Hans Mezger, Ingenieur der Emotion

Am 10. Juli 2020 mussten wir vom Hans Mezger Abschied nehmen. Seine Konstruktionen prägen Porsche noch heute. Ein kursorischer Rückblick, Teil eins

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Ingenieur der Emotion

(Bild: Porsche)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Christian Lorenz
Inhaltsverzeichnis

Seit Marketingspezialisten und Controller ihre Zepter schwingen, verblasst die Handschrift der Ingenieure. Doch nicht alles was sich rechnet, zahlt sich aus. Das zeigen immer seelenlosere Produkte. Eine Marke, die sich über ihre Konstrukteure definiert, war und ist Porsche. Aus der Familie Porsche/Piëch selbst stammen drei Generationen Automobilkonstrukteure, die zu den genialsten und einflussreichsten gehören. Lesen Sie die erste Hälfte der Geschichte über Hans Mezger. Die zweite finden Sie hier.

Der "Renn-Mezger" lebte die Philosophie von Ferry Porsche, nach der die Rennabteilung die besten Entwicklungs- und Testmöglichkeiten für den bestmöglichen Straßensportwagen biete. Mezger konstruierte nicht nur die größten Rennerfolge von Porsche mit 917 und 956, er zeichnete auch den 911-Motor. Er ermöglichte den 930 Turbo und sein Geist steckt bis heute insbesondere in den sportlichen Topmodellen von Porsche. Das Autogenie Hans Mezger ist am 10. Juni 2020 im Alter von 90 Jahren gestorben.

Hans Mezger konnte sich im Wirtschaftswunderjahr 1956 als Absolvent der TH Stuttgart, Fach Maschinenbau, seinen Arbeitgeber aussuchen. Statt unter 28 Angeboten das lukrativste zu nehmen, bewarb er sich bei Porsche. Er weigerte sich, in der Dieselmotorenfertigung für Porsche-Traktoren in Friedrichshafen zu arbeiten – hatte nur Sportwagen im Sinn. So überzeugte der 27-jährige die Porsche-Chefs Ferry Porsche und Karl Rabe, im Konstruktionsbüro für Technische Berechnung anzufangen. Dort entwickelte Mezger eine geniale Formel zur Berechnung von Nockenprofilen. Sie sparte Geld und stellte technische Qualität sicher.

Das junge Talent hatte sich für den Rennmotorenbau qualifiziert. Er war seit 1951 das Reich von Wilhelm Hild, der die Rennabteilung aufzubauen hatte. Basis sämtlicher Porsche-Renneinsätze war in den späten 50er-Jahren der Doppelnockenwellenmotor Typ 547. Dieser Motor wird entweder nach seinem Schöpfer "Fuhrmann-Motor" oder nach seinem Nockenwellenantrieb "Königswellen-Motor" genannt. Mit dem Typ 547 hatte Ferry Porsche 1951 den ersten komplett neuen Porsche-Motor entwickeln lassen, der kein einziges Teil mehr aus dem Volkswagen enthielt.

Hans Mezgers Porsches I (12 Bilder)

Hans Mezger verkörperte Ferry Porsches Philosophie, die Rennstrecke sei der härteste Prüfstand für einen Straßensportwagen. Anfang Juli ist der Ingenieur mit 90 Jahren gestorben, dessen Geist heute noch in jedem Porsche mitfährt.
(Bild: alle Porsche )

Dessen Stoßstangenmotor galt als ausgereizt. Der Königswellenmotor wurde noch bis Ende der 60er-Jahre erfolgreich bei Berg- und Langstreckenmeisterschaften eingesetzt, beispielsweise im 356 B 2000 GS-GT Coupé, dem sogenannten „Dreikantschaber”. Rennlegende Hans-Joachim Stuck, dieser seltene Porsche, die Berchtesgadener Alpen und Kaiserwetter Ihres dazu bei, dass der Rossfeld-Bergpreis 2016 für mich zum wahr gewordenen Kindertraum wurde.

