Wer keine Konkurrenz hat, wird dick, dumm und fröhlich

Das Netzwerkportal Xing hat ein grandioses Geschäftsjahr 2008 hinter sich. Viele neue Mitglieder haben sich dort registriert. Wieso eigentlich? Weil Xing eine Illusion erfolgreich verkauft. In diesem Jahr wird´s spannend, wegen Linkedin.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Damian Sicking

Lieber Xing-Chef Dr. Stefan Groß-Selbeck,

"Xing ist doch eigentlich nur ein aufgemotztes Adressbuch", sagte in der vergangenen Woche ein Bekannter beim Essen. Er hat Recht, aber wieso "nur"? So ein Adressbuch ist schließlich ganz schön nützlich. Zum Beispiel wenn man mal gerade nicht die Telefonnummer oder die E-Mail-Adresse desjenigen zur Hand hat, mit dem man unbedingt und sehr dringend zu tun haben will. Natürlich sagen Sie, der frisch gebackene Vorstandschef der Xing AG, dass man dem Leistungsumfang von Xing nicht annähernd gerecht wird, wenn man es als Adressbuch bezeichnet. Und auch Sie haben Recht. Ich zum Beispiel finde es wirklich klasse, wenn ich erfahre, dass mein alter Bekannter von früher, mit dem ich schon seit 100 Jahren nichts mehr zu tun habe, neuerdings einen mir völlig fremden Menschen zu seinen direkten Kontakten zählt. Oder wenn die Frau, deren Namen ich hier nicht nennen möchte, nicht nur ein neues Foto eingestellt hat, sondern mitteilt, dass sie zum ersten Mal mit ihrem neuen Fahrrad draußen war. Herrlich!

Ich finde Xing klasse. Es ist so unterhaltsam. Meine Frau liest die Bunte, ich geh auf xing.de. Nicht dass es mir geschäftlich schon einen Cent eingebracht hätte oder mir Traumjobs angeboten worden wären. Wer sich mit dieser Erwartungshaltung eine Premium-Mitgliedschaft bei Xing zulegt, der wird enttäuscht werden. Ich fürchte allerdings, dass eines Tages ganz schön viele Menschen morgens aufwachen und sich eingestehen werden, dass sie geträumt haben und ihnen ihre vielen Xing-Kontakte auf ihrer Karriereleiter nicht eine einzige Stufe weiter nach oben verholfen haben. "It´s not a job ladder – it´s an illusion." Zwar verschließe auch ich mich nicht der Erkenntnis, dass persönliche Beziehungen dem beruflichen Aufstieg behilflich sein können, aber über ein Medium wie Xing? Da halte ich es doch eher mit dem Headhunter und Gründer der auf die IT-Branche spezialisierten Personalberatungsfirma Convenio AG, Karl Hecken. Der sagte vor Kurzem – natürlich pro domo, aber trotzdem richtig –: "Karrierechancen entstehen stets im persönlichen Gespräch. Wer glaubt, dass er per E-Mail und Internet nach oben kommt, hat den Personalmarkt nicht verstanden."

Trotzdem gelingt es Ihnen, lieber Herr Dr. Groß-Selbeck, sehr gut, die genannte Illusion zu verkaufen. Mehr als zwei Millionen neue Mitglieder hat Xing im vergangenen Jahr gewinnen können, davon 188.000 Premium-Kunden. Die vor allem sind für die beneidenswerte Steigerung von Umsatz (+80 Prozent) und Gewinn (+86 Prozent) verantwortlich. Tolle Sache!

Aber wie das leider immer so ist, wurden auch bei Xing am 1. Januar die Uhren wieder auf Null gestellt. Das Jahr 2009 wird nun besonders spannend. Nicht nur, weil Sie am 15. Januar den Chefsessel von Xing-Gründer Lars Hinrich übernommen haben, sondern vor allem weil mit Linkedin seit vergangener Woche ein ernst zu nehmender Gegner im Ring steht. Immerhin ist das US-Unternehmen Linkedin mit weltweit 35 Millionen Mitgliedern fünf Mal so groß wie Xing. Die Leute aus Amerika scheinen also zu wissen, wie´s geht. Insbesondere bin ich gespannt darauf, wie Sie auf die neue Situation reagieren und was Sie sich einfallen lassen, um den Störenfried klein zu halten.

Vor allem aber sollten Sie die Konkurrenz durch Linkedin positiv sehen. Ich weiß zwar nicht, ob Linkedin wie in der sprichwörtlichen Redensart das Geschäft beleben wird, aber ich denke doch, dass die neue Konkurrenz Sie wach und geschmeidig hält. Gerade habe ich von dem Publizisten und dreifachen Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman einen schönen Satz zu diesem Thema gelesen. Friedman sagt: "Jeder, der seinen Wettbewerber verliert, wird dick, dumm und fröhlich." "Fröhlich" ist ja schön, aber "dick" und "dumm"? Nee, dann schon lieber Linkedin, oder? Bislang hatte Xing in Deutschland ja keinen Konkurrenten, der diesen Namen verdient. Das könnte sich jetzt ändern. Ich freu mich drauf. Die Verschlechterung der Laune von Xing-Mitarbeitern und -Managern nehme ich dabei billigend in Kauf.

Beste Grüße

Damian Sicking

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