"Use it or lose it" – gilt nicht nur für Muskeln, sondern auch für Kunden

Genauso wie Muskeln verkümmern, wenn man sich nicht um sie kümmert, ist es mit Kunden oder Kundenbeziehungen. Ein neuer radikaler Ansatz stellt nicht das Produkt, sondern den Kunden in den Mittelpunkt und fragt nicht, welchem Kunden kann ich dieses Produkt verkaufen, sondern welche Produkte kann ich diesem Kunden (sonst noch) verkaufen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Damian Sicking

Canon-Geschäftsführer Jeppe Frandsen

(Bild: Canin)

Lieber Jeppe Frandsen, Geschäftsführer von Canon Deutschland,

"use it or lose it" – wohl kaum ein ambitionierter Sportler, der diesen Spruch nicht kennt und seiner Familie damit auf die Nerven geht. In freier Sportlerübersetzung heißt der Satz "Benutze deine Muskeln oder sie verschwinden" oder "Kümmere dich um sie oder sie verkümmern". Wer nie seinen Bizeps trainiert, der hat irgendwann keinen mehr. Sie als Sportler, lieber Herr Frandsen, wissen sicher, wovon ich rede. "Use it or lose it" gilt aber, denke ich, nicht nur für Muskeln, sondern für Vieles mehr, zum Beispiel für das Gehirn bzw. den Verstand, für Freundschaften oder generell soziale Kontakte. Auch für geschäftliche Kontakte, will ich meinen, und damit bin ich beim Thema. Ich glaube, "use it or lose it" gilt auch und gerade für Kundenbeziehungen, sei es die vom Hersteller zum Händler (ja, auch wenn die Hersteller es immer wieder gerne vergessen: der Händler ist durchaus der Kunde des Herstellers), sei es die vom Händler zum gewerblichen oder privaten Endkunden. "Kümmere dich um deine Kunden bzw. die Kundenbeziehungen oder sie verkümmern."

Leider scheint der Satz "use it or lose it" in der Wirtschaft kaum bekannt zu sein, zumindest nicht in Bezug auf die Kundenbeziehungen. Nehmen wir ein naheliegendes Beispiel: Mitte 2008 hatte ich, ein frisch gebackener Freiberufler, beim damaligen Bürozentrum Schulz, welches wenig später von Canon übernommen wurde und nun als Canon Business Center Region München firmiert, ein Notebook gekauft. Natürlich ließ ich mir eine Rechnung ausstellen mit meiner vollständigen Adresse, die also seitdem in der Schulz-Datenbank gespeichert war. So, und nun meine Frage: Habe ich seitdem jemals wieder von Schulz bzw. vom Canon Business Center Region München gehört oder Post bekommen? Die Antwort ist Nein, habe ich nicht. Warum eigentlich nicht? Haben Sie geglaubt, wer ein Notebook kauft, der ist komplett ausgestattet und der braucht nichts mehr? Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, so kann ich Ihnen sagen, dass ich mir seitdem eine Office-Software sowie ein professionelles Virenschutzprogramm, ein Multifunktionsgerät, einen TFT-Monitor, eine Tastatur und eine externe Festplatte zur Datensicherung gekauft habe, aber nichts davon bei Schulz bzw. beim Canon Business Center Region München. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Ich beschwere mich nicht, glücklicherweise herrscht in Deutschland kein Mangel an IT-Einkaufsquellen. Nein, beschweren tue ich mich nicht, ich wundere mich nur.

Natürlich kann ich nicht garantieren, dass ich mein übriges IT-Equipment auch bei Schulz gekauft hätte, wenn die mich nur gefragt hätten, ob ich nicht auch noch dieses oder jenes sinnvolle Teil gebrauchen könnte. Der Punkt ist, dass sie mich nicht einmal gefragt haben.

In der aktuellen März-Ausgabe der Zeitschrift Harvard Business Manager (HBM ) steht zu dieser Thematik ein interessanter Aufsatz. Unter der Überschrift "Das neue Gesicht des Marketings" machen die Autoren den Vorschlag, in Bezug auf den Kunden sozusagen eine "kopernikanische Wende" zu vollziehen. Was ist damit gemeint? Üblicherweise ist es ja so, dass man ein Produkt hat und dann überlegt, an welche Anwender (Kunden) man dieses Produkt verkaufen kann. Die "kopernikanische Wende" besteht nun darin, dass man umgekehrt vom Kunden her denkt und fragt, wie man – natürlich mit den Mitteln, die einem zur Verfügung stehen – die Situation des Kunden verbessern, sprich welche Produkte und Dienstleistungen man dem jeweiligen Kunden sonst noch anbieten kann. Es geht hier um nichts anderes als um eine radikale oder besser konsequente Kundenorientierung, aber in dem Sinne, dass man vom Kunden her denkt. Damit dies in der unternehmerischen Alltagspraxis auch gelingt, schlagen die Autoren des HMB-Artikels die Ernennung eines "Chief Customer Officers" (CCO) vor, der "vor allem das Interesse der Kunden im Blick hat".

Natürlich steht auch in diesem Ansatz über allem das Interesse der Firma, nämlich die maximale Wertschöpfung aus jeder Kundenbeziehung zu ziehen. Die Unternehmen, heißt es, sollten "danach trachten, den langfristigen Wert des einzelnen Kunden zu maximieren", statt sich lediglich "auf Geschäftsabschlüsse zu konzentrieren". Und weiter: "Letztlich ist der CCO dafür verantwortlich, die Rentabilität der Kunden für das Unternehmen zu steigern."

Ich finde diesen Ansatz sehr interessant und vielversprechend. Denn damit verbunden ist auch die grundsätzliche Positionierung zum Beispiel von IT-Händlern und Systemhäusern. Diese verstehen sich ja noch immer viel zu häufig als "Problemlöser". Ich hatte bereits vor einem Jahr an dieser Stelle angemerkt, dass diese "Zahnarzt-Positionierung" sehr problematisch ist. Viele Menschen gehen bekanntlich nur dann zum Zahnarzt, wenn die Kauleiste Schmerzen verursacht, also Probleme macht. Was macht nun im vergleichbaren Fall ein Systemhaus, das sich wie der Zahanrzt als Problemlöser definiert und im Marketing auch so auftritt, wenn der Kunde gar kein Problem hat bzw. glaubt, keines zu haben? Ganz klar: Es blickt in die Röhre. Wenn das Systemhaus sich aber so versteht, dass es die Situation oder das Leben des Kunden verbessert – also unabhängig davon, ob der Kunde ein akutes Problem hat oder nicht –, dann ist eigentlich immer etwas zu tun.

Lieber Herr Frandsen, beim Schulz Bürozentrum oder dem heutigen Canon Business Center Region München hat sich offenbar niemand mit der Frage befasst, wie man die (IT-)Situation des Kunden Damian Sicking verbessern kann. Wie gesagt: Ich beschwere mich nicht, aber das ist vermutlich der Grund, warum ich heute kein Kunde mehr von Ihnen bin. Es ist eben nicht nur im Sport so, sondern auch in der Kundenbeziehung: "Use it or lose it."

Beste Grüße

Damian Sicking

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