Post aus Japan: Arbeiten wie bei Spitzweg

Keine Heizung, kaum Isolierung – der Winter bedeutet in Japan ein kaltes Arbeitszimmer oder ein schlechtes ökologisches Gewissen samt empfindlicher finanzieller Einbußen.

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Von
  • Martin Kölling

Keine Heizung, kaum Isolierung – der Winter bedeutet in Japan ein kaltes Arbeitszimmer oder ein schlechtes ökologisches Gewissen samt empfindlicher finanzieller Einbußen.

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.

Winter in Japan weckt bei mir eine biedermeierliche Dichternostalgie. In meinem Arbeitszimmer geht es fast so zu wie in der Dachstube des armen Poeten, die der Maler Carl Spitzweg 1839 so treffend in Öl festgehalten hat. Ich habe zwar keinen Regenschirm aufgespannt und liege auch nicht im Bett mit einer Schlafmütze auf dem Kopf. Aber gut eingepackt bin auch ich.

Die Beine wärmt eine Schurwolldecke, den Oberkörper zwei Fleecejacken und die Finger fingerfreie Handschuhe. Denn in meinem Arbeitszimmer herrscht knapp über Außentemperatur. Ich habe über das Kernproblem an dieser Stelle schon öfter geschrieben – unter anderem 2007 über Japans Rückstand bei der Isolierung, 2009 über die Qual der Heizungswahl, 2011 über Japans zwiespältigen Energiesparansatz, 2012 über das wenig anheimelnde Leben im Einklang mit der Natur und 2014 über beheizte Tipphandschuhe.

In Tokio liegt die winterliche Durchschnittstemperatur fünf Grad über Null. Hört sich nicht so schlimm an. Aber meine Wohnung hat wie viele in Japan keine Zentralheizung. Ich müsste also mit der Klimaanlage oder Gas- oder Kerosinöfen heizen, die Wärme wie Abluft in den Raum abgeben, um die Zimmertemperatur auf angenehme Höhe zu treiben.

Das Problem: Nur tue ich mich damit jedes Jahr schwer. Denn fehlende Isolierung der Wände und undichte Einfachverglasung im Alurahmen bedeuten, dass ich im Prinzip die Außenwelt mitheize. Doch endlich verheißen Firmen und Politik Besserung – durch Technik und eine Liberalisierung des Strommarkts.

Beginnen wir mit der Technik: Bei der Vorbereitung auf die NanoTech, Asiens Leitmesse für die großen Trends mit kleinsten Teilchen, bin ich auf einen durchsichtigen Plastikfilm gestoßen, der selbst Einfachverglasung weniger klimaschädlich wirken lässt.

Die Firma Nitto Denko hat vor drei Jahren einen Film namens Penjerex auf den Markt gebracht. Der soll die Isolierungsleistung von Einfachverglasung auf die in Japan oft verbaute Doppelverglasung (fünf Millimeter Abstand zwischen den Scheiben) heben. Gleichzeitig lässt er im Sommer weniger UV-Strahlen hinein und sorgt dafür, dass Fenster bei Erdbeben (oft) oder Steinwürfen (selten) nicht zersplittern.

Ich bin zwar skeptisch. Denn damit sind die Alurahmen und die – sagen wir mal: Undichtungen – noch immer da. Aber diese Folie muss ich ausprobieren. Denn sie kann bares Geld sparen, womit wir zum zweiten Punkt kommen: der Politik, genauer gesagt der Liberalisierung des Strommarkts.

Ab April 2016 werden ein Teil von uns Endverbrauchern auch in Japan bestimmen können, von welchem Anbieter wir unseren Strom beziehen wollen. Das soll zu mehr Wettbewerb und sinkenden Strompreisen führen. Und tatsächlich tut sich was.

Hier in Tokio versucht unter anderen der Gasversorger Tokyo Gas dem bisherigen Strom-Monopolisten Tokyo Electric Power, besser bekannt als Tepco und Betreiber der Katastrophenmeiler in Fukushima, lukrative Kundschaft abzujagen. Der Wechsel soll Ersparnisse von bis zu fünf Prozent bringen.

Das ist zwar nicht die Welt, aber schon einiges bei einem Strompreis, der bei meiner letzten Stromrechnung sogar leicht über den deutschen Werten lag. Als ich voriges Jahr mal etwas mehr heizte, kletterte die Stromrechnung von 40 gleich auf über 200 Euro.

Doch was stellte ich bei einem ersten Preisvergleich zu meiner Überraschung fest? Das Kalkül gilt nur für Vielnutzer auf. Wer wie ich Strom spart, fährt bei einem monatlichen Verbrauch von über den Daumen gepeilt bis zu 250 bis 300 kWh mit Tepco günstiger.

Ich glaube, ich werde daher lieber erst einmal die Stromrechnungen dieses Winters auswerten, um zu sehen, ob ich von der Liberalisierung profitieren kann. Letztlich könnte sich der Wechsel dennoch lohnen. Denn auch dieses Jahr könnte meine Stromrechnung noch in die Höhe schnellen. Die Erfahrung lehrt mich, dass irgendwann klamme Finger über Gewissen, Geld und das Schwelgen in den guten, alten Dichtertagen siegen. ()