1960 wurde Hans Mezger Projektleiter für seine erste komplette Motorenentwicklung ausgewählt – Porsches ersten Formel-1-Motor (Entwicklungscode: 753) zusammen mit Hans Hönick, der mit Ernst Fuhrmann bereits den 547 konstruiert hatte. Beide kümmerten sich auch um die Konstruktion des Formel-1-Wagens mit dem Entwicklungscode 804. Eine harte Prüfung. Das Formel-1-Reglement verlangte 1,5-Liter-Saugmotoren. Zwar hatte der Porsche-Konstrukteur Michael May aus dem 547 mit diesem Hubraum kurz vorher beachtliche 190 PS gezaubert. Doch May war bei Porsche in unguter Weise ausgeschieden, weshalb auch der May-Motor nicht mehr verwendet werden sollte.

Ferry Porsche wollte die Neukonstruktion auch als Zwei-Liter-Variante für Rennsportwagen einsetzen können. Mezger entschied sich für einen Achtzylinder-Boxer. Wie bei sämtlichen Porsche-Motoren stand die Luftkühlung nie zur Debatte. Der 753 bekam Doppelzündung, vier über zwei Königswellen angetriebene Nockenwellen sowie vier Weber-Doppelvergaser. Er baute nur etwas länger als der 547, war aber deutlich niedriger und schmaler.

Der Motor hatte also so ziemlich alles – bis auf die gewünschte Leistung. Hönicks Entscheidung, die Ventile im 90-Grad-Winkel anzuordnen, erwies sich als Fehlgriff und musste später korrigiert werden. Beim ersten Prüfstandlauf kam der 753 auf katastrophal enttäuschende 120 PS. Mehr als 180 PS wurden es mit 1,5 Litern Hubraum leider nie. Damit waren Mezger und Hönick an der wichtigsten Vorgabe klar gescheitert. Ständig stand der Formel-1-Einsatz vor dem Aus. Erstmals machte Porsche mit einem Renneinsatz einen Millionenverlust, nachdem man sonst, als so ziemlich einziger Hersteller, damit immer Geld verdient hatte. Dafür waren die zwei Siege dem erfolgsverwöhnten Ferry Porsche deutlich zu wenig.

Anfang der 60er-Jahre wurde fieberhaft an einem neuen Topmodell gearbeitet. Ferry Porsche wünschte sich die Fahrleistungen eines 356 Carrera in Verbindung mit einem deutlich höheren Fahrkomfort als im 356 SC. Schon 1960/61, zeitgleich mit dem Formel-1-Achtzylinder 753, hatte der danach zu BMW abgewanderte Technikchef Klaus von Rücker einen Sechszylinder-Boxer konstruiert. Der neue Designchef, Ferry Porsches Sohn Ferdinand Alexander (F.A.), genannt "Butzi", hatte nach dem großen Wurf des Mittelmotor-Rennsportwagens 904 bereits einen vollwertigen Viersitzer gezeichnet.

Letztendlich entschied Ferry Porsche, beim klassischen Sportwagen mit reinen Notsitzen zu bleiben. Zudem erwies sich der Stoßstangen-Sechszylinder des ehemaligen Mitarbeiters von Rücker als ungeeignet für Renneinsätze, da er keine höheren Drehzahlen vertrug. Daher sollte der 356-Nachfolger einen Sechszylinder-Boxer mit obenliegenden Nockenwellen bekommen. Als neuer Entwicklungschef sollte Ferry Porsches Neffe, Ferdinand Piëch, die Konstruktion leiten. Er war ungefähr im gleichen Alter wie Hans Mezger, ebenso begabt und verstand sich mit ihm auf Zuruf, wo es anderen Ansprechpartnern schnell zu hoch wurde. So wählte Piëch Hans Mezger, um den Motor für den 901 zu konstruieren.