Medikamente Mangelware? Wie die Produktion nach Europa geholt werden könnte

Seite 2: Paracetamol aus Europa – das geht nicht mehr

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Wenige Euro kostet das Kilogramm Paracetamol, das wichtigste Medikament bei Fieber und Schmerzen, das seit 1977 auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation steht. "Es ist ein Wettlauf nach unten", quittiert Braun. "In China baut man solche Fabriken zehnmal so groß wie hier und hat 1,5 Milliarden Menschen, die das Medikament selbst brauchen." Es klingt nach einer unverrückbaren Tatsache: Paracetamol aus Europa – das geht eben nicht mehr.

Die Rohstoffe für die Medikamentenherstellung werden vollautomatisch eingewogen und in Sammelbehälter befördert. In der Freiburger High-Containment-Fabrik hat jeder Produktionsschritt seinen eigenen Raum.

(Bild: Pfizer)

Die französische Regierung sieht das anders und versucht derzeit mit einem staatlichen Kraftakt, die Paracetamol-Produktion wiederzubeleben. 2013 schloss dort das letzte europäische Werk in Roussillon südlich von Lyon. Mittlerweile haben sich andere Firmen auf dem Gelände angesiedelt. Doch der einstige Fabrikant, heute Seqens, ist noch da.

Und so soll Seqens mit zusätzlichen 30 Millionen Euro aus Paris eine neue Paracetamol-Fabrik errichten. Schon ab 2023 sollen in Roussillon 10.000 Tonnen des Wirkstoffes entstehen – umweltfreundlich, nach einem neuen, CO2-reduzierten und inzwischen patentierten Verfahren. Ein Drittel des europäischen Bedarfes soll die Produktionsstätte decken. Seqens selbst tätigt eigenen Angaben zufolge mit 100 Millionen Euro die größte Investition seiner Geschichte.

Das Projekt in Roussillon ist nur das i-Tüpfelchen eines gigantischen staatlichen Reindustrialisierungsprogramms des französischen Staates. Seqens soll insgesamt zwölf Wirkstoffe, darunter das wichtige Betäubungsmittel Propofol, wieder auf französischem Boden erzeugen. Ob die Medikamente "Made in France" mehr kosten werden, wenn erst einmal die staatliche Anschubfinanzierung vorbei ist, ist noch offen. Das Paracetamol werden jedenfalls die französischen Medikamentenhersteller Sanofi und UPSA abnehmen; entsprechende Kooperationsverträge sollen schon unterschrieben sein.

Ist der Wirkstoff fertig hergestellt, bringt eine Tablettenpresse das Medikament in die gewünschte Form. Da die Presse nicht in den Produktionsprozess eines Wirkstoffes integriert ist, sondern separat steht, kann sie für unterschiedliche Medikamente verwendet werden.

(Bild: Pfizer)

In den Nachbarländern wird die französische zentralistische Wiederbelebungskampagne skeptisch verfolgt. Eine Produktion, die tot ist, zu revitalisieren, erfordert eine Investition von Jahren, nicht von Monaten. "Man kann das machen. Aber ohne den Staat würde das nicht passieren", sagt Axel Glatz, Werksleiter einer neuen Pfizer-Arzneimittelfabrik in Freiburg. Es ist eine Frage der strategischen Bedeutung von medizinischer Grundversorgung. Der US-Konzern verfolgt eine andere Strategie, um auch in Europa zu produzieren. "Die Schlüssel sind Innovation, Automation, Digitalisierung, sehr gut ausgebildete Fachkräfte und eben gerade die Produktion für den globalen Markt, weil das die Mengen bringt, bei denen wir wirtschaftlich werden", sagt Glatz.

Diese wirtschaftliche europäische Produktion soll eine – laut Pfizer – "der modernsten Hightech-Pharmafabriken weltweit" seit Mai dieses Jahres in Freiburg sichern. Die sogenannte High-Containment-Fabrik sei hermetisch von der Umwelt abgeriegelt, weil darin Wirkstoffe verarbeitet würden, die in besonders geringen Dosen hochwirksam seien. Sieben Milliarden Tabletten und Kapseln entstehen hier jedes Jahr. Auf den zwei Stockwerken arbeiten nur wenige Menschen, es dominieren Roboter und Maschinen. "Die Fertigung wird über mehr als hundert intelligent miteinander vernetzte IT-Systeme gesteuert", schildert Glatz. Die Produkte werden in 150 Länder ausgeliefert.

In einer der drei Nachbarfabriken am Standort Freiburg geht die Digitalisierung so weit, dass die Arbeitsschritte am Computer kombiniert werden: Die Einwaage der Wirkstoffe, das Vermischen, das Pressen – den verschiedenen Produktionsprozessen seien eigene Räume vorbehalten. In Summe seien es 60 Zimmer. Diese und damit die Arbeitsschritte lassen sich per Computer beliebig miteinander kombinieren. "Dadurch kann das Werk flexibler, schneller und ressourcenschonender produzieren", veranschaulicht Glatz.