrigens auch für Geschäftskunden! Nach § 7 Abs. 3 UWG ist das nur dann nicht nötig, wenn ein Unternehmer beim Verkauf einer Ware oder Dienstleistung von dem Kunden dessen E-Mail-Adresse erhalten hat, diese zur Direktwerbung für eigene ähnliche Produkte verwendet wird, der Kunde der Verwendung nicht widersprochen hat und jedesmal, wenn er entsprechende Post bekommt, klar und deutlich darauf hingewiesen wird, dass er der Verwendung jederzeit und ohne Zusatzkosten widersprechen kann. Eine mutmaßliche Einwilligung reicht also für die Rechtfertigung von Werbung per Telefax oder E-Mail nicht (mehr) aus.

5. Werbung mittels PostIdent-Verfahren

Bei dem PostIdent-Verfahren der Deutschen Post AG hat der Empfänger eines Briefes seine Unterschrift zu leisten. Diese Unterschrift dient aber nicht (wie bei einem Einschreiben) der bloßen Dokumentation der Empfangnahme. Vielmehr dient sie einem weitergehenden Zweck, der von dem Auftraggeber definiert ist. So besteht mit dem PostIdent-Verfahren für den Absender die einfache Möglichkeit, sich von dem Empfänger einer PostIdent-Sendung eine Unterschrift unter ein weitergehendes Dokument einholen zu lassen. Daher kann sich etwa ein Telekommunikationsanbieter des PostIdent-Verfahrens bedienen, wenn er einem Kunden eine Chip-Karte für sein Mobilfunktelefon zusenden will und die Unterschrift für die Teilnahme am Lastschriftverfahren benötigt. Ebenso kann die Unterschrift aber auch die Unterschrift unter dem Telekommunikationsvertrag ersetzen.

Am Verfahren selbst ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Allerdings muss der Unternehmer, der dieses Verfahren nutzt, den Empfänger einer derartigen PostIdent-Sendung genauestens aufklären – und zwar vor der Zustellung. So muss dieser vorab erfahren, dass ihm eine PostIdent-Sendung zugestellt wird und dass die Unterschrift dem vom Auftraggeber bestimmten Zweck zu leisten sein wird. Das verlangen schon die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG. Wer sich nicht daran hält, verstößt außerdem noch gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften, insbesondere wenn nicht darüber aufgeklärt wird, dass mit Empfangnahme und Unterschrift eine Willenserklärung abgeben wird, die auf das Zustandekommen eines Vertrages gerichtet ist. Anderenfalls darf der Verbraucher nämlich davon ausgehen, dass die Unterschrift lediglich der Empfangsbestätigung dienen soll und wird deshalb entsprechend getäuscht. Das verstößt gegen § 5 UWG.

Weiter liegt ein Verstoß gegen § 312 c Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit § 4 Nr. 11 UWG vor. Nach § 312 c Abs.1 S. 1 BGB hat der Unternehmer den Verbrauchern nämlich rechtzeitig vor Abschluss eines "Fernabsatzvertrages" klar und verständlich über die Einzelheiten des Vertrages zu informieren. Hierzu zählt insbesondere die Information darüber, wie der Vertrag zustande kommt. Ein derartiger "Fernabsatzvertrag" im Sinne von § 312 b Abs.1 BGB liegt wiederum immer dann vor, wenn ein Vertrag über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zwischen einem Unternehmen und einem Verbraucher unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen wird. Fernkommunikationsmittel sind nach § 312 b Abs. 2 BGB all diejenigen Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrages zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien eingesetzt werden können. Dazu zählen also auch – was häufig übersehen wird – Briefe.

Die geforderte Aufklärung kann mit Einwilligung des Verbrauchers auch telefonisch erfolgen und muss – gerade weil das Verfahren den meisten Verbrauchern nicht so geläufig ist – unmissverständlich sein. Werden die Kunden bloß unterrichtet, dass ihnen "ein Antragsformular zur Unterschrift über die Deutsche Post zugestellt wird, damit der Telefonanbieter den Anschluss des Kunden auf sich voreinstellen lassen könne", ist dies nicht ausreichend. Hier nimmt nämlich der Kunde bloß an, dass er die von ihm geforderte Unterschrift zu einem von ihm zu wählenden Zeitpunkt ggf. nach genauerem Studieren der Unterlagen leisten kann. Ebenso wenig reicht aus, wenn dem Verbraucher mitgeteilt wird, dass ihm "die Tarifunterlagen in den nächsten Tagen mit dem PostIdent-Verfahren der Deutschen Post AG übersandt werden". Hieraus ergibt sich nämlich nichts über die Bedeutung des PostIdent-Verfahrens.

Fehlt es an einer ausreichenden Aufklärung, kann allerdings nicht nur die Versendung der PostIdent-Sendungen untersagt werden, sondern beispielsweise auch die Weiterleitung der so "gewonnenen" Verträge an den bisherigen Dienstleister zum Zwecke der Kündigung des Vertragsverhältnisses. Es ist nämlich (ebenfalls) unlauter, wenn ein Wettbewerber Verträge durchsetzt, die er seinerseits durch unlautere Wettbewerbshandlungen und unter Ausnutzung der Rechtsunkenntnis der Verbraucher zustande gebracht hat. Dies gilt namentlich auch für die Zusendung von Rechnungen und Mahnungen. (Marzena Sicking) / (map)

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(masi)