Wer braucht eigentlich Ladesäulen?

Was für eine fürchterliche Vorstellung: Abertausende Elektroautos hängen mit ihren Ladestrippen an ebenso vielen Ladestationen, die das Stadtbild verschandeln. Dabei könnte Elektroautofahren so einfach sein

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Gernot Goppelt
Inhaltsverzeichnis

Wenn sich dutzende Hersteller auf eine neue Technik stürzen und ein Angebot daraus schneidern, haben sie normalerweise irgendwo eine Goldader entdeckt. Auch die Anbieter von Ladesäulen scheinen regelrecht aus dem Boden zu sprießen, die Elektromobilität steht offenbar kurz vor ihrem Durchbruch. Oder doch nicht? Die Zulassungszahlen sprechen eine andere Sprache: 2023 Elektroautos wurden in den ersten neun Monaten des Jahres 2012 "in den Verkehr gebracht", wie das Kraftfahrbundesamt ordnungsgemäß feststellt – und dabei liegt der gewerbliche Anteil bei den reinen Elektroautos bei rund 90 Prozent.

Wer braucht all die Ladesäulen?

Kurz: Kaum eine Privatperson kauft Elektroautos, doch andererseits investieren viele Unternehmen in das Geschäft mit Ladesäulen, die wer eigentlich braucht? "Deutschlands größte Lieferantensuchmaschine" Wer liefert was? listet allein 16 Anbieter von Ladesäulen auf und das sind längst nicht alle. Auf der diesjährigen eCarTec in München tummeln sich mit rund einem halben Dutzend Ladesäulenherstellern schon weniger als im vergangenen Jahr. Woran liegt das? Vielleicht führt die Technik der Ladesäulen einfach in eine Sackgasse? Das findet zumindest ein Vertreter der Firma Qualcomm, mit dem wir auf der eCarTec sprechen konnte.

Was für ein Verhau wird das, wenn abertausende Elektroautos in den Städten an ebensovielen Ladesäulen hängen?

Gut, Qualcomm ist ein Vertreter des berührungslosen Ladens und hat kein großes Interesse daran, sich begeistert über "klassische" Ladetechnik zu äußern. Doch tatsächlich gibt es Argumente, warum das Konzept der Ladesäulen möglicherweise ein Irrweg ist. Zum Beispiel: Wollen wir allen Erstes, dass überall am Straßenrand Ladesäulen herumstehen, an denen Autos an der Strippe hängen? Städteplaner sprechen von Street Furniture, wenn es um Parkbänke, Straßenlampen usw. geht. Dies alles sind zwar Funktionsgegenstände, aber eben auch gestalterische Elemente der Raumplanung, der städtischen Ästhetik. Eine Legion von Ladesäulen ist vielen Städteplanern deswegen ein Graus, mit Recht. Wenn sie noch so schick gestaltet sind, schöner lässt sich der Raum ohne sie gestalten.

Technik unter den Boden

Auch für die Autofahrer selbst dürfte die Vorstellung attraktiver sein, dass man einfach sein Auto über einer unsichtbar im Boden verlegten Induktionsspule abstellt, anstatt jedes Mal ein Kabel herausfummeln zu müssen und es an einer Ladestation anzuschließen. Zwar ist das weniger schmuddelig als an der Tankstelle, doch dafür wegen der kurzen elektrischen Reichweiten praktisch täglich notwendig, das nervt. Und was passiert eigentlich, wenn irgendwelche Spaßvögel meinen, Ladesäulen beschädigen zu müssen – egal ob es Robin Hoods der Raumordnung oder schlicht Vandalen sind? Induktive Ladeplätze sind in dieser Hinsicht nicht angreifbar, solange nicht der Boden aufgebuddelt wird.

Warum ist das iPad ein so großer Markterfolg geworden? Weil er das Bedienen eines Computers viel einfacher gemacht hat, weil er die Barriere zwischen Nutzer und Technik kleiner gemacht hat. Dieses simple Argument führt Qualcomm auch an, wenn es um Elektroautos geht: Menschen wollen Elektroautos, die einfach funktionieren, bei denen man ständig nicht mit Kabel und Stecker hantieren muss. Qualcomm macht sich deswegen vor allem Gedanken darüber, wie man ein Ladekonzept möglichst einfach gestalten kann, damit die Kunden es nutzen wollen und deswegen ein Geschäft daraus wird.

Park-and-Charge

Qualcomm wird in London das berührungslose Laden testen. Wetten, dass die Autofahrer es dem Laden per Strippe vorziehen?

Erste Erkenntnisse über die Wünsche der Autofahrer wird der WEVC Trial in London erbringen, in dem Elektrofahrzeuge im Alltag getestet werden. Qualcomm ist dafür mit Renault eine Partnerschaft eingegangen, um das induktive Laden zu testen. Gespannt ist man auf Rückmeldungen von Benutzern, die zunächst das Laden per Ladestation kennenlernen und dann das berührungslose Laden. Qualcomm setzt dabei auf eine Technik mit dem beeindruckenden Namen "Double 'D' Quadrature Design", was irgend wie nach doppelter Quadratur des Kreises klingt, aber Spaß beiseite: Das System soll dafür sorgen, das die Primär- und Sekundärspulen in Fahrzeug und Boden nicht genau übereinander positioniert sein müssen. Selbst ein Versatz von bis zu 15 Zentimeter geht angeblich nicht auf Kosten des Wirkungsgrades. Die Reaktion der Londoner Probanden ist einigermaßen voraussehbar. Natürlich werden sie ein System vorziehen, bei dem sie einfach nur den Wagen abstellen müssen, dessen Batterie dann ohne weiteres Zutun geladen wird.

Vorteil Ladesäule: der Wirkungsgrad

Das induktive Laden hat eigentlich nur einen nennenswerten Nachteil, nämlich den etwas höheren Verlust beim Laden im Vergleich zur Verdrahtung mit der Ladesäule. Sofern man unterstellt, dass Elektromobilität nur mit regenerativ erzeugtem Strom sinnvoll ist, muss dies kein entscheidendes Kriterium sein. Dennoch gehört dieser Satz eigentlich fett gedruckt, denn sehr viel mehr Vorteile bieten Ladesäulen nicht. Gleichstand herrscht bei den Abrechnungssystemen: Ob verdrahtet oder drahtlos, auf beiden Wegen lässt sich problemlos eine Kommunikation zwischen Fahrzeug und Ladestation aufbauen. Einzig das Zahlen mit Bargeld oder Karte ist bei induktiven Lösungen schwierig, aber langfristig betrachtet auch so unelegant, dass es sowieso verschwinden wird (beim Stromtanken, versteht sich). In einem Demonstrationsfahrzeug, das Qualcomm auch auf der eCarTec zeigt, geschieht die Kommunikation mit der Ladetechnik im Boden per Bluetooth, doch "wir können alles machen, was der OEM wünscht". Klar im Vorteil ist das berührungslose Laden schließlich beim Thema Standardisierung: Wo kein Stecker benötigt wird, sind regionale Standards wie der Mennekes-Stecker nicht erforderlich.

Schwer einzuschätzen ist der jeweilige Bauaufwand. Was ist teurer – eine Ladesäule oder das im Boden verlegte System mit der Sekundärspule? Vermutlich ist der Unterschied nicht allzu groß, denn die Bauart der "Ladeendstelle" wird angesichts riesiger Investitionen in die gesamte Infrastruktur kaum entscheidend sein. Ein Aspekt wie Vandalismus könnte sogar den Ausschlag zugunsten der unsichtbar im Boden verlegten Lösung geben – ebenso der Umstand, dass man auf die Idee kommen könnte, die Verschandelung der Innenstädte durch Kosmetik anderer Art mildern zu wollen. Die fälschlicherweise dem Einfluss des Bauhaus zugeschriebene Primitivarchitektur der Nachkriegszeit hat dazu geführt, dass Menschen ihre Räume auszuschmücken begannen, weil der Raum selbst nicht Schmuck genug war.

Am Fahrzeug dagegen dürfte zunächst die Steckerlösung günstiger sein, auch das ist aber noch nicht ausgemacht, weil für das induktive Laden Serienlösungen fehlen. Die fahrzeugseitigen Spulen werden möglicherweise in einen Kunststoffkörper vergossen, der unter dem Fahrzeug liegt – ein Großserienteil genügt dabei für verschiedene Fahrzeuge. Und die Schnittstelle zum Laden, ob Stecker oder Ladepad, ist nur ein kleiner Teil der Technik im Fahrzeug, die sich ansonsten nicht unterscheidet.

Zuhause reicht die Steckdose

Für das Laden zuhause genügt eigentlich eine normale Steckdose und ein passendes Kabel wie hier im Renault Twizy.

In öffentlichen Umgebungen spricht also vieles für das induktive Laden, doch wie sieht es zuhause aus? Hier deutet sich bereits an, dass spezielle Ladetechnik ohnehin nicht benötigt wird. Je kleiner die Batterie ist, desto schneller wird sie auch geladen. Wenn beispielsweise eine Batterie mit 10 kWh Energieinhalt an der Haushaltssteckdose in überschlägig vier Stunden geladen werden kann, wird dies kaum jemanden in Verlegenheit bringen. Zuhause genügen ein normales Stromkabel und die Haushaltssteckdose. Im Übrigen werden die öffentlichen Ladeszenarien auch die privaten Lösungen treiben: Wenn sich das induktive Laden im öffentlichen Raum etabliert, wird es auch preisgünstige Lösungen für zuhause geben.

Neben dem heimischen und öffentlichen Laden gibt es noch ein drittes Szenario, das Laden während der Fahrt, das "dynamische Laden". Dass dies keine Fantasterei ist, haben schon viele bewiesen. In Werkhallen fahren Transportfahrzeuge auf Induktionsstrecken, in Genua, Turin oder Braunschweig fahren Busse, die berührungslos geladen werden und in Korea eine Bimmelbahn in einem Freizeitpark. Dagegen ist das dynamische Laden mit Ladesäulen offenkundig nicht zu bewerkstelligen. Ein funktionierendes dynamisches Ladekonzept würde zudem technische Verfahren und Kostenvorteile mit sich bringen, die auf stationäre Anwendungen rückwirken, es würde quasi zu einem routinemäßigen Arbeitsschritt im Straßenbau.

Vorbild Mobilfunknetz

Auf die Frage, ob denn längere Strecken für induktive Ladekonzepte nicht unbezahlbar sind, antwortet Qualcomm: Das riesige Mobilfunknetz mit seinen Backends, den Sendemasten usw. musste ebenso aufgebaut werden. Und es hat funktioniert, weil dahinter ein Geschäftsmodell steckte, bei dem die Interessen von Nutzern und Betreibern aufeinander abgestimmt wurden. Übertragen auf den Straßenbau würde das bedeuten, dass dieser weitaus mehr als bisher von Privatunternehmen und -konsortien übernommen würde, doch diese Tendenz ist ohnehin nicht neu. Die "Maut" wird in einem solchen Konzept zu einer Gebühr, welche die Nutzung die Straße umfasst, aber auch den Ladestrom, mit dem das Elektroauto während der Fahrt versorgt wird.

Der Beweis: Elektroautos, die berührungslos geladen werden, machen einfach mehr Spaß.

Zugegeben, ob dynamische Ladekonzepte wirklich finanzierbar sind, ist derzeit sehr schwer zu beantworten. Doch selbst wenn man es beim stationären Laden belässt und bei Langstrecken zum Beispiel auf Wasserstoff setzt, ist eines offensichtlich: Ladestationen wirken im Vergleich zum berührungslosen Laden schon heute unelegant – wie unsexy ist die Vorstellung, sein Auto ständig anstöpseln zu müssen, das Ärgernis der kurzen Reichweiten ständig vor Augen geführt zu bekommen. Wenn die Autos schon an die Leine müssen, dann doch bitte wenigstens unsichtbar, dass einem nicht der Spaß daran verdorben wird. Ladestationen wirken wie das Relikt aus einer Zukunft, die hoffentlich nie kommen wird.