MIT Technology Review 5/2017
S. 82
Fokus
Neue Materialien
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Grafik: Shutterstock

Ein ganzes Universum voller Eigenschaften

Stärkere Batterien, günstigere Katalysatoren, knochenfreundlichere Hüftgelenke: Neue Materialien entscheiden darüber, in welcher Welt wir künftig leben. Mit mächtigen Computersimulationen stoßen die Forscher in neue Bereiche vor.

In der Theorie funktioniert ein klimafreundliches Kohle- oder Gaskraftwerk ganz einfach: Bevor das Kohlendioxid aus den Verbrennungsprozessen in die Atmosphäre gelangt, wird es aus den Abgasen gefiltert. Dann bewahrt man das Klimagas langfristig und sicher auf. Fertig. Doch in der Praxis zeigt sich bei solchen Carbon-Capture-and-Storage-(CCS)-Verfahren ein Problem: „Die CO₂-Filter sind schlicht zu ineffizient“, sagt Tom Woo, Chemiker an der University of Ottawa. Betriebe man CCS mit aktuellen Filtermaterialien, würden die Energiepreise extrem steigen. Unter anderem müssen die Filter zu oft gewechselt werden, und es wird zu viel Energie benötigt, um das CO₂ wieder aus dem Material zu lösen. Woo will das ändern und untersucht dazu die Materialklasse der metallorganischen Gerüste, im Englischen Metal Organic Frameworks (MOF). Sie bestehen aus Metallen und organischen Molekülen, also kohlenstoffbasierten Verbindungen, die häufig Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff oder Halogene enthalten. Das Gemisch bildet dreidimensionale Netzwerke mit feinsten Poren – in ihnen lassen sich Gase wie CO₂ speichern.

Der Haken dabei: Es gibt Millionen verschiedene Kombinationen. Alle herzustellen und zu testen, ist aus Zeit- und Kostengründen unmöglich. „Wir haben daher eine Auswahlmethode entwickelt, mit der wir die Spreu vom Weizen trennen“, sagt Woo. Den Ausleseprozess imitiert der Forscher im Computer: Ausgehend von den derzeit effizientesten CO₂-Filtern lässt er die Nachkommen verschiedener MOF-Kombinationen berechnen. „Die Materialen mit den besten CO₂-Filter-Eigenschaften gehen dann in die nächste Runde, sodass nach vielen Rechenschritten ein Optimum herauskommt“, sagt Woo. Mit dieser Methode versechsfachte sein Team die CO₂-Aufnahme des bisherigen Filtermaterials. Gleichzeitig halbierten sie den Energiebedarf, der nötig war, um das Kohlendioxid nach Aufnahme wieder aus dem porösen Material zu lösen. So rückt eine wirtschaftliche CO₂-Abscheidung erstmals in greifbare Nähe.