Preis und Wert: Test Royal Enfield Himalayan 450
Die Himalayan hatte aufgrund ihres grandiosen Preis-Leistungs-Verhältnisses viele Freunde. Mit der 450 legt Enfield überall ein paar Schippen nach.
- Clemens Gleich
Bei Royal Enfield muss man gleich zu Anfang den Kontext setzen, in dem sich Lob und Kritik bewegen: Die Himalayan 450 kostet in Deutschland ab 5890 Euro in der einfachsten Lackierung "Kaza Brown". Für dieses Geld gibt es nirgends mehr Motorrad. Das sehen immer mehr Kunden so, die Enfield zu steigenden Verkaufszahlen in Europa verhelfen. Kaufen tun das außer Freunde ehrlicher kleiner Motorräder viele junge Motorradfreunde, die beim Neukauf auf günstige Preise angewiesen sind, wenn sie überhaupt in der Statistik auftreten sollen.
Das stimmte schon für die alte Himalayan. Mit der 450er wurde das Konzept aber rundherum modernisiert. Mit dem neuen Motor steigt die Leistung von 25 auf 40 PS. Es gibt ein neues TFT-Kombiinstrument mit Benzinuhr und sogar einer Navigationsanzeige, bei der die auf Google Maps aufbauende Navi-Software auf dem Smartphone in der Tasche läuft. Das Design schritt ein paar Jahrzehnte weiter durch die Moderne. Das Motorrad wurde so anders, dass es vielleicht gar nicht mehr allen vorherigen Fans gefällt. Keine Sorge, die vorherige Konfiguration wird als Himalayan 410 zunächst weiterverkauft, für ab 5390 Euro.
Ungleiche Tester, gleiches Terrain
Wir hatten die Enfield dabei, als wir auch die Ducati 698 Hypermotard Mono in den Tiroler Alpen fotografierten. Das bedingte, dass die Enfield stetig gezwiebelt wurde, während man sich auf der Ducati dahinter etwas langweilte. Das soll keine Kritik an der Enfield sein, die ja die Hälfte kostet und ein ganz anderes Publikum abholt. Es zeigt aber, dass nicht jede Gruppenkombination passen wird. Mit schnellen GS-Fahrern, die nicht warten wollen, wird es ähnlich aussehen wie bei uns. Mit rund 98 Prozent der Leute wird die Himi jedoch beim Mitfahren keine Probleme machen. Der Unterschied zu ihrer Leistung vorher ist groß, ohne dass die aktuellen 40 PS irgendwie überkandidelt wären.
Royal Enfield Himalayan 450 Ansichten (5 Bilder)
(Bild: Sebastian Bauer)
Klar dürfte jedoch sein, dass man die vorhandene Leistung beim gegebenen Gewicht von 198 kg am Gasgriff mindestens bei Gruppenfahrten ausschöpfen muss, der daher am Berg nur zum Schalten den Gasanschlag verlässt. Den Motor drehten wir dabei, bis er klingelnde Obertöne absondert (zu unterscheiden von echtem Motorklingeln) und schalteten dann. Das machte ihm über 3000 km nichts aus, und Sie dürfen sehr sicher davon ausgehen, dass Enfields Tester in Indien es im Probebetrieb nicht anders taten.
Erfreulich auch, dass der Antritt von unten heraus bereits kräftig ausfällt. Die Motoren von Enfield sind super und werden mit jeder Generation etwas besser. Dazu reicht Enfield ein Getriebe, das sich in den sehr ausgiebigen Testkilometern keinen einzigen Fehltritt leistete, obwohl es sehr viel arbeiten musste, um den Motor auf Drehzahl zu halten. Es schaltete sich von Anfang bis Ende butterweich, bei mir trotz der eher klumpigen, schweren Offroad-Stiefel.
Royal Enfield Himalayan 450 Details (20 Bilder)
(Bild: Sebastian Bauer)
Schnell fahren ist Schwerstarbeit
Was auffällt, ist die Diskrepanz zwischen einfachem, komfortablen Handling bei niedrigen Geschwindigkeiten und regelrechter Schwerstarbeit bei höheren Tempi. Ab 60 bis 70 km/h braucht die Himi sehr kräftige Lenkimpulse. Bei normalem Landstraßentempo von um die 100 km/h braucht sie richtig Kraft. Das macht müde: Als ich auf der spielerisch fahrenden Ducati hinter dem auf der Enfield navigierenden Sebastian fuhr, fragte ich mich, wieso er ab dem Nachmittag jede Kurve anbremste, statt wie vorher durchzufließen. Als ich selber Himalayan fuhr, erfuhr ich die Antwort: Dir geht einfach irgendwann die Kraft und die Lust aus, das eiserne Vorderrad in die Kurve zu würgen. Also komprimiert man auf der Bremse die Gabel, was etwas Kraft spart beim Einlenken. Wer also eine kleine Reiseenduro für typisches deutsches Landstraßentempo ohne solchen Kraftaufwand sucht, wird mit einer KTM 390 Adventure eher glücklich. Die Himi wurde auf langsamen Straßen für langsame Straßen entwickelt.
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Der Sitzkomfort ist hoch, selbst bei 1,9 m Fahrerhöhe. Es ist eine entspannte Ergonomie, die folglich Abstriche beim Feedback macht. Da kommt wenig vom Vorderrad oder durch den weichen, mir etwas zu stark nach vorn geneigten Sitz. Erstaunlich auf unserem anstrengenden Höhenprofil war der geringe Energieverbrauch des Motors: Selbst beim dauerhaft Überland-Zwiebeln stand beim Tanken stets vierkomma Liter pro 100 km auf der Messung. Erst bei Volllast auf der Autobahn kann man die Fünf provozieren. Mit etwas ruhigerem Tempo senkt die Himi ihren Durst sofort auf dreikomma Liter. Wer das Benzin im Nirgends bis zur nächsten Tankstelle strecken will, muss sich selbst für zweikomma Liter nicht auf den Kopf stellen.
Hoch greifen, aber im Klo landen
Obwohl das Update der Himalayan an den meisten Stellen gelang, stellte ich doch etwas fest, dass ich das "Opel-Problem" nenne: Ein Fahrzeughersteller, der Chassis, Antrieb, Oberflächen und Zulieferer-Ökosystem im Griff hat, will nun Software-Features anbieten, für die die Konkurrenz hohe Latten an Kundenansprüchen gelegt hat. Wie eingangs beschrieben, kann der neue TFT-Tacho sogar das Routing vom Smartphone anzeigen. Bis man jedoch überhaupt eine Verbindung zwischen diesen beiden Geräten zurechtgefummelt hat, wird der typische Motorradfahrer zwei bis drei Mal aufgegeben haben.
Die Bedienung über den kleinen Joystick am linken Lenkerende funktioniert schon im Stand sehr labberig, mit steten Fehleingaben (oben/unten statt links/rechts). In Fahrt, mit Handschuhen, ist die Chose kaum sicher bedienbar. Die Benzinuhr täuscht mit ihrer Pixel-weisen Anzeige Genauigkeit vor, springt aber wild und ist praktisch nutzlos, wir fuhren nur nach Tageskilometerzähler.
Viele Einstellungen erlaubt Enfield, vielleicht im Wissen um die Schwächen der Bedienung, nur im Stand. Das betrifft auch die Fahrmodus-Umschaltung, die damit ebenfalls stark an Nutzen verliert. Wenn man, vor allem bei kaltem Motor, forsch ans Gas geht, stirbt der Motor ab. Dieser typische Enfield-Bug begleitet die Fahrer nun schon über mehrere Motorbaureihen und Modellgenerationen. Ich vermute ihn ebenfalls in der Software, die Motorhardware sieht an allen Motoren sehr solide aus. Und schließlich: Die Scheinwerfer sind wirklich ein Witz. Dafür gibts auch keine Entschuldigung, damit ist ganz sicher kein Erprobungsfahrer in der Dunkelheit irgendeine Straße im Himalaya gefahren und zurückgekehrt.
Fazit
Wie gesagt: Verstehen Sie meine Kritik bitte im Kontext des Preises dieses Motorrads. Was Ihnen zum Preis fehlt, was die Fotos nur teilweise vermitteln, ist die Verarbeitungsqualität, die teils etwas hemdsärmelig, teils beeindruckend gut aussieht, aber stets weit über allem liegt, was ich zu diesem Preis erwartet hätte. In Sachen Ausstattung, Oberflächen, Features und den bodenständigen Basics boxt die Himalayan weit über ihrer Preisklasse. Ich denke, solange man tendenziell nur halbtags schnell fährt, wird man mit diesem Motorrad sehr glücklich werden, und dabei ganz sicher nicht arm.