IT-Branche: Deutsch als Fremdsprache!

Bei vielen IT-Firmen in Deutschland laufen die Geschäfte derzeit wie geschmiert. Aber nicht bei allen. Einer der Gründe für ausbleibende Kunden und Aufträge: Die IT-Unternehmen sprechen nicht deutsch, sondern chinesisch, genauer gesagt: fachchinesisch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking

Spricht deutsch: Wortmann-Chef Siegbert Wortmann

(Bild: Wortmann)

Lieber Siegbert Wortmann, Chef der Wortmann AG in Hüllhorst,

die Hauptbühnen der Distributionslandschaft befinden sich ja derzeit im schweizerischen Hergiswil, im niederbayerischen Straubing sowie in Ihrer Nachbarschaft, im westfälischen Soest. Hier führen die beteiligten Akteure Also und Actebis das Theaterstück "Fusionen und andere Kleinigkeiten" auf. Bisher weiß man noch nicht, ob es sich um ein Drama, einen Krimi (Thriller?), eine Romanze oder eine Komödie handelt. Das Ensemble ist in jedem Fall gut besetzt, aber hin und wieder scheidet ein Mitglied aus der Truppe aus, wie jetzt zum Beispiel einer der Actebis-Hauptdarsteller. Deutschland-Geschäftsführer Uwe Neumeier nimmt mit Wirkung des heutigen Tages seinen Hut und scheidet aus dem Unternehmen aus. Damit zieht Neumeier, wie von uns an dieser Stelle vorausgesagt, die Konsequenz daraus, dass nicht er, sondern Also-Manager Michael Dressen in den Vorstand der neuen neuen Also-Actebis Holding AG einzieht.

Lieber Herr Wortmann, im Vergleich zu Actebis, das derzeit eine Schlagzeile nach der anderen liefert und insgesamt ein paar turbulente Jahre hinter sich hat, ist Ihr Unternehmen ja geradezu langweilig. Zumindest aus journalistischer Sicht. Seit Jahren keine Skandale, keine Übernahmen, keine spektakulären Managementwechsel, immer nur solides Business sowie stetes und konstantes Wachstum. Jetzt auch wieder. Trotz des traditionellen Preisverfalls konnte die Wortmann AG den Umsatz im Jahr 2010 um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern. Und zwar nicht, weil das Weltwirtschaftskrisenjahr 2009 so schlecht und der Umsatz eingebrochen war; nein, auch 2009 hatten Sie mit einem zweistelligen Plus abschließen können. Während sich also andernorts Dramen, Thriller und Komödien abspielen, gleicht Wortmann eher einer Daily Soap aus einer heilen Welt.

Insgesamt laufen die Geschäfte der IT-Unternehmen in Deutschland ja derzeit prächtig. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht wieder eine Firma einen neuen Rekordumsatz und ein Traumergebnis meldet. Ein paar Beispiele: SAP erzielte im vierten Quartal 2010 ein Rekordergebnis und kündigt die Anhebung der Dividende um 20 Prozent an, ebenfalls ein neues Alltime-High meldet die Bechtle AG aus Neckarsulm und stellt ebenfalls eine höhere Dividende in Aussicht, Rekordergebnis auch beim kleinen Softwarehersteller Heiler Software aus Stuttgart, und auch das Management und die Mitarbeiter der Notebooksbilliger.de AG können sich über ein 25-prozentiges Umsatzplus freuen. (Interessant übrigens: Während normalerweise die Ankündigung von börsennotierten Firmen, Mitarbeiter zu entlassen, zu einem reflexhaften Anstieg der Aktienkurse führt, ist dies derzeit anders: Die Kurse steigen, obwohl Firmen wie zum Beispiel SAP ankündigen, Mitarbeiter einstellen zu wollen.)

Natürlich haben nicht alle IT-Unternehmen Anlass zum Jubeln. Manche tun sich nach wie vor schwer und haben zu kämpfen. Das hat sicher viele verschiedene Gründe, einer davon ist aber ganz sicher der, dass diese Firmen beziehungsweise deren Mitarbeiter einfach die falsche Sprache sprechen. Nämlich nicht deutsch, sondern chinesisch, genauer gesagt: fachchinesisch. Oder eine Art von Kauderwelsch. Vor allem die Hersteller tun sich schwer mit der deutschen Sprache. Das ist nicht weiter schlimm, so lange sie unter sich bleiben. Aber sobald sie mit dem Kunden in Kontakt treten, vor allem mit dem Kunden aus dem Mittelstand, versteht dieser nur noch Bahnhof. Die Kollegen von der Financial Times Deutschland haben in einem lesenswerten Beitrag vor kurzem an lebenden Beispielen beschrieben, wie solch eine Un-Kommunikation in die Hose gehen kann und der eigentlich kaufwillige Kunde den Anbieter ohne Auftrag wieder nach Hause schickt, weil er sich komplett unverstanden fühlt.

Klingt komisch, ist aber so. Dabei rühmen sich viele Anbieter damit, dass sie die Sprache des Mittelstandes reden. In Wahrheit reden sie mit ihrem IT-Slang an ihm vorbei. Wenn Sie mich fragen, ist das auch eine Form von Arroganz und Ignoranz dem Kunden gegenüber. Um eine Sprache sprechen und verstehen zu können, muss man den Menschen zuhören, die sie anwenden. Viele Mitarbeiter der Hersteller tun dies einfach nicht, vor allem wenn sie im Marketing sitzen, aber auch im Vertrieb. Einer der Gründe: Sie haben von Mittelstand keine Ahnung, kennen seine Themen und Probleme nicht und wissen nicht, wie so ein mittelständischer Betrieb tickt. Das liegt – neben dem Desinteresse – häufig daran, dass diese Hersteller-Mitarbeiter nach Ausbildung oder Studium direkt beim Großkonzern anheuern, oft auch noch amerikanischer oder fernöstlicher Provenienz. Der Mittelständler ist dann für sie so etwas wie ein Mann aus dem Tropenwald von Neuguinea für den Durchschnittsdeutschen: Man sieht zwar irgendwie ähnlich aus, aber die Kulturen sind grundverschieden und die Verständigung gestaltet sich schwierig.

Lieber Herr Wortmann, kann es sein, dass es gar nicht an den Produkten liegt, warum so viele große IT-Hersteller beim Mittelstand seit Jahren keinen Fuß in die Tür bekommen, sondern in erster Linie an ihrer (Fremd-) Sprache?

Beste Grüße

Damian Sicking

Weitere Beiträge von Damian Sicking finden Sie im Speakers Corner auf heise resale ()