Man könnte Elektrorallyes auch mit Opel Corsa Diesel fahren

Klartext: i-Relevanz

Viele Elektropioniere hoben hervor, es sei für sie ein "Abenteuer" gewesen, mit frühen Elektroautos wie dem ersten Nissan Leaf oder dem ersten E-Smart lange Strecken zu fahren. Die Zeit dieser Abenteuer ist vorbei. Mit ihr auch vorbei: jede Sonderstellung von E-Rallyes

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Von
  • Clemens Gleich
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Wenn man eine Rallye gefahren ist, kennt man prinzipiell alle. Diesen Satz sagte nicht ich, sondern hörte ihn am Telefon, als mich ein Experte zur dritten Rallye einlud und ich ebendiesen Satz schon vermutete. Dabei geht es nicht darum, dass sich eine Teilnahme nicht lohnen würde, denn die Veranstaltungen machen schon Spaß. Nein, es geht um die Berichterstattung. Man kann nicht jedes Mal wieder schreiben „joa, ganz nett“. Deshalb schicken Redaktionen so gern Rallye-Jungfrauen da hin, obwohl die stets genau das schreiben. Eine meiner zwei Rallyes war eine Elektrorallye. Jetzt fuhr ich doch eine dritte Rallye, weil Kia den Soul für unseren Laternenparker-Test nach Stuttgart brachte zur „i-Mobility“ der Motorpresse. Als die Kollegen mit dieser Veranstaltung 2016 das erste Mal loslegten, gab es noch Gründe dafür, über die Nähe des Veranstaltungsnamens zur „Immobilie“ zu schmunzeln. Dieses Jahr zeigte die Rallye aber nur eines: Elektroautofahren ist heute auch nur noch Autofahren.

Meine erste Elektro-Rallye war die e-Miglia, über die ich auf diesem Kanal ausführlich berichtete. Damals wollte der Veranstalter zeigen, dass man mit Elektroautos lange Strecken problemlos reisen kann, demonstrierte in der Praxis mit verkehrsbehindernd kriechenden und liegenbleibenden Fahrzeugen jedoch eindrucksvoll das Gegenteil. Mit unserem Nissan Leaf der ersten Generation war es eine tagelange Tortur, obwohl das Auto nie liegen blieb. Stellen Sie sich vor, Sie müssten mehrere Tage auf der Suche nach wochenends offenen Tankstellen im Elsass der Neunzigerjahre verbringen. Der erste Leaf kommt bei normalem Fahren rund 100 km weit (siehe ADAC-Dauertest). Wir fuhren Tagesetappen von teils deutlich über 200 Kilometern, mit stundenlangen Lade-Mittagspausen am Schuko-(!)-Stecker. Ich vermute bis heute eine klandestine Finanzierung der Veranstaltung aus Richtung Katar.

Fortschritt zur Normalität

Die Veranstaltung an sich war jedoch nur ein Faktor. Der zweite waren die damals verfügbaren E-Autos. Mit zärtlichem Gasfuß verbrauchte der Leaf 17 kWh, für 16 kWh und darunter brauchte es vor allem im alpinen Terrain schon konkrete Hypermiling-Ansätze, angepasst auf einen E-Antrieb. Die gesamte Batterie fasste 24 kWh für ein Auto mit anderthalb Tonnen, Kompaktklassen-Größe und 80-kW-Motor. In vielerlei Hinsicht war und ist der Leaf ein wunderbares Auto. Er zelebrierte den elektrischen Antrieb, weil der damals noch etwas Neues war. Hinter der Windschutzscheibe drei Lade-LEDs in blau. Im Innenraum ein plüschiges Raumschiff. Erstaunlich viele Bordcomputer-Funktionen inklusive Trip-Zähler für Rallyes. Und schon damals ein GSM-Modem, über das der Fahrer von Ferne per App oder Web-Interface den Ladestand erfahren oder das Fahrzeug vortemperieren konnte. Darauf warten Europas Kia-Kunden bis heute. Nur musste dieses Auto eben im Pendelbetrieb jeden Tag an den Stecker. Wer keinen Stecker daheim hat, schminkt sich besser ab, einen gebrauchten Leaf zu kaufen.

Jetzt jedoch gibt es große Batterien nicht nur in Luxuslimousinen, sondern auch in normal großen Autos. Der Kia Soul, mit dem wir fuhren, schleppt eine Batterie von 64 kWh mit. Sie nimmt den gesamten Raum zwischen den Rädern ein. Unter optimalen Bedingungen kommt das Auto in der Stadt damit über 500 km weit. Selbst bei einfach spaßig Drauftreten verbrauchte der Wagen auf der Rallye nur etwa 18 kWh auf 100 km. Im Stadtbetrieb fiel dieser Wert trotz Heizung sofort auf 14 kWh, für die du keinerlei Hypermiling-Ideen brauchst. Das Auto macht ganz alleine schon das Meiste richtig, das Leaf-Fahrer früher selber optimierten. Es gab den Soul vor dem Modelljahr 2019 auch mit anderen Antrieben und gibt ihn anderswo noch. Also fährt er unter der Haube vorn etwas Luft ungenutzt spazieren. Es ist ein sehr gutes, sehr normales Auto, dessen Antrieb nicht mehr das zentrale Thema gibt. Mit solchen Autos die rund 150 Kilometer der i-Mobility zu fahren, ist völlig Banane. Das kann jeder. Selbst die zum Haare ausreißen unzuverlässige Infrastruktur wird so nebensächlich wie eine kaputte Tankstelle. Man könnte genausogut einen Opel Corsa Diesel nehmen. Kein Vergleich zu damals, als Reichweite, Laden und um Strom betteln noch als Themen auftraten, so schlimm das auch war.

Feierabendverkehrsrunde rund um den Flughafen

Da die Rallye als Thema nicht zur Berichterstattung über den Kreis der Teilnehmer hinaus taugte, hoffte ich darauf, dass sich zur i-Mobility die Elektroauto-Freaks treffen wie die Polo-Tuner auf dem Breuninger-Parkplatz. Das war nur sehr bedingt so. Ja, es nahmen ein, zwei interessante Fahrzeuge teil, zum Beispiel einer der seltenen VW XL-1 und ein auf E-Antrieb umgebauter Mini Mk 3. Nein, kein Vergleich zu Oldtimer-Rallyes, bei denen außer Mercedes SL nur interessante Fahrzeuge stehen und bei denen vor allem viel Zeit eingeplant wird fürs Benzin reden. Wir hätten sehr gern mit der Fahrerin des Mini etwas Strom geredet, fanden sie aber nicht in einer passenden Gelegenheit (falls sie das nachholen möchte: Bitte melde Dich!). Also blieb nur die Rallye an sich, die die Motorpresse traditionell mit etwas Pärchen-Spieleabend-Aufgaben um typische Rallye-Wertungsprüfungen herum auflockert